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Das Lebensgefühl mit 55

Richard Ford, 1944 in Jackson/Mississippi geboren und heute in Maine zu Hause, erzeugt mit einem Minimum an äußerem Geschehen ein Maximum an innerer Spannung. Seite um Seite, von Parkplatz zu Parkplatz, von Pinkelpause zu Pinkelpause begleitet er in seiner Trilogie die Fährnisse des Helden Bascombe zwischen Haddam und dessen neuem Wohnort Sea-Clift an der Küste. Die Länge der Romane spiegelt dabei auch den Anspruch auf ihre besondere und dabei ausgesprochen alltägliche Wahrheit: Ohne Ausdauer, mit der man eine missliche Situation erträgt und auf Auswege sinnt, ist die klügste Erkenntnis nichts wert.

Von Gregor Dotzauer | 22.07.2007
    Ein Name, ein Gesicht, ein Kerl: So hätte man es gerne mit Frank Bascombe, dessen Ruf als klassische Figur der jüngeren amerikanischen Literatur die Schärfe seines Profils längst übertrifft. Ja es scheint, als würde er sogar für seinen Erfinder Richard Ford, der ihm drei gewaltige Romane gewidmet hat, von Mal zu Mal weniger greifbar. Man kann sich nur damit trösten, dass nicht einmal mehr Bascombe selbst sich auf den Grund kommt:

    "Ich hatte meine Geschichte, klar, aber eigentlich keinen richtig berechenbaren Charakter, zumindest keine innere Substanz, die ich oder sonst wer für Vorhersagen nutzen konnte. Und ich fand, das konnte nicht so bleiben. Ich musste losziehen und für den wieder erkennbaren, überzeugenden Anschein eines Charakters sorgen."

    Es könnten aber auch falsche Erwartungen sein, wenn die fast 700 Seiten von "Die Lage des Landes" nicht wirklich Aufschluss darüber geben, was ihn ausmacht. Denn nur von Kirschen oder Pfirsichen bleibt ein Kern zurück - nicht von Menschen. Genau das scheint es aber zu sein, was Frank Bascombe Kopfzerbrechen bereitet:

    "Es war ja nicht so, dass ich meine Initialen für immer und ewig in die Eichenrinde der Geschichte einbrennen wollte. Es sollte nur zumindest die Chance bestehen, dass nach meinem Ableben irgendwer (meine Kinder? meine Exfrau?) meinen Namen nannte, und jemand anders sagte dann: ,Richtig. Dieser Bascombe, Mann, der war immer DING.' Oder: ,Der alte Frank, der hat immer gerne DING.' Oder, schlimmster Fall: ,Himmel, dieser Bascombe, bin ich froh, dass jetzt endlich Schluss ist mit seinem grässlichen DING.'"

    Dabei kann man nicht einmal behaupten, dass er eine Durchschnittsexistenz führen würde. Frank Bascombe liegt mit allem, was man ihm zugute halten will, darüber. Er denkt und denkt und denkt, mit dem Eifer eines 55-Jährigen, der auf dem unwiderruflich Geschehenen herumkaut, als könnte er daran noch etwas ändern. Er darf eine gehobene - auch emotionale - Intelligenz beanspruchen. Er trotzt den Wechselfällen des Lebens mit heiterer Verzweiflung und verzweifelter Heiterkeit - und immer noch ohne Mail und Handy. Er sieht als aufrechter Demokrat im Herbst 2000 mit leisem Ingrimm dabei zu, wie die Republikaner unter Führung des "Knallkopfs" George W. Bush gegen Al Gore das Rennen machen. Und er lässt den Leser mit der größten Geduld an seinen weltanschaulichen Exkursen teilhaben. Bascombe ist der originellste Küchentischphilosoph, den man sich vorstellen kann: furchtlos vor charmant aufgeschäumten Plattitüden, aber auch fähig zu zielsicher abgeschossenen Aphorismen - obwohl man nicht immer sicher ist, ob man nun mit dem einen oder mit dem anderen zu tun hat.

    "Kinder zu haben kann manchmal einer langen, nicht sehr intensiven Depression ähneln, denn nach einer Weile hat keine Seite der anderen noch viel zu geben (bis auf Liebe, was nicht immer einfach ist)."

