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Das Militär und die Krise in Portugal

Portugal steht ein weiteres schweres Krisenjahr bevor: Sparhaushalt, drastische Erhöhungen der Einkommenssteuer und tiefe Einschnitte im Sozialsystem. Gegen den Kurs der konservativen Regierung protestieren nicht nur Gewerkschaften und die Zivilbewegung, sondern auch die Militärs.

Von Tilo Wagner | 06.12.2012
    April 1974. Die Bewegung der Streitkräfte stürzt das autoritäre Regime in Portugal und übernimmt die politische Führung mit dem Ziel, den Aufbau eines modernen, demokratischen Staates zu unterstützen. In der Übergangszeit wird die Einheit von Militär und Volk von den Revolutionsführern systematisch beschworen.

    Fast 40 Jahre später vereint der Protest gegen den Sparkurs der Regierung wieder Zivilbewegungen und Soldaten auf den Straßen Lissabons. An einem sogenannten Protestspaziergang nehmen Mitte November rund 10.000 Militärs, ihre Angehörigen und Sympathisanten aus der Bürgerbewegung teil. Vor ein paar Tagen veranstalten Offiziersverbände eine Mahnwache vor dem Palast des Staatspräsidenten, der laut Verfassung oberster Heerführer ist. Die Militärs fürchten, dass Sonderbegünstigungen wie die kostenlose Gesundheitsversorgung Opfer des rigorosen Sparkurses werden könnten. Oberst Vasco Lourenço, einer der führenden Offiziere zur Zeit der sogenannten Nelkenrevolution, hält eigentlich nicht viel von demonstrierenden Soldaten. Der offene Protest sei jedoch das Ergebnis einer verfehlten Politik:

    "Die Militärs sehen ihre Mission als Dienst am Staat, an der Gemeinschaft, am Vaterland. Sie nehmen die Einschränkung ihrer bürgerlichen Rechte in Kauf. Wenn ihnen dafür aber keine Entschädigung in Form von Sonderrechten bewilligt wird und man sie nur noch wie öffentliche Angestellte behandelt, dann muss man sich über die Proteste der Militärs nicht wundern."

    Der ehemalige Revolutionsführer Lourenço hat in den vergangenen Monaten einen sehr scharfen Ton gegenüber der Regierung angeschlagen. Der Sozialstaat, für den er zusammen mit anderen Offizieren und politischen Führern Mitte der 70er-Jahre gekämpfte hat, sei in Gefahr:

    "Die aktuelle Situation würde ein Eingreifen des Militärs rechtfertigen. Doch eine derartige Aktion hätte keinen Erfolg. Ein Militärstreich lässt sich nicht einfach so erfolgreich umsetzen. Wenn wir in einer Diktatur leben würden, wäre das anders. Aber wir leben nun mal immer noch in einer sogenannten Demokratie, auch wenn ich persönlich glaube, dass vieles nur noch Fassade ist und eine neue Diktatur bereits existiert. Ich bin also nicht dafür, dass die Streitkräfte intervenieren. Ich bedaure nur, dass es sich nicht realisieren lässt."

    Die scharfe Kritik der Nelkenrevolutionäre wird von der zivilen Protestbewegung dankbar aufgegriffen. In Militärkreisen hat das Wort der in die Jahre gekommen Helden von damals aber kaum Gewicht. Der 35-jährige Unteroffizier Alexandre, der anonym bleiben will, um seinen Soldatenstatus nicht zu verletzen, spürt in der portugiesischen Armee keinen ