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"Das Leben ist für mich Reisen und Musikmachen"

Das Einwohnermeldeamt kennt ihn als Lutz Ulbrich, die Musikwelt als Lüül. Der gebürtige Berliner gründete die Krautrockformation "Agitation Free", landete Anfang der 80er den Hit "Morgens in der U-Bahn", spielt bei den 17 Hippies Banjo, Ukulele und singt. Und macht als Solist Karriere.

Von Bernd Gürtler | 08.10.2011
    Bernd Gürtler: Beim Titelsong Ihres neuen Albums "Tourkoller" oder auch bei der Vertonung des Erich-Mühsam-Textes "Weiter, weiter unermüdlich" bekommt man als Hörer den Eindruck, dass so ein Musikerleben zwar aufregend, aber anstrengend ist. Heute hier, morgen dort, ständig auf Achse rund um die Welt?!

    Lüül: Ja, ich werd’ das jetzt öfters gefragt, weil es eben so markant ist, dieser Tourkoller als Titel für diese CD, ich hätte natürlich auch genau so gut ein Lied schreiben können Toureuphorie, das vorweggenommen. Aber Tourkoller ist schon richtig, weil in der letzten Zeit habe ich wirklich viel gespielt, vor allen Dingen mit den 17 Hippies, wo wir weltweit unterwegs sind, und da war dieses Jahr 2009, wo wir einhundertfünfzig Tage unterwegs waren, in China, in den USA, in Europa, Algerien war auch noch dabei. Also waren tolle Erlebnisse, tolle Momente, auch Superfestivals. Aber dieses Rumtouren, dieses andauernd irgendwo rumhängen müssen auf irgendwelchen Airports, in irgendwelchen Bussen, man karrt zwar von der einen Ecke in die andere, und man ist nur einen minimalen Teil der Zeit auf der Bühne oder macht Musik. Das ist mir da so richtig klar geworden, und das wollte ich einfach auch mal beleuchten aus der persönlichen Sicht. Ist natürlich etwas drastisch formuliert, aber es hat mir auch sehr viel Spaß gemacht, das Lied zu schreiben, dieses Runterrattern dieser Begebenheiten, die einem so passieren. Und, ja, es war mir ein Bedürfnis, so was zu schreiben. Aber wie gesagt, man könnte es auch anders rum drehen, weil, letztlich ist der Job natürlich ein ganz toller.

    Gürtler: Sie sind nicht nur ständig unterwegs, sondern sind ja auch meistens in mehrere Musikaktivitäten gleichzeitig verstrickt ...

    Lüül: Also ich bin an sehr vielen verschiedenen Orten immer unterwegs und auch in verschiedenen Bands, ich war jemand, der mit anderen Leuten zusammengearbeitet hat, und das macht mir sehr viel Spaß, und reisen finde ich sowieso im Leben einfach eine ganz wichtige Erfahrung, also das Leben ist für mich Reisen und Musikmachen. Und Frauen sind vielleicht auch noch wichtig. Aber diese drei Aspekte quasi. Also das ist mir sehr wichtig, das Reisen, und natürlich bringe ich dann immer Eindrücke mit, die ich dann in Geschichten, in Songs verarbeite, und natürlich auch Musik, die wir hören unterwegs, die fließt dann eben auch ein, und das finde ich auch sehr gut so.

    Gürtler: Und auch Ihr Künstlerpseudonym hat etwas mit Umtriebigkeit zu tun - ich habe gelesen, dass es an das chinesische I Ging angelehnt ist?

    Lüül: Ja, ich wurde neulich gefragt, was ist denn mein wichtigstes Buch. Da musste ich gar nicht groß überlegen, weil, das ist wirklich das I Ging, weil mir das viel schon in meinem Leben geholfen hat in kniffeligen Situationen. Wer’s nicht kennt, das ist so ein Orakelbuch, ein altes chinesisches. Und am Anfang dachte ist, dass man paar Mal eine Münze werfen, so ungefähr, ein Bild entsteht, das zu dieser Situation passt. Aber es ist tatsächlich so, bei mir zumundest hat es immer sehr gut funktioniert, und es gibt einem auch immer wieder Wege, wenn man mal in der Enge ist, die weiter führen. Es ist nie so, dass … hier ist Sackgasse, hier geht’s nicht weiter. Das heißt ja auch das Buch der Wandlungen, alles ist im Fluss, alles verändert sich. Und es gibt im I Ging ein Zeichen, das heißt Lü, also L-Ü, und das heißt "Der Wanderer", und das passt ausgezeichnet auf mich. Damit kann man rumspielen, und man kann es so drehen, dass Lüül dabei rauskommen. Und Lutz gibt’s natürlich viel mehr, deshalb bin ich auch lieber Lüül.