    Als spätberufener Immobilienmakler, der eigentlich Schriftsteller werden wollte und sich dann als Sportreporter verdingte, wirft er überdies einen ganz eigenen Blick ins ökonomische Herz der amerikanischen Gesellschaft. Was er über die Schrecken einer nach allen kapitalistischen Kräfte geschürten Preisexplosion auf dem Häusermarkt berichtet, die ganze Bevölkerungsschichten vertreibt, ist nicht ohne politische Bitterkeit.

    Vielleicht lässt sich Bascombe aber auch deshalb nicht ohne weiteres mit einem scharfen Blick würdigen, weil Ford in den 22 Jahren, die seit Bascombes erstem Auftritt in dem Roman "Der Sportreporter" vergangen sind, jeden Seelenzentimeter seines Helden vermessen hat. Es könnte also sein, dass man noch einmal einen Schritt zurücktreten muss, um ihn in seiner ganzen Statur zu erkennen - durch den Bascombeschen Gedankennebel von Scheidungsärger und Kindersorgen hindurch.

    Der Bewusstseinsnaturalismus, mit dem Ford ihn betrachtet, spricht eher dafür, ihn als eine Art existenziellen Durchlauferhitzer zu betrachten. Eine Perspektive, die auch Frank von innen vertraut ist - nur dass bei ihm eben sehr gemäßigte Temperaturen herrschen.

    "Ich will gerne einräumen, dass bei dem hochgradig beliebigen Leben, dass die meisten von uns führen, eine süße Befriedigung darin liegt, dass das schon alles ist, nichts mehr da draußen, was zu fürchten wäre: der Herzanfall-Kracher; beide Füße amputiert, nachdem man an seinem Geburtstag mit dem Ski-Drachenflieger den K2 runtergesaust ist; völlige Makula-Ablösung, sodass man einen Hund braucht, um das Klo zu finden."

    In seiner Ungreifbarkeit gehört Frank Bascombe unzweifelhaft der Literatur allein. Es wäre zwar kein Problem, Bascombe im Kino ein glaubwürdiges Gesicht zu geben und das fiktive New Jersey, das er bewohnt, im realen Garden State an jeder Straßenecke zu finden. Doch ein Film, der die zwei Tage vor Thanksgiving, die er in der "Lage des Landes" durchlebt, auch nur annähernd nachvollziehen wollte, müsste mindestens zwölf Stunden dauern, und er würde zur einen Hälfte aus Autofahrten durch New Jersey mit Off-Monologen bestehen und zur anderen aus einer Rückblendenflut, die wiederum nur in innere Monologe mündet.

    Ähnlich wie in dem vor zwölf Jahren erschienenen "Unabhängigkeitstag" gönnt Ford dem letzten Teil der Bascombe-Trilogie nur Tupfer eines Plots. "Die Lage des Landes" besteht aus lose verbundenen Beobachtungen, Erinnerungen, Vorahnungen und Selbstbefragungen, Erzählschneisen, Tunneln und Schächten. Und es kann passieren, dass sich Frank erst über Seiten in die Affäre mit einer Kellnerin hinein fantasiert, um dann, als er sie in die Tat umsetzen will, vor einer wegen Thanksgiving verschlossenen Kneipentür zu stehen: Achtung, ausgeträumt!

    Mit den szenischen Inseln, die in Franks Bewusstseinstrom verankert sind, ist dieser Roman einerseits hochartifiziell und einer Moderne verpflichtet, die an Virginia Woolf erinnert. Mit seinen lakonischen Dialogfolgen, dem oft handfesten Vokabular und der detailwütigen Beschreibung der äußeren Welt steht er andererseits in der Tradition eines bodenständigen amerikanischen Storytelling.

    Die mehrmals variierte Leitfrage, die Frank sich stellt, lautet: "Bist Du bereit, deinem Schöpfer zu begegnen?" Frank liest sie in der Lokalzeitung als Schicksalsfrage, mit der ein Amok laufender Student seine Professorin konfrontiert, bevor er sie erschießt. Auch Fords Held muss sie unter verschärften Bedingungen beantworten. In der Mayo-Klinik hat er sich

    "die Prostata mit sechzig radioaktiven Smart Bombs aus titaniumumhüllten ,Schrotkugeln' namens Jod-Seeds beschießen lassen", "

    und auch jenseits der Krebs-Bedrohung läuft alles auf einen ziemlich verdorbenen "Tag des Truthahns" hinaus, wie Bascombe das bevorstehende Fest nennt.

