Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Das Medium ist die Botschaft

Viele Wissenschaftler gehen der Frage nach, wie sehr Massenmedien unseren Alltag prägen. Einer der ersten, der die Frage nach der Wirkung der neuen Medien auf den Menschen gestellt hat, war Marshall Mc Luhan, der heute 100 Jahre alt geworden wäre.

Von Peter Leusch | 21.07.2011
    The Medium ist the message. Das Medium ist Message, so lautet die provozierende These des kanadischen Medientheoretikers Marschall McLuhan, wobei er sich nicht allein mit Begriffen an den Verstand, sondern multimedial an alle Sinne wandte. Denn technische Medien und menschliche Sinneswahrnehmung hängen für McLuhan eng zusammen, erläutert der Philosoph Dieter Mersch, der an der Universität Potsdam Europäische Medienwissenschaft lehrt.

    "Das ist in der Tat der erste Zugang, dass er von den Sinnen ausgeht, dass er die Sinneserweiterungen, die Sinnesprothesen untersucht: Wahrnehmung ist dasjenige, was überhaupt erst durch mediale Prozesse konstituiert wird, das heißt dass es also gar nicht so sehr um die Inhalte geht,- also die Botschaft ist nicht das, was wir gerade sehen, das was wir lesen, was in den Texten steht, sondern es geht um die Formierungsprozesse selber und das ist die eigentliche Botschaft - und er hat dann auch zusammen mit Quentin Fiore, ein Buch veröffentlicht mit dem bezeichnenden Titel nicht The medium is the message, sondern The medium is the massage."

    Eigentlich handelte es sich um einen Fehler des Schriftsetzers, der e und a verwechselt hatte. McLuhan aber soll, als er die Druckfahnen sah, begeistert ausgerufen haben: 'Lasst es so. Es ist großartig und genau richtig.‘ Denn der neue Titel pointierte auf freche Weise genau das, was McLuhan sagen wollte: Die Medien wirken auf unsere Sinne, sie massieren gleichsam unser gesamtes Sensorium, so wie die Werbeindustrie Auge und Ohr bearbeitet. Und dabei sei das Thema zweitrangig, egal ob es Shakespeare, Shampoo oder Schizophrenie heißt. Entscheidend so McLuhan, sei es herauszufinden, wie jedes Medium in spezifischer Weise die menschliche Wahrnehmung und das Denken beeinflusst. Denn, so schreibt er:

    Wir formen unsere Werkzeuge, und dann formen die Werkzeuge uns.

    Martina Leeker:
    "Im Kern ist McLuhans Idee, dass Medien eine Extension, eine Veräußerung des menschlichen Körpers sind, Veräußerung und Erweiterung, das würde heißen, dass zum Beispiel das Rad eine Erweiterung des Fußes oder der Gehwerkzeuge wäre, so dass ich dann sozusagen nicht mehr selber laufen muss, sondern eben per Fahrrad, Auto, Zug, transportiert werde beziehungsweise mich beim Fahrrad selber mit anstrenge, oder die große These, die er hat, dass der Computer eine Veräußerung des menschlichen Gehirns sei, der Funktionalität, die das Gehirn hat."

    McLuhan, so die Berliner Medienwissenschaftlerin Martina Leeker, begreift Medien und Technik generell vom menschlichen Körper her, als eine Erweiterung der Sinnesorgane. Der anthropologische Ansatz ist durchaus traditionell, man findet diesen Gedanken schon bei Johann Gottfried Herder, auch Sigmund Freud bezeichnet den Menschen als Prothesengott. Neu und revolutionär ist aber die Konsequenz, die McLuhan daraus für die Analyse von Medien zieht.

    Ging doch die zeitgenössische Medientheorie bis in die 90er-Jahre von der These aus, Technik und Medien seien neutral, gleichsam bloße Behälter. Dementsprechend konzentrierte man sich allein auf die Ideen oder Ideologien, die darin transportiert würden. McLuhan dagegen schaute darauf, wie die Medien als Medien auf den Menschen wirken, insbesondere in ihrem Zusammenspiel. Dieter Daniels:

    "Das ist das, was seine Aktualität heute ausmacht, in der klassischen Medientheorie wird stark separiert, hier ist Audio, dort ist bewegtes Bild, hier ist Schrift und Code. Und er hat von Anfang an integrale Medienwirkungen gesucht und die auch ganz stark aus eigenen Erlebnissen versucht analytisch einzugrenzen. "

    Dieter Daniels, Medientheoretiker an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, weist darauf hin, dass McLuhans theoretische Erkenntnisse auch eine Entsprechung in der Praxis finden, vor allem in der Art wie McLuhan Bücher schreibt.

