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Das Louis-Lewandowski-Festival 2016 in Berlin
Synagogalmusik im Fokus

Es ist das einzige Festival für synagogale Musik in Deutschland, findet in Berlin statt und ist benannt nach dem prägenden deutschen jüdischen Komponisten im 19. Jahrhundert: das Louis-Lewandowski-Festival. Das bot in diesem Jahr erstmals einen Blick in die jüdische Musikkultur in Renaissance und Barock – ein bislang kaum beackertes Feld.

Von Claus Fischer | 19.12.2016
    "Seit der Zerstörung des Tempels hat man eigentlich gesagt, daß Musik nicht mehr aufgeführt werden sollte im Gottesdienst",
    sagt Regina Yantian, Synagogalmusikerin und künstlerische Leiterin des Louis-Lewandowski-Festivals…
    "Weil im Tempel ja gesungen und mit Instrumenten gespielt wurde. Und aus Trauer über die Zerstörung des Tempels sollte eben in Zukunft keine Musik zu hören sein in der Gebetsmusik."
    Die Renaissance in Italien mit ihrem neuartigen Welt- und Menschenbild änderte diesen Zustand. Der Impuls dazu kam aus der weltlichen Musikpraxis.
    "Es gab außergewöhnliche Musiker und Tänzer, jüdische Musiker und Tänzer, die bei Hofe eingestellt wurden."
    Einer von ihnen, Salomone Rossi, war mit Claudio Monteverdi befreundet und hat womöglich bei den Uraufführungen von dessen Oper "Orfeo" und von der Marienvesper in San Marco als Geiger mitgewirkt
    "Dann hat er sich wahrscheinlich gedacht: Das wünsch ich mir auch für meine Synagoge! Es gibt 33 Stücke von ihm, die wirklich mit liturgischen Texten zu Gebeten des normalen Shabbatgottesdienstes versehen sind.
    Damit wurde Salomone Rossi zum Vater neuzeitlicher Synagogalmusik. Und ebenso wie Freund und Lehrer Claudio Monteverdi vollzog er die Entwicklung vom madrigalischen Kompositionsstil hin zur sogenannten "Seconda Pratica". Werke beider Stilistiken waren beim Louis-Lewandowski-Festival zu hören, großartig dargeboten vom derzeit weltweit führenden Ensemble für Alte jüdische Musik, "Profeti della Quinta" aus Basel.
    Ambitionierte Laienchöre im Zentrum des Festivals
    Die Mitglieder des Ensembles "Profeti della Quinta" sind professionelle Musiker. Im Zentrum des Louis-Lewandowski-Festivals stehen allerdings besonders ambitionierten Laienchöre. Denn sie sind es schließlich, die die Musikpraxis in den Synagogen weltweit prägen.
    "Chorarbeit lebt davon, daß alle mitmachen und einbezogen werden. Wir wollen das nicht trennen",
    …betont Nils Busch-Petersen, der Initiator des Lewandowski-Festivals…
    "Ich lege allergrößten Wert, daß es kein reines Profifestival wird, sondern wir auch guten Laienchören die Möglichkeit geben, hier aufzutreten, und dann erst merkt man doch, wie wunderbar Chorgesang ist. Und damit setzen wir Meilensteine und geben Impulse in die Gemeinden, das auch ins Repertoire aufzunehmen."
    Für Puristen in Sachen historischer Aufführungspraxis mag es grenzwertig erscheinen, wenn ein 40-köpfiger gemischter Laienchor synagogale Kompositionen von Salomone Rossi aufführt – ähnlich als würde eine große evangelische Kantorei etwa Heinrich Schütz interpretieren. Doch die Pflege der eigenen musikalischen Tradition ist für die religiöse Identität wichtig und hält das Erbe lebendig.
    Der "Lewandowski Chorale" aus Johannesburg wurde von Synagolamusiker Alan H. Golding gegründet, nachdem er als Zuschauer das Abschlußkonzert des Lewandowski-Festivals 2011 in Berlin miterlebt hatte. Die Mitglieder haben in den letzten Monaten nicht nur enorm viel Zeit investiert, um Musik von Salomone Rossi einzustudieren, sondern sie haben auch zahlreiche Konzerte gegeben, um die Reise nach Berlin zu finanzieren.
    Wesentlich kürzer war die Anreise nach Berlin für den Leipziger Synagogalchor. Dieses rund 30-köpfige Ensemble – zu DDR-Zeiten das einzige seiner Art – ist ein Sonderfall innerhalb der Szene, denn es hat keine jüdischen Mitglieder.
    "Aber in der Praxis merkt man, daß es da keine Trennung gibt",
    …sagt Chorleiter Ludwig Böhme und freut sich über zahlreiche Begegnungen beim Festival, die sich u.a. beim eindrucksvollen Konzert mehrerer Chöre in einer historischen Fabrikhalle ergaben.
    "Grundsätzlich hab ich immer ein sehr positives Feedback bekommen von Juden, die merken, dass wir als Nichtjuden ihre Musik aufführen".
    Musik: Rittnagel, Hymne zum Pessachfest
    Suche nach Kontinuität
    Eine Hymne zum Pessachfest, niedergeschrieben vom Königsberger Professor für orientalische Sprachen Johann Stephan Rittnagel. Der Leipziger Synagogalchor demonstrierte beim Lewandowski-Festival, daß auch in der Zeit des Hochbarock mehrstimmige synagogale Musik entstanden ist. Allerdings nur an wenigen Orten in Europa, sagt die künstlerische Leiterin Regina Yantian.
    "Daß es jetzt eine Kontinuität gibt von Synagogalmusik bis ins 19. Jahrhundert, das kann man so nicht sagen."
    Eine ähnlich prägende Gestalt wie Salomone Rossi in der Zeit des Frühbarock ist für die spätere Phase der Epoche nicht bekannt.
    "Wobei wir nicht genau wissen, ob wir schon alles wissen, was wir wissen könnten. Also es gab einen sehr großen Musikwissenschaftler in Israel, Israel Adler, ursprünglich aus Berlin, der leitete das Jewish Music Research Center in Jerusalem, und der hat auch noch andere Stücke gefunden."
    Mit dem von Israel Adler wiederentdeckten "Canticum Hebraicum" des aus Südfrankreich stammenden Komponisten Louis Saladin, aufgeführt vom Synagogalensemble Berlin unter Leitung von Regina Yantian klang das diesjährige Louis-Lewandowski-Festival gestern Abend aus. Es bot Einblicke in einen musikalischen Kosmos, den es unbedingt zu entdecken lohnt.
    Musik: Louis Saladin, Canticum Hebraicum