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"Das Melodiöseste, was Strauss in seinen späten Jahren komponiert hat"

In der Frankfurter Oper wird "Daphne" nach Richard Strauss auf die Bühne gebracht. Regisseur Claus Guth beweist vor allem mit der Auswahl der Sopranistin Maria Bengtsson ein goldenes Händchen. Auch das Orchester kann mit seiner Leistung überzeugen.

Kulturjournalist Thomas Voigt im Gespräch mit Beatrix Novy | 30.03.2010
    Beatrix Novy: "Daphne" ist in der griechischen Sage eine Bergnymphe, die lieber auf die Jagd geht, kein Interesse an Männern hat, aber die Männer haben Interesse an "Daphne". Sie will sich aber nicht, nicht mal von Apoll verführen lassen, lieber lässt sie sich in einen Baum verwandeln, einen Lorbeerbaum. Und Apoll hat das Nachsehen. Das ist die Kurzfassung des griechischen Mythos um "Daphne", der von Richard Strauss für eine Oper verwendet wurde. Das Libretto stammte aber diesmal nicht über "Elektra" und "Ariadne auf Naxos". Also diese ersprießliche Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal, an dieser Stelle nicht Thomas Voigt. Von wem ist das Libretto?

    Thomas Voigt: Von Joseph Gregor, der wurde seinerzeit von Stefan Zweig vorgeschlagen, und Gregor ist leider nicht in der gleichen Liga mit den beiden anderen. Aber das macht in diesem Fall nichts, also es ist mit das Melodiöseste, was Strauss in seinen späten Jahren komponiert hat. Gerade zum Schluss die berühmte Verwandlungsmusik, herrlich anzuhören.

    Novy: Die Verwandlungsmusik, wenn "Daphne" in die Natur eingeht in diesem Fall. Wie ist denn die Handlung eigentlich? Was ist aus dem Stoff gemacht worden?

    Voigt: Ja, da möchte ich gerne Claus Guth, den Regisseur zitieren. In seinem ersten Satz, also im ersten Satz seines Kommentars zur Inszenierung schreibt er: Die Erinnerung sei das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können, schrieb Jean Paul. Manchmal aber offeriert sie sich als der ausweglose Raum erfahrenen Unglücks. Und dieser ausweglose Raum erfahrenen Unglücks, den hat Guth eben auf die Bühne gestellt. Darin befindet sich eine alte Frau, die in diesem Raum ihrer Vergangenheit nachläuft, und das ist Daphne in, ja, in drei Personen eigentlich als alte Frau, als junge Frau und als Mädchen. Und am Schluss merkt man, was das erlittene Unglück Daphnes ist: Sie wurde als Kind missbraucht. Es gibt da einen Akkord in der Oper, kurz vor der Verwandlung, der so brutal und schräg klingt, als sei er 20 Jahre später hineinkomponiert worden, und in diesem Moment nimmt der Vater Daphnes die junge Daphne und geht mit ihr in den Schrank. Und man kann nur mutmaßen, was in diesem Schrank passiert. "Daphne" als Closed Case, wenn man so will.

    Novy: Das heißt, dass die Musik sich einstellt auf die verschiedenen Welten, die Welten des missbrauchten Mädchens, Welt der Frau und Frauenwelt und das, was die Männer tun.

    Voigt: Ja, es korrespondiert mit diesen martialischen Rhythmen. Wenn die da das Fest des Dionysos feiern – das sind ja alles nur Kerle, da gibt es ja keinen Frauenchor, es ist nur ein Männerchor, und die sitzen da und saufen und dann werden Kinder vorgeführt. Da werden die Tische zusammengeschoben und die Kinder werden dann auf diesen Tischen, na ja, also begrapscht, und alles weitere kann man sich vorstellen. Das hat Guth also sehr auf den Punkt gebracht, und ich muss sagen, ich habe zum ersten Mal eigentlich kapiert, warum dieser Stoff für eine Oper taugen soll. Vorher habe ich immer gedacht: ja herrlich, musikalisch, aber eher doch konzertant. Was soll mir das, eine Frau, die sich in einen Baum verwandelt, muss ich das sehen und wie will man das inszenieren, all diese Dinge. Aber so wie Guth es darstellt, geht es wirklich gut auf.

    Novy: Also überzeugend diese Drehung?

    Voigt: Ich war vollkommen überzeugt davon, und das ist nicht so Aufspringen auf gerade aktuellen modischen Zug oder so. Er hat sich ja schon seit Jahren mit dem Stoff beschäftigt, und ich glaube nicht, dass das in letzter Sekunde da noch hinzugefügt wurde.

    Novy: Wie ist das Ganze musikalisch gelungen?

    Voigt: Erstklassig! Also das Orchester der Frankfurter Oper, da muss man schon wirklich enorm was tun, damit es so klingt wie an diesem Premierenabend unter Sebastian Weigle. Und die Sängerin der Titelpartie, Maria Bengtsson als Daphne, also ich habe alle möglichen Aufnahmen gehört aus der Vergangenheit, aber selbst die Größten haben nicht diese vielen Farben gehabt wie die schwedische Sopranistin. Also vom zartesten Piano bis zum großen leidenschaftlichen Ausbruch war alles da, ganz grandios, so habe ich das wirklich noch nie gehört.

    Novy: Sie haben mir vorhin noch mal gesteckt, dass bei Claus Guth Treppenhäuser in den Inszenierungen immer eine große Rolle spielen. Wo ist hier das Treppenhaus und was für eine Rolle spielt es?

    Voigt: Es gibt ein paar Stufen. Also es ist ein dreigeteiltes Haus, Salon mit zwei Nebenzimmern, und insofern passt es wieder zum Guth'schen Gesamtkonzept, also einfach der Raum als etwas, dem man nicht entrinnen kann. Die alte Daphne geht auch zum Schluss, mühsam schleppt sie sich die Treppen rauf und berührt auch die Tür, aber sie geht nicht raus. Und das sagt ja auch schon einiges.

    Novy: Eine berührende und überzeugende Inszenierung also?

    Voigt: Absolut! Und musikalisch, wie gesagt, das an Qualität, was ich selten gehört habe.

    Novy: Vielen Dank, Thomas Voigt! "Daphne" in der Inszenierung von Richard Strauss, in der Inszenierung von Claus Guth in Frank.