    Weit mehr aber als das Schreiben hat McLuhan das Reden geliebt, nicht nur über Medien, sondern auch und vor allem in den Medien. McLuhan war in den späten 60er und in den 70er Jahren ein begehrter Studiogast in Radio und Fernsehen, eine Art intellektueller Guru der Popkultur und der neuen Medien. Als er 1970 in einer Talkshow nach den negativen Effekten des Fernsehen gefragt wurde, und ob es nicht die lebendige Unterhaltung zerstöre, konterte er:

    TV macht Talkshows möglich. Es verlangt die Beteiligung des Publikums. Man kann keine Talkshow haben ohne Publikum. Es nimmt daran teil wie an einem Fußballspiel. Ohne Publikum gibt es auch kein Spiel. In einem leeren Stadion, da hat man ein Training, aber gar kein Spiel. Also ohne Fernseh-Publikum gibt es keine Show- ... Und das Fernsehmedium geht direkt ins menschliche Nervensystem, es geht direkt in den Bauch. Es ist ein innerer Trip, und der Fernsehzuschauer ist high. (Lachen) Fernsehen macht süchtig wie Ihre Talkshow.

    Fernsehen - so argumentiert McLuhan - mache nicht passiv. Denn der Zuschauer müsse aus den Lichtimpulsen, die auf den Bildschirm geschossen werden, aus dem Pixelmuster, erst noch ein Bild zusammensetzen. Er sei also aktiv beteiligt, und das gleichzeitige Beieinander von Bild und Ton schaffe eine synästhetische Erfahrung. Und McLuhan geht noch einen Schritt weiter: Medien wie das Fernsehen formen nicht nur die Wahrnehmung, sie beeinflussen auch die sozialen Beziehungen, ja sogar die kulturelle Identität:

    Indem das Fernsehen die Leute nach innen lenkt, drängt es uns in Richtung östliche Welt. Und genau wie der Osten Richtung Westen geht, gehen wir nach Osten. Das ist extrem revolutionär. Es nimmt dem westlichen Europa viel von seiner privaten Identität. Und das macht viele Leute sehr traurig. Der Identitätsverlust ist sehr beunruhigend, mehr und mehr Leute ziehen diese Gruppenorientierung vor, die man zum Beispiel in Talkshows findet. Sie suchen eine Art des Zusammenseins, während Leute , die aus einem Film kommen, wie taub sind. Da gibt es sehr wenig Gespräch. Sie scheinen abseits in einer Welt individuell privater Erfahrung. Fernsehen hingegen tendiert dazu stärker sozial zu sein, weniger isolierend als der Film.

    McLuhans Folie bildet eine Kulturtheorie, in der die Medien die Hauptrolle spielen. Am Anfang stand eine orale Kultur, die noch keine Schrift kannte. Hier herrschte eine unmittelbare Kommunikation, in der Wort, Ton, Geste und Mimik alle Sinne zugleich ansprachen. Dann folgte eine Schriftkultur, die im Buch gipfelte: die Gutenberggalaxis, so der Buchtitel McLuhans. Die Schrift jedoch richtete - vereinfacht gesagt - das Denken linear aus: erst A dann B dann C. Sie führte letztendlich zu Abstraktion und Individualismus. Mit den neuen Medien - Fernsehen, Radio, Telefon - die nun Bilder und Töne aus aller Welt in unser Erleben rückkoppeln, entstehe, so hoffte Mc Luhan eine neue ganzheitliche Kultur der Nähe. Er nannte es das global village. Martina Leeker:

    "Dieses global village, also globales Dorf -, was er verglichen hat mit Stammeskulturen und deren Art und Weise sich zu organisieren, dass wir zusammenwachsen, dass wir ganz schnell über alles Mögliche informiert sind, und dann - in Bezug auf seine Extension-These, der Erweiterung und Veräußerung des menschlichen Organismus: dass hier das zentrale Nervensystem nach außen gestülpt sei, dass wir sozusagen wie angesteckert sind in den Strömen von Daten, von Signalen, die jetzt über die unterschiedlichen Apparate, die elektromagnetischen Wellen, die in der Welt sind, hinwegjagen, hindurchjagen, und dass wir da sozusagen geplugged sind, eingesteckert sind, und selber ganz nervös werden ob dieser ständigen Erregung."

