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Das Londoner Café Spiritland
Ein Ort, der Wellness fürs Ohr verspricht

In der Cafébar "Spiritland" in London sollen Briten das gepflegte Zuhören lernen. Mit einem ausgetüftelten Soundsystem und feinen Kopfhörern soll der Musik hier die volle Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Von Ruth Rach | 27.05.2017
    Musik auf Vinyl boomt: Zu sehen ist die Beatles Platte "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band".
    Musik auf Vinyl boomt: Zu sehen ist die Beatles Platte "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band". (picture alliance / Daniel Kalke)
    Ein Paradies für Audiophile: Hier dudelt Musik nicht einfach nebenbei. Das Spiritland in London ist mit einem ausgetüftelten Soundsystem ausgestattet, auch feine Kopfhörer liegen bereit. In seiner Cafébar sollen die Briten das gepflegte Zuhören lernen, wünscht sich Paul Noble.
    Schon die schwarze Tafel hinter der diskret durchgestylten Bar setzt ein Zeichen. Oben auf dem Menü eine kurze Liste mit Barfood - Craftbiere, Bioweine, Häppchen, darunter eine lange Liste mit den "Selektoren der Woche", die fürs tägliche Hörmenü verantwortlich sind.
    Es ist früher Nachmittag. Die Bar ist halb voll. Kreativler, Geschäftsleute, Verliebte. Sie führen intensive Gespräche, spielen mit ihren Laptops. Ein paar schließen die Augen, hören intensiv zu.
    Feine Kopfhörer und riesige Lautsprecher
    Spiritland ist kein ordinäres Café. In durchsichtigen Regalen ruhen feine Kopfhörer, die Glasvitrinen offerieren Schalttafeln, LPs, und Bücher mit Titeln wie "Future Days, Krautrock und die Geburt des Modernen Deutschlands". Am anderen Ende des Hörtempels, der Hochaltar. Zwei mannshohe Lautsprecher von vollendeter Qualität. Ob Möbel, Wände, Fußboden, das ganze Interieur steht im Dienste der optimalen Akustik.
    Für Musikliebhaber ist dies der Himmel auf Erden, sagt Paul Noble, der Gründer von Spiritland. Zwei Jahre hat es gedauert, bis der ehemalige BBC-Producer und Kevin Scott von der Lautsprechermanufaktur Living Voice das ideale Soundsystem für den Raum ausgetüftelt hatten. Ein Unikat im Wert von einer halben Million Pfund.
    Paul Noble: "Unsere Mission besteht darin, Musik zu zelebrieren. Die Leute zu bekehren, damit sie einem Album, einem Künstler wieder ihre ganze Zeit, ihre volle Aufmerksamkeit schenken. Sich abwenden von der Art und Weise, wie die Musik heutzutage vermarktet und konsumiert wird. Zerstückelt, oder als Background Streaming auf immer kleineren Geräten. Klar wollen manche Besucher hier im Spiritland auch miteinander reden. Aber wir haben auch Abende, wo wir den Raum abdunkeln und das Publikum bitten, einem Stück von Anfang bis Ende zuzuhören."
    Von Nische bis Mainstream
    Links vom Eingang die Konsole für den DJ - ein audiophiles Spielzeugparadies mit Plattenspielern, CD-Spielern, Tonbandgeräten und einem Mischpult aus gleissendem Messing. Wer hier mit einer MP3 ankäme, würde der Blasphemie bezichtigt:
    "Im Spiritland keine gibt es keine Tanzfläche, deshalb müssen unsere DJs das Publikum nicht mit irgendwelchen Dauerbrennern künstlich aufputschen, sondern können genau die Musik abspielen, an die sie glauben, eine sehr befreiende Erfahrung. Wir buchen Leute, die musikalisch glaubwürdig sind – große Namen wie Jarvis Cocker. Oder Hot Chip. Der Schauspieler Bill Nighie war auch schon hier, und der Schriftsteller Nick Hornby. Sie bieten eine fantastische Auswahl an. Americana, Country und Western, Soundtracks der 70er-Jahre, Japanische Jazzausgaben der 50er. Das Menü kann sehr 'niche' sein, oder auch ausgesprochen 'mainstream'."
    Aber können meine berufsgeschädigten Ohren wirklich noch völlig neue Nuancen entdecken. Erst nach dem zweiten Glas Biowein mache ich ein neues Hörgefühl aus. Warm und doch klar und wohlig raumumfassend, wobei das Quatschen der Mitmenschen gar nicht sonderlich stört. Ob das eine kollektive Erfahrung ist?
    Die Musik spielt die Hauptrolle
    Alex, ein junger Toningenieur, ist zum ersten Mal hier. Er weiß den Sound zu schätzen:
    "Mich ärgert es in Cafés zu sitzen, in denen Musik wie ein Gebrauchsgut behandelt wird. Auch wenn hier im Moment nicht jeder zuhört, so finde ich es doch toll, dass hier im Spiritland die Musik die Hauptrolle spielt."
    Für Ameachi wiederum ist zwar das Spiritland neu. Aber nicht die Gegend. Er ist in Kings Cross aufgewachsen:
    "Die meisten Leute die hier sitzen, haben keine Ahnung wie es hier früher ausgesehen hat, eine No-go-Area, total verkommen. Und jetzt plötzlich total angesagt. Der Sound ist gut, warm und angenehm. Aber große Lautsprecher sind mir nichts Neues, ich habe afrokaribische Wurzeln. Auf unseren Partys gab's noch viel größere Boxen. Aber klar, die hier sehen viel cleaner aus, und klingen viel raffinierter."
    Wellness für die Ohren also, auf höchstem Niveau. Da könnte einem das Wort "elitär" einfallen. Von wegen, betont Paul Noble – das Spiritland könnte kaum demokratischer sein:
    "Jeder kann hier schnell mal auf einen Kaffee reinkommen und ein Soundystem erleben, zu dem er nie Zugang hätte, es sei denn, er ist mit einem Milliardär befreundet."
    Die Auswahl der Musik bleibt allerdings den "Selektoren" vorbehalten. Ein Wunschkonzert im Spiritland – das wäre dann doch zu demokratisch.