    " "Man kann sein Thanksgiving schon als ,nicht traditionell' bezeichnen, wenn man Krebs hat und einem beim Anblick von Essen schlecht wird und man sich fast in die Hosen macht und die Polizei nach einem fragt und die Ehefrau sich nach England davongemacht hat - die Kinder noch nicht mitgerechnet."

    Was ist geschehen? Bascombes zweite Ehefrau Sally hat sich von der Wiederkehr ihres für tot erklärten Ex-Gatten so aus der Bahn werfen lassen, dass sie beschlossen hat, wieder mit ihm zu leben. Die Polizei sucht Frank, weil in der Nähe des Krankenhauses, das er im Rahmen seiner stündlichen Pinkelpausen besucht hat und in dem einst sein ältester Sohn starb, ein Sprengsatz hochgegangen ist. Und ach, die angerückten Kinder. Die 25-jährige Clarissa, eine bildhübsche Harvard-Absolventin, die beschlossen zu haben schien, für immer Frauen zu lieben, hat gerade die Freundin abserviert, auf die auch Frank ein Auge geworfen hatte. Nun findet sich an Clarissas Seite ein unerträglicher Beau fast seiner Altersklasse. Und Bascombes 27-jähriger Sohn Paul, der Texte für eine Grußkartenfirma schreibt und sich für ihn am Rand des Spießertums bewegt, hat eine so unverschämt schöne Freundin abbekommen, dass der Vater rätselt, was eine solch zauberhafte Erscheinung bewegt haben könnte, sich mit dem langweiligen Spross einzulassen. Paul spielt überdies mit dem Gedanken, in die väterliche Firma einzusteigen - wo ihm in Gestalt von Mike Mahoney, einem eingewanderten Tibeter, der seinen Buddhismus bruchlos mit seiner Begeisterung für die Republikaner zu versöhnen weißt, doch längst ein fähiger Kompagnon zur Seite steht.

    Schon der Prolog - ein Gleichnis, das Bascombe als morgendlichen Atlantikschwimmer den Weg zurück ans Land und ins Leben suchen lässt - macht klar, dass hier nicht das Schicksal waltet, sondern der eigene Wille und die eigene Wahl - oder was man dafür hält. Also muss Bascombe leben.

    "Und jetzt soll NOCH MEHR kommen? Gerade wenn man meint, man hätte Zugang zur Grabkammer des Knabenkönigs erlangt und könnte die gesättigte, uralte, stehende Luft mit finsterer Befriedigung einatmen, findet man heraus, dass es doch wieder nur ein Vorraum ist? Dass es mehr zu beobachten gibt, mehr Zeichen, die zu interpretieren sind, dass das, was man für alles hielt, nicht alles ist?"

    Richard Ford, 1944 in Jackson/Mississippi geboren und heute in Maine zu Hause, erzeugt mit einem Minimum an äußerem Geschehen - der Sprengung eines alten Hotels, einer Schlägerei, einem Besuch in einer Lesbenkneipe - ein Maximum an innerer Spannung. Seite um Seite, von Parkplatz zu Parkplatz, von Pinkelpause zu Pinkelpause begleitet er Bascombes Fährnisse zwischen Haddam, wo sein Held noch in "Unabhängigkeitstag" wohnte, und dessen neuem Wohnort Sea-Clift an der Küste. Die Länge beider Romane spiegelt dabei auch den Anspruch auf ihre besondere und dabei ausgesprochen alltägliche Wahrheit: Ohne Ausdauer, mit der man eine missliche Situation erträgt und auf Auswege sinnt, ist die klügste Erkenntnis nichts wert.

    Als hätte Frank Bascombe selbst nicht schon genug Probleme, gönnt ihm Ford obendrein das zweifelhafte Vergnügen, als ehrenamtlicher Mitarbeiter der Sponsors-Vereinigung den Problemen anderer zuzuhören.

    "Wie sich herausstellt, ist das in der modernen Welt am schwierigsten aufzutreibende Gut ein solider, uneigennütziger, allgemeiner Rat - von der Sorte, dass man auf der Kirmes nicht ins Kettenkarussell steigen soll, ohne sich vorher die Betreiber anzusehen, oder dass es sinnvoll ist, zu prüfen, ob der Reservereifen auch genug Luft hat, bevor man mit seinem Roadster Baujahr 55 eine Überlandreise von Barstow nach Banning unternimmt. Hochspezialisierte Beratung kann man in jeder beliebiger Menge bekommen. (...) Aber um schlichten, unaufwendig guten Rat und Beistand steht es schlimmer denn je."