    McLuhans Ideen spiegeln auch den Zeitgeist der 6oer-Jahre, den Aufbruch von Studentenbewegung und Hippiekultur. In akademischen Kreisen erntete McLuhan zumeist Ablehnung und Unverständnis. Am ehesten waren es Künstler, die versuchten mit ihren Mitteln die Veränderungen und Potenziale auszuloten, von denen McLuhan sprach. Dieter Mersch:

    "Einer der maßgeblichen Künstler des Fernsehens der Zeit ist Nam June Paik, der versucht hat mit seinen großen Fernsehprojekten dem darstellerisch zu entsprechen. Es gibt eine große Installation von ihm, in der Hunderte von Fernsehern zusammengeschlossen sind, auf denen ganz unterschiedliche Bilder gleichzeitig zu sehen sind, da ist auch McLuhan drauf zu sehen, auch John Cage, aber auch Szenen aus dem Unterhaltungsfernsehen, alles gleichzeitig, das ist eigentlich eine gute Exemplifikation dessen, was McLuhan unter global village verstand, wir sind mitten in eine Maschinerie geworfen, die uns erlaubt, alles gleichzeitig zu empfinden."

    McLuhans globales Dorf kannte noch kein Internet, das erst in den 90er Jahren entstand. McLuhan hat die Vernetzung zwar prognostiziert, aber sie hat sich anders vollzogen als er gedacht hat. Für ihn bildete das Fernsehen das Leitmedium. Und das gilt bis ins 21. Jahrhundert, wo sich inzwischen bei der jungen Generation ein Umbruch hin zu den digitalen Medien vollzieht.
    Für McLuhan basierte das globale Dorf auf einer elektronischen oder wie er sagte elektrischen Vernetzung. Die heutige digitale Vereinheitlichung jedoch, wo Bilder, Töne und Texte in Binärcode verwandelt werden, habe er genauso verkannt wie die Eigenart des Computers, meint Martina Leeker.

    "Er sieht den Computer als elektrisches Medium. Fakt ist aber, wenn man es technisch betrachtet, dass der Computer Informationen verarbeitet, dafür braucht er auch Elektrizität, aber es ist nicht dieses Bild, was McLuhan hat, dass wir da angesteckert sein könnten, in vibrations und Resonanzen, das würde sich überhaupt nicht erschließen mit dem Schalten von Informationen, wie das im Computer passiert, was ein kaltes algorithmisches, also abarbeitendes Geschehen ist - da ist nichts mit 'Zittern‘ und "wir-sind-in-Resonanz‘."

    McLuhan wurde und wird als Prophet, als naiv-euphorischer Verfechter eines neuen medialen Zeitalters gelesen. Doch das war er nicht. McLuhan hat seine Ambivalenzen formuliert, auch in Bezug auf das global village. Dieter Daniels:

    "Viele der Szenarien, die unter diesem Begriff globalen Dorf bei McLuhan auftauchen, lassen sich in aktualisierter modifizierter Form natürlich in der heutigen Netzgesellschaft wiederfinden. Insbesondere die ineinander verschränkte Rolle von positiven und negativen Effekten, wo man nicht sagen kann, ich will nur den einen haben, den anderen aber nicht. Und diese Bipolarität von Utopie und Dystopie, die in solchen Medienszenarien unauflösbar miteinander verknüpft sind, die hat McLuhan schon sehr früh gesehen."

    Wieder zu entdecken und neu zu lesen wäre deshalb nicht so sehr der optimistische, sondern der kritische McLuhan. Er war im Grunde ein konservativer Geist, der sich allerdings von der Entwicklung herausgefordert sah. Er selber wollte sich nicht unbedingt von der Gutenberggalaxis verabschieden.. Aber die Richtung, in die er die Wissenschaft gewiesen hat, die Frage, wie Medien Mensch und Gesellschaft prägen, dieses Forschungsprojekt ist keineswegs erledigt.