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"Das merkwürdige Kätzchen"
Kunstvolles Geplauder

"Das merkwürdige Kätzchen" von Berliner Filmstudenten ist ein Werk über die Poesie der Dinge und die Schönheit des Alltäglichen. Eine Komödie der feinen Unterschiede und kleinen Gesten. Und damit das erste Filmwunder des Kinojahres 2014.

Von Rüdiger Suchsland | 29.12.2013
    Eine Katze, behauptet das Sprichwort, habe sieben Leben. Im Kino gilt dieser Satz allemal. Man müsste einmal viel ausführlicher diesem Leben der Katzen im Kino nachgehen - von "Tom und Jerry" bis zum weißen Kater des Bond-Schurken Blofield, von "Catwoman" bis zur universal präsenten Katzenmotivik beim französischen Autorenfilmer Chris Marker, oder, derzeit noch im Kino, jenem braun-weiß-gestreiften Tigerkater, der im neuesten Film der Coen-Brüder seinem Besitzer immer wieder abhanden kommt - bis zu seiner Schwester im Geiste, eben jenem "merkwürdigen Kätzchen", das einem neuen deutschen Film den Titel gibt, der jetzt ins Kino kommt, und bei dem es sich um nichts weniger handelt als um das erste Filmwunder des Kinojahres 2014.
    Dieses Kätzchen hat mindestens sieben Leben. Es ist sozusagen das Medium, das die Elemente dieses Films zusammenhält und immer wieder höchst poetisch verbindet: Eine ganz normale Familie in Berlin, an einem Samstagmorgen im Frühling, die Zimmer ihrer Wohnung und die Dinge, die dort ein sonderbares Eigenleben entfalten. Denn auch die Dinge sind hier auf sonderbare Art beseelt. Überall zischt und klappert es, fallen Gläser vom Tisch und Sicherungen fliegen aus der Verankerung.
    "Wahrscheinlich hat sich eine Schraube gelöst" - "Wieso?" - "Es klappert"
    Wie aus dem Rattern der Waschmaschine eine Actionszene, oder aus der geschmeidigen Bewegung eines Kätzchens der Tigersprung in eine andere Welt werden kann - das ist die unaufdringliche Lektion dieses überaus ungewöhnlichen, ganz und gar bezaubernden Films.
    "Das merkwürdige Kätzchen" wurde von einem Zwillingspaar gemacht: Den Schweizer Brüdern Ramon und Silvan Zürcher, zusammen mit der Produzentin Johanna Bergel. Alle drei studieren noch an der DFFB, jener Berliner Filmakademie, die lange Jahre so etwas wie das Gegenmodell zu all den anderen, vergleichsweise langweiligen deutschen Filmhochschulen gewesen ist. Nicht vor allem Handwerk konnte man hier lernen, sondern Kunst, man sollte nicht für den Betrieb und das Fernsehen dressiert, sondern zum ästhetischen Partisan gebildet und zum Widerstand gegen Konformismus ermutigt werden. In den letzten Jahren scheint dieser Geist zwar an der DFFB verloren zu gehen, doch die Filmemacher, die noch in früheren Jahren hierher kamen, beweisen mit ihrem Debüt, zu was Kino fähig ist, wenn es frei sein darf und experimentell.
    Zugleich wollen die Zürchers ihr Publikum spürbar auch unterhalten, sie erzählen uns eine spannende Geschichte, die bis zum Ende ihre Geheimnisse nicht restlos preisgibt - so wie wir nur Stück für Stück die Wohnung kennenlernen, in der das alles spielt, und die Menschen, die in ihr leben oder zu Besuch kommen.
    Im Zentrum steht die Familie, die Mutter, mit intensivem, stillem Charme gespielt von Jenny Schily bildet das sanfte Zentrum, der Vater, die drei Kinder. Eine Großmutter kommt zu Besuch, auch Nachbarn und Freunde, aber die Familie ist auch hier den Kern, wie in jeder guten und weniger guten deutschen Fernsehserie.
    Dabei geht es dem Film nicht ums große Drama, nicht um Entlarvungen, Kehrtwendungen, große Psychologie - sondern um Alltagsdynamik. Zum Beispiel zwischen den beiden Schwestern:
    "Räum' die Spülmaschine aus." - "Schau mal, wie groß ich bin, und wie hoch die Schränke sind. Was fällt Dir dabei auf?" - "Schau mal, wie groß ich bin, und dann, wie groß Du bist. Was fällt Dir dabei auf?"
    Wir schauen hier also dem Leben bei der Arbeit zu, einer Arbeit, die normalerweise nicht so genannt werden darf - obwohl hier auch etwas produziert wird: Gefühle, Leidenschaften, Menschliches, Allzumenschliches.
    Und doch ist das "merkwürdige Kätzchen" nicht so sehr ein Film über Menschen, sondern ein Film über die Poesie der Dinge, und die Schönheit des Alltäglichen. Eine Komödie. Eine Komödie der feinen Unterschiede; der kleinen Gesten. Eine Komödie der menschlichen Existenz. Darin ähnelt der Film dem Lakonie-Komiker Jacques Tati, dem ironischen Familienporträtisten Chabrol.
    Zugleich ist dies auch eine Utopie. Denn in diesem Film scheint nichts weniger auf - als ein anderes deutsches Kino. Ein Kino jenseits der Abrichtungsanstalten für den laufenden Betrieb unter den Namen Filmhochschule und Filmförderung.
    Ein Kino, wie es sein könnte, wenn diese Kunst nicht länger als Kunst zweiter Klasse behandelt würde, nicht mehr Quote und Kasse machen müsste, nicht mehr dem Fernsehen dienen, sondern solch sekundären Zwängen ähnlich entzogen würde, wie es Theater und Oper und Museen schon immer waren. Vielleicht ist es doch kein Zufall, dass der Film zwar deutsch ist, Regisseur und Produzent aber Schweizer.