    Ein solcher Sponsors-Besuch bringt Bascombe in einem humoristischen Kabinettstück des Romans bis ins Wohnzimmer einer ehemaligen Bettgefährtin, die ihn eine peinliche Unendlichkeit lang um die Enttarnung der gemeinsamen Vergangenheit bangen lässt.

    Noch dem schrecklichsten Moment aber versucht Frank, mit der ihm eigenen Selbstironie eine komische Wendung abzuringen oder ihm die Gelassenheit eines bei Mike Mahoney frisch angelernten Buddhisten zu schenken. Seine Erleuchtungen finden allerdings nur auf Sparflamme statt: Er scheut jede tiefer gehende Spiritualität.

    "In der reinsten, persönlich-spirituellen Weise lautet die wichtigste Motivationsfrage im Katechismus der Spiritualität, die auch eine erinnernswerte Antwort verlangt, vielleicht NICHT: ,Bin ich gut?' (was meine reichen Sponsors-Hilfesuchenden oft wissen wollen und worauf sie ihr Leben gründen), sondern: ,Habe ich überhaupt ein Herz?' Sehe ich das Gute überhaupt als Möglichkeit? Wenn ich dem Dalai Lama im ,Weg zum Offenen Herzen' folge, tue ich das definitiv. Und ich kann sagen, dass ich das auch glaube. Aber mehr davon - wie es da unten in New Jersey so schön heißt -, mehr davon ist zu spirituell für mich."

    Bedauerlich, dass sich Richard Fords weit verzweigtes Sprachkunstwerk im Deutschen immer wieder hinter ungelenken, schiefen und allzu wörtlichen Übersetzungen versteckt. Als Entschuldigung kann nur gelten, dass Frank Heibert dieses Buch, das im vergangenen November in den USA erschien, in einem Tempo durchpeitschen musste, das der lässigen Eleganz seiner hochidiomatischen Sprache und ihren manchmal absatzlangen syntaktischen Girlanden nicht gut getan hat.

    Ein böses Omen mag schon der vom Verlag gewählte Titel sein. "The Lay of the Land" ist eben nicht "Die Lage des Landes". Es handelt sich um eine im Buch vielfach umspielte Wendung, die in ihrer mehrsinnigen Unschuld zunächst einfach den "Stand der Dinge" meint. Ford gibt zwar sehr wohl eine Diagnose zur Lage der Nation ab. Sie wird aber überlagert von einer persönlichen Bilanz, die das, was die Welt auf ihren Schultern trägt, ausdrücklich gegen die privaten Beschwernisse abwägt - und das Private dabei die Oberhand behalten lässt.

    "Das traurige Schicksal der Flüchtlinge in Gaza, die Debatte um den zukünftigen Euro, die abschmelzende Eiskappe am Pol, das lang gefürchtete Riesenerdbeben, das auf die Bucht von San Francisco zurumpelt wie eine Flotte Harley-Davidsons, das Schwermetall in der Muttermilch - all das erschien mir furchtbar, doch, doch, aber von meinem Ende des Teleskops aus, ehrlich gesagt, erträglich."

    Ein sprachliches Ärgernis sind schon, weit über Einzelfälle hinaus, Heiberts Anglizismen. Man muss gar nicht Englisch können, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie miserabel Ford an vielen Stellen im Deutschen klingt. Da heißt es:

    "Womit ich gar nicht gerechnet hatte, ist Aktivität in meiner Einfahrt."

    Oder:

    "Vielleicht ist es der potenziell übersättigende Feiertag - dieser rekapitulierende, puritanische und daher trügerischste aller Feiertage."

