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"Das Langweiligste an der Hamburger Schule ist das Wort Hamburg"

Der Produzent und Musiker Tobias Levin hat die sogenannte Hamburger Schule mitbegründet. In seinem Electric Avenue Studio entsteht seit fast 20 Jahren Musik zwischen Rock, Pop und Neuer Musik.

Von Sebastian Witte | 12.08.2013
    Tobias Levin spricht viel über Fehler und dabei scheinbar erst mal in Rätseln.

    "Der Fehler ist genauso interessant, wie irgendetwas zu können, weil er nie das Ende von etwas bedeutet, sondern immer die Möglichkeit ist weiterzugehen."

    Fehler als künstlerischer Ideengeber also? Für Levin ist das Alltag. Der Hamburger erklärt sein Vorgehen. Dabei sitzt der 47-Jährige in seinem Studio umringt von Instrumenten, Mikrofonen und Tausenden Platten. Vor ihm ein massives Mischpult, mit Hunderten Knöpfen und Lichtern. Viel Technik steht hier unter niedrigen Decken und alten Holzpfeilern. Diese Technik nimmt ihm aber nicht die Arbeit ab. Wenn Tobias Levin aufnimmt, setzt er immer auf Experimente und das Bauchgefühl.

    "Der Zufall ist das, woraus Musik natürlich dauernd entsteht."

    Wenn er sich als Produzent mit in den künstlerischen Prozess einer Band einklinkt, vertraut er auch auf ungeplante Momente. Sein langjähriger Studioassistent Kristoffer Pohl sieht darin ein besonderes Merkmal von Tobias Arbeit.

    "Es geht ihm weniger um kleinere Verspieler, um Ungenauigkeiten beim Schlagzeuger. Es geht ihm darum, dass der Song sich als Ganzes gut anfühlt."

    So entstehen Platten, mit denen man Zeit verbringen will, so Levin. Würde man mit einem festen Plan ins Studio gehen, kämen dabei meistens schlechte Songs raus. Tobias hat so erfolgreiche Alben von Künstlern wie Kante, Tocotronic oder Jens Friebe produziert. Er vermutet, dass auch hier Zufall und Intuition die wichtigsten Werkzeuge waren.

    "Diese Platten bleiben mir in Erinnerung, weil es sozusagen keine geplanten Platten waren."

    Tobias Levins Lebenslauf beginnt als Musiker. 1986 veröffentlich er das Debütalbum seiner Band Cptn Kirk &. In der Presse wird in diesem Zusammenhang erstmals von Hamburger Schule gesprochen. Damit sind Hamburger Bands gemeint, die politische, philosophische und popkulturelle Einflüsse in ihren Texten mischen.

    "Ich hab die Szene als lebendig erlebt. Das ist in Hamburg immer noch so!"

    Tobias verdingt sich damals auch als Live-Gitarrist bei Blumfeld und arbeitet am zweiten Album seiner Band. Es wird schwierig für ihn, Gitarre zu spielen, denn eine Nervenstörung befällt seine linke Hand. Auch deshalb trägt das zweite Album den Titel Reformhölle. Zeitgleich beginnt er, erste Platten für andere Bands zu produzieren.

    "Als meine Hand kaputt ging, hat das zu Reformhölle geführt. Wenn Musiker Handicaps haben, geht die Kreativität andere Wege. Dass das dazu geführt hat, dass ich Platten aufnehme, glaub ich nicht. Das ist eine andere Leidenschaft."

    Diese Leidenschaft lässt ihn immer noch Platten produzieren und aufnehmen. Aktuell arbeitet er an neuen Alben der Rock-Bands Messer und Ja, Panik. Beides Gruppen, die auch mit Anleihen an die Hamburger Schule arbeiten. Es freut Levin, dass die Bands der 80er heute noch gehört werden. Wenn es um die alten Hamburger Zeiten geht, macht er auch viele kleine Scherze.

    "Die alten Bands werden wieder ausgegraben! Das ist toll. Dadurch werde ich auch wieder ausgegraben!"

    Die Hamburger Szene zu glorifizieren, hält er aber für Quatsch.

    "Ich finde, das ist völlig egal, wo das passiert ist. Das Langweiligste an der Hamburger Schule ist Hamburg. Und das Zweitlangweiligste daran ist das Wort Schule!"