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Das Madagaskar-Rätsel
Wer waren die ersten Siedler auf der Insel?

Madagaskar, die viertgrößte Insel der Welt, wurde relativ spät besiedelt. Wer die ersten Bewohner waren und ob sie aus Ostafrika oder eher aus Südostasien kamen, ist noch unklar. Auf einer Fachtagung im schwedischen Uppsala suchen Genetiker und Archäologen gemeinsam nach einer Antwort.

Von Michael Stang | 24.05.2019
Eine Madagassin mit traditioneller Gesichtsbemalung
Eine Madagassin mit traditioneller Gesichtsbemalung (picture alliance / MAXPPP)
Wenn es für Genetiker ein kniffliges Rätsel zu lösen gibt, dann ist es die Geschichte von Madagaskar. Denis Pierron vom CNRS in Toulouse geht dieser Frage seit mehr als zehn Jahren nach – und ist eigenen Angaben zufolge auf einem guten Weg. Denn er konnte die Daten aus mehr als 250 Dörfern untersuchen.
"Wir haben 3.000 genetische Proben aus ganz Madagaskar analysiert und können nun den Ursprung der heutigen Menschen dort besser verstehen. Der genetische Ursprung ist ein Mix aus afrikanischen Populationen und Gruppen aus Indonesien, und dieser entstand erst vor gut 1.000 Jahren."
Noch ist unklar, wann und in welcher Reihenfolge die jeweiligen Gruppen nach Madagaskar kamen. Theoretisch hätten sie auch Jahrtausende lang parallel dort gelebt haben können, bevor sie vor 27 oder 26 Generationen in der heutigen madagassischen Population aufgingen.
"Überraschend ist aber, dass alle Individuen in unserer Datenbank diesen Mix aus Afrika und Asien zeigen. Alle Studienteilnehmer tragen das Erbgut beider Kontinente in sich."
Genetischer Schutz vor Malaria
Bei der Detailanalyse des Y-chromosomalen Erbes entdeckte Denis Pierron mehr typische afrikanische Eigenheiten, auf der mütterlichen, mitrochondrialen Seite eher asiatische. Die Frage ist nun, wie es zu diesem genetischen Mix gekommen ist. Welche genetischen Varianten aus Asien waren vorteilhaft in der neuen Umgebung, welche afrikanischen Eigenheiten haben sich durchgesetzt? Erste Anhaltspunkte gibt es bereits.
"Wir haben ein Gen entdeckt, das nahezu alle Menschen in Madagaskar tragen. Dieses stammt aus Afrika und schützt vor Malaria."
Das sind aber nur die genetischen Einblicke in die jüngere Geschichte Madagaskars. Um auch die frühe Historie zu ergründen, führt Chantal Radimilahy im Rahmen des Konsortiums MAGE die "harten" Daten aus der Naturwissenschaft mit Erkenntnissen aus den Kultur- und Sozialwissenschaften zusammen. Die Archäologin forscht an der Universität von Antananarivo, der Hauptstadt Madagaskars.
Die Spur führt weit in die Vergangenheit
"Wenn wir die genetischen Ergebnissen mit denen aus der Archäologe, Anthropologie und Ethnologie verbinden, können wir vielleicht eine Spur zu den Ahnen der ersten Menschen auf Madagaskar finden."
Eine solche Spur führt immerhin schon deutlich weiter zurück als die 1000 Jahre der genetischen Analysen allein. An den Knochen heute ausgestorbener Primaten und Riesenvögel konnte ein Forschungsteam Ende 2018 nachweisen, dass diese Tiere auf Madagaskar vor rund 4.500 Jahren geschlachtet wurden. Sterbliche Überreste der damaligen Jäger gibt es nicht. Denn das tropische Klima zersetzt organisches Material zum Leidwesen vieler Forscher meist binnen kurzer Zeit.
Kulturelle Identität keine Frage der Herkunft
Nun ist die große Frage, ob diese Jäger aus Afrika kamen, aus Ostasien oder ob es noch ein ältere Bevölkerung gab, deren Spuren heute verschwunden sind. Egal, woher die ersten Bewohner ihrer Insel kamen: Auf die Frage, wie es um die Identität der Menschen in Madagaskar bestellt ist, gebe es keinen Zweifel, so Chantal Radimilahy.
"Es ist Madagaskar. Wir können nicht sagen, dass wir Afrikaner sind, dass wir aus Südostasien kommen oder aus Indien. Wir haben uns hier niedergelassen, und die Menschen sind Madagassen - das ist unsere kulturelle Identität."