    Jemandes Charakter bietet

    "guten Wert"

    (good value). Man macht

    "palliative Spaziergänge am Strand von Lake Michigan". "

    Frank leugnet, ein

    " "Herausfinder oder Verbreiter"

    (inquirer or divulger) zu sein. Eine Bar dient ihm als

    " perfekter Landeplatz für den nicht zielführenden Dienstag vor Thanksgiving". "

    (It's the perfect place to end up on a going-nowhere Tuesday before Thanksgiving.) Und was soll es heißen, wenn eine

    " "Nacht immer geistiger"

    wird? (the night spirited on) Das alles sorgt jedenfalls nicht gerade für

    "willkommenheißende Gefühle". "

    Generell gilt: Wo im Amerikanischen ein Partizip auftaucht, da wird man es meist auch im Deutschen finden. Und wo ein zusammengesetztes Bindestrich-Monster um Entkoppelung bittet, da wird es garantiert beibehalten, von der

    " "Herunterkurbelbewegung"

    über die

    "Näher-an-der-Heimat-Front"

    und das

    "Beinahe-Dazugehören"

    bis zum

    "Jüdischer-Metzger-Zwinkern". "

    Und kein Mensch wird verstehen, was der folgende Satz bedeutet:

    " "Das A und O des Lebens war komplex genug, um daraus einen Pullover zu stricken, der so groß war wie der ganze Scheißozean."?

    Da müsste man glatt zurückfragen:

    "Gab es einen akzeptierten Ansatz, solch eine Brüskierung wieder in Ordnung zu bringen, neben dem schieren Instinkt? "

    Kurz: Von Fords Sound hört man oft nur ein schwaches Echo. Nur gut, dass "Die Lage des Landes" stark genug ist, einen über solche Untiefen hinweg zu tragen.

    "Unabhängigkeitstag" war 1995 die erste große Symphonie im Konzert der Fordschen Vergeblichkeiten - deutlich unterschieden vom maulfaulen, mit Wörtern geizenden Pathos seiner frühen Shortstories, wie man sie in dem Band "Rock Springs" findet. Unterschieden auch vom elegischen Kammerton seiner Novelle "Wildlife", Fords bis heute bestem kleinen Buch. Noch "Der Sportreporter" kam aus dieser Welt.

    Im "Unabhängigkeitstag" wähnte sich Bascombe in einer "Existenzperiode", einem Zustand, in dem er sich gegen wirkliche Katastrophen unter anderem damit schützte,

    " "dass Krisen an einem vorbeisegeln wie Boote", und "dass es ein verdammt guter Durchschnitt ist, wenn man eine von sechs bewältigt, und dass man den Rest einfach ziehen lassen muss."

    Nun hat er sich in eine so genannte "Permanenzphase" begeben. Das

    " "Ende des ständigen Werdens und des Glaubens, dass das Leben noch viele wundervolle Veränderungen" bereithält, "

    macht ihn aber auch unzufrieden: Die Ironie des Begriffs besteht natürlich darin, dass auf Bascombes schwankendem Grund nichts von Dauer ist. Man muss Ford deshalb gegen den Vorwurf verteidigen, er habe sich darum gedrückt, den 11. September zu verarbeiten. Einerseits denkt man als Leser ständig mit, dass die Geschichte nur einen Wimpernschlag davon entfernt ist. Andererseits kann man sich fragen, ob Bascombes Amerikabild sich davon hätte irritieren lassen - und ob es davon im geringsten entwertet wird.

    "Die Lage des Landes", der krönende Abschluss der Bascombe-Trilogie, ist eine hinreißende Expedition in das Lebensgefühl mit 55. Man muss die Figuren, die Ford wie zu einem Klassentreffen zusammenruft, aber nicht kennen, um die Verwunderung zu teilen, mit der Frank Bascombe seine Wegbegleiter aus vergangenen Tagen mustert, als wäre er als einziger an einem verlässlichen Punkt des Lebens stehen geblieben.

    Ob er in "Die Lage des Landes" seiner ersten Frau Ann Dykstra begegnet, die ihm in einer Anwandlung erschreckender Versöhnlichkeit vorschlägt, sich wieder mit ihr zusammenzutun. Oder ob er der schieren Möglichkeit einen Treffens mit seiner einstigen Freundin Vicki ausweicht - in dunkler Ahnung, was die Zeit ihrer erotischen Üppigkeit angetan haben könnte: Die Drohung, dass etwas unwiederbringlich verloren geht, konkurriert mit der Drohung, dass etwas nicht aufhören will und sich bis in alle Ewigkeit fortsetzt. Von all dem erzählt Ford meisterhaft komisch - und auf eine anrührende Weise tröstlich.

    Richard Ford: Die Lage des Landes. Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Berlin Verlag, Berlin 2007. 683 Seiten, 24,90 Euro.
    Richard Ford: The Lay of the Land. Vintage/Random House. 496 Seiten, ca. 8,90 Euro. Das Taschenbuch erscheint am 24. Juli.