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Das letzte Loch

Technik. - Auch wenn die neue Absaugglocke im Golf von Mexiko funktioniert, sie ist nur eine Zwischenlösung. Endgültig soll eine Entlastungsbohrung das Leck tief unter der Erde direkt an der Lagerstätte versiegeln. Derzeit laufen zwei dieser Bohrungen: Falls die eine versagt, ist die andere nah genug am Ziel, um sofort den nächsten Versuch zu starten.

Von Dagmar Röhrlich | 14.07.2010
    "Inside this room we have a group of very committed, highly skilled technical people that from day one..."

    Kent Wells stellt die Mannschaft vor, die seit dem Untergang der "Deepwater Horizon" die beiden Entlastungsbohrungen plant und ihre Durchführung überwacht. Es ist ein Firmenvideo, abrufbereit ins Internet gestellt. Wells, der zur Führungsebene von BP gehört, verbringt seit Wochen einen Großteil seiner Arbeit damit, auf Pressekonferenzen und vor BP-Kamerateams die nächsten Rettungsmaßnahmen zu erläutern.

    "Bei einer Entlastungsbohrung gibt es drei Phasen. Die erste besteht darin, so schnell es geht an Tiefe zu gewinnen und in diesem Fall in die Nähe des Macondo-Bohrlochs zu kommen. In der zweiten geht es um Präzision."

    Diese zweite Phase läuft gerade. Tief unten im Felsen nähert sich die Hilfsbohrung dem Macondo-Bohrloch, aus dem seit der Havarie der Deepwater Horizon Öl und Gas schießen. Was sich harmlos anhört, ist eine technische Meisterleistung: Die Mannschaft an Deck der Bohrplattform Development Driller III peilt über 1600 Meter Wasser und 5200 Meter Gestein hinweg das etwa DIN-A5-große Macondo-Bohrloch an, um punktgenau von der Seite her hineinzubohren. Paul Bommer von der University of Texas in Austin:

    "Das Problem für BP besteht darin, mit dem neuen Bohrloch das alte zu treffen. Seit die Ingenieure mit der Entlastungsbohrung nahe genug an das Macondo-Bohrloch herangekommen sind, setzen sie magnetische Messungen ein, um die genaue Bohrrichtung zu bestimmen. Das heißt, sie bohren 30, 40 oder 50 Meter. Dann wird das gesamte Bohrgestänge herausgezogen, was bei diesen Tiefen ein bis zwei Tage dauert. Anschließend wird eine Sonde herabgelassen. Um die Lage der Macondo-Bohrung zu bestimmen, setzt sie das umgebende Gestein unter Strom."

    Dieser Strom induziert im Stahlrohr der Macondo-Bohrung ein Magnetfeld. Ein Sensor in der Sonde misst die Stärke und Richtung dieses Feld, und aus den Daten lässt sich die genaue Lage des Ziels berechnen. Von dem geplanten Eindringpunkt war die erste Hilfsbohrung gestern etwa 30 bis 50 Meter entfernt - und nun gehen die Arbeiten besonders vorsichtig und langsam voran.

    "Wenn sich die beiden Bohrungen getroffen haben, wird eine Fräse hinabgeschickt, die ein Loch in die Macondo-Bohrung schneidet. Anschließend werden Unmengen an schwerem Bohrschlamm aus Schwerspat und Hämatit mit hohem Druck in das Bohrloch gepumpt. Der Bohrschlamm soll in dem alten Bohrloch einen Pfropfen bilden, der dem mit 900 Bar aus der Lagerstätte schießenden Öl- und Gasgemisch Widerstand leistet. Irgendwann wird der Druck des schweren Pfropfens so hoch, dass das Reservoir nicht weiter fließen kann."

    Ist das Macondo-Bohrloch verstopft, beginnt Phase drei der Rettungsaktion: Es wird mit Spezialzement versiegelt - und zwar von oben und von unten her, damit nichts passieren kann. Dann wäre der Ausbruch Geschichte - falls alles klappt.

    Diese Bottom Kill genannte Operation gilt als zuverlässig, birgt aber Risiken: Zum einen muss die Bohrmannschaft sehr vorsichtig sein, damit es nicht wieder zu einem Ausbruch kommt. Und - der Bottom Kill funktioniert nicht immer beim ersten Mal. Nach einem Unfall in der Timorsee brauchten die Rettungsmannschaften sechs Anläufe. Deshalb lässt BP von der Plattform Development Driller II eine zweite Hilfsbohrung abteufen, Die Mannschaft dieser Bohrung wartet derzeit, was passiert, kann aber sofort weitermachen. Falls auch diese Bohrung versagt - was bleibt dann? Erneut zu bohren, urteilt Paul Bommer, denn die sinnvollen Alternativen seien ausgeschöpft.

    "There isn't another serious alternative."