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Das Lachen befreit nicht mehr

Mode, Konsum, Auto oder Eigenheim – kaum ein Alltagsbereich ist vor dem ironischen Zugriff des österreichischen Künstlers und Plastikers Erwin Wurm sicher. Oder muss man jetzt sagen: war? Schon der Titel der neuen Werkschau in der Wiener Albertina klingt nach einer deutlichen Umorientierung.

Von Carsten Probst | 19.12.2012
    Während die Größen der fünfziger bis siebziger Jahre, von Arnulf Rainer über den Wiener Aktionismus bis zur Wiener Gruppe noch den Kampf gegen die Institutionen im Namen der Kunst aufnahmen, blieb dem nachgeborenen Erwin Wurm als letzte rebellische Geste eigentlich nur noch die konsequente Ironisierung des Verhältnisses von Kunst und Gesellschaft.

    Aber selbst diese Pose des Alles-Ironisierers, so scheint es heute, muss irgendwann zum ästhetischen Gefängnis für Erwin Wurm geworden sein, ähnlich wie bei dem von Wurm bewunderten Andy Warhol, der mit zunehmendem Alter immer verzweifelter darüber wurde, immerzu den Kunstkasper spielen zu müssen. Nachdem eine Frau auf ihn geschossenen hatte, veröffentlichte Warhol später ein Foto, das seinen wieder zusammengeflickten Oberkörper mit den riesigen OP-Narben zeigte - als ein jähes Memento Mori. Erwin Wurm hat in jüngster Zeit zwar kein Attentat erlebt, doch auch für ihn ist, wenn man seine aktuelle Ausstellung als Indiz nimmt, scheinbar der Moment des Heraustretens aus seiner angestammten Rolle gekommen.

    31 dürre Selbstportraits, in denen er Haltungen des Leidens aus der gotischen Malerei adaptiert, sind während einer Reise entstanden, als abgemagerte, hinfällige, dürre Gestalt: das Kontrastprogramm zu seinen demonstrativ immer sehr glatten Oberflächen. In einer zweiten Stufe hat er diesen Gedanken fortgesetzt mit fotografischen Selbstportraits und Aufnahmen von Künstlerkollegen, die er zuerst mit Schriftzeichen versehen und schließlich damit begonnen hat, sie zu übermalen. Die Kollegen, allesamt ältere Männer, fotografiert er nackt in Posen, die an die mittelalterliche Andachtskunst erinnern, Posen der Anbetung und Selbstkasteiung, der Vergeistigung, des Flehens um göttliche Gnade und der Unterwerfung unter göttliche Allmacht.
    Die Zeichen körperlichen Verfalls, in bedrückend und berührend intimer Selbstentblößung, wenden sich zum Spiegel des Künstlers und seiner Haltung zum Kunstmachen – Übermalungen als Maskierungen, die mal den schamlosen Eindruck diskret abmildern, mal ihn freiwillig-unfreiwillig vergrößern, die Leidensform, das selbstgesuchte Martyrium verdeutlichen.

    Die Farbe sargt die entblößten Körper regelrecht ein, verhüllt mitunter die Identität der Betreffenden, isoliert sie und isoliert auch den Betrachter von diesen Figuren.
    Mal scheinen diese Körper in der Farbe zu ertrinken, dann wie von einem Strahlen umgeben oder entstellt. Man denkt an mögliche Inspirationen durch Francis Bacon, Sigmar Polke oder Arnulf Rainer, Erwin Wurm selbst sprach im Vorfeld davon, dass er diese Ausstellung allein auf den Ausstellungsort, die Albertina abgestimmt und sich auch an deren mittelalterlichen Bildprogrammen orientiert hat. Doch viel mehr als ein Zitat wirken diese Übermalungen wie ein Abgesang auf das, was gemeinhin als das heute noch gültige und letzte Gut der Kunst angenommen wird – die Gewährung von Zeitlosig- oder gar von Überzeitlichkeit, einer sekularen Form von Unsterblichkeit.

    So steht man am Ende bedrückt vor dem zur Schau gestellten Ende der Illusion. Die Kunst rettet nicht vor dem banalen Verfall des Körpers, sie rettet niemanden, weder den Künstler noch den Betrachter. Am Ende also doch wieder der postheroische Erwin Wurm, der nichts gelten lassen kann? Die Art und die Wirkung der Bilder, auch die Abgeschlossenheit dieser jüngst fertiggestellten Serie wirken diesmal so, als sei dem jetzt 58-jährigen Künstler diese Erkenntnis jäh und ganz ernst gekommen. Hier greift die Souveränität des geübten Ironikers offenkundig zu kurz, das Lachen befreit nicht mehr, es wird bitter. So ist eines der seit den Zeiten einer Maria Lassnig ganz selten gewordenen radikalen sperrig-authentischen Werke in der Gegenwartskunst entstanden. Bewundernswert in seiner Radikalität, zweifellos - aber man muss diese Ausstellung auch buchstäblich erst einmal verdauen.