    Gürtler: Sie sind bei aller Reiselust fest in Berlin verwurzelt. Das ist ja bis heute Ihr Hauptwohnsitz. Und einige Lüül-Songs verbreiten richtig Kietzatmosphäre, auf dem neuen Album vor allem "Hochzeit bei Zickeschulze".

    Lüül: Das Stück ist von Fredy Sieg, einem Komponisten und Musiker auch, der, um 1800 irgendwas ist der geboren, in Prenzlauer Berg, wo wir gerade sind, wo ich auch wohne. Und das ist ja ein Gassenhauer, ein Couplet nannte man das eigentlich, der sehr bekannt ist. Ich habe den das erste Mal gehört von Evelyn Künneke. Evelyn Künneke ist auch so ein Berliner Kind, die auch so ein Star war, und die hat bis ins hohe Alter Auftritte gemacht, und die habe ich mal gesehen, in den 80er Jahren, mit diesem Lied, und das war für mich wie so ein Rap, ich war total hin und weg. Obwohl natürlich die Komposition im Original sehr Old School ist. Das habe ich etwas entstaubt, in dem Arrangement, wie ich es jetzt gemacht habe, es quasi nur einen Akkord, und das grooved halt so dahin und wird einfach so lakonisch erzählt, die Band hat auch sehr gut geholfen, dieses Unaufgeregte, das Arrangement, das Abgehangene da, und dann hat halt die Geschichte von der Hochzeit bei Zickenschulze den Vorrang, und man kann ihr ganz gut folgen, glaube ich. Und da ich vor drei Jahren selber geheiratet habe, war mir das auch Bedürfnis, darüber ein Lied zu bringen.

    Gürtler: Womit wir noch einmal bei der dritten Antriebskraft in Ihrem Leben neben Reisen und Musikmachen wären, bei den Frauen. Auch das ist ein großes Thema auf dem neuen Album.

    Lüül: Ja, obwohl auf dieser CD sind gar nicht so viele Liebeslieder, obwohl, also das eine Lied, auf das du anspielst, ist "Meine erste hieß Marianne", das ist nun wirklich auch authentisch, also ich schreibe eh authentisch, manche Sachen sind natürlich überhöht, ist klar, es ist nun mal eine Kunstform so ein Lied auch. Aber viele Sachen sind wirklich passiert, und in diesem Lied tatsächlich, und die Namen sind auch alle echt, das sind wirklich die Frauen, also einige, mit denen ich Erlebnisse hatte. Ist ja auch ein bisschen launisch ausgedrückt und formuliert und geschrieben, ein bisschen flapsig, aber auch mit einem ernsten Hintergrund, es kommt drauf an, um welche Frau es sich da handelt. Aber klar, du hast Reste, Frauen sind eine große Inspirationsquelle, nicht nur für mich, für andere Musiker auch, und ist toll, dass es sie gibt, und dass man Material findet, das man in Songs einbauen kann.

    Gürtler: Und Nico findet wieder ihren Platz.

    Lüül: Ja, die lässt mich auch nicht los, das kommt immer wieder hoch, ich werde immer wieder, wobei ich das gar nicht schlimm finde, mit Nico konfrontiert, ich meine, wir reden jetzt über die 70er Jahre, wo ich mit Nico befreundet war und wir vier, fünf Jahre auch zusammengelebt haben, in Europa und Amerika, und ich bin sehr stolz drauf und froh auch, dass ich diese tolle Frau und Künstlerin kennenlernen durfte. Also da bin ich wirklich, obwohl es mich wirklich damals an den Rand meiner Gesundheit gebracht hat, durch diese ganzen Drogen, die ich auch nahm, wir waren schon eine ganze Weile heroinsüchtig, und ich auch, aber das war ein Leben wie im Film, das war total aufregend, und ich will diese Zeit auf keinen Fall missen. Was ich da auch für Leute kennengelernt habe, grad in New York, als wir da lebten, und ich mit ihr als Musiker gearbeitet habe, das war umwerfend. Insofern, sie war so stark, so einzigartig, dass das eine ganz große Magie hatte, und es gab auch immer nur Leute, die sie gehasst und geliebt haben. Was dazwischen war nicht, sie war sehr extrem. Ich kann nicht sagen, dass ich ihre Platten andauernd höre, aber neulich gab’s mal wieder eine Gelegenheit dazu, wo ich mir gerade ihre ersten beiden, die sind ja zusammen noch mal raus gekommen als "Frozen Borderline", diese "Desertshore" und "Marble Index", das geht wirklich tief, ganz, ganz tief. Ich wüsste jetzt nicht, wer so was macht oder gemacht hat. Das hat mich beeindruckt, und es wirkt immer noch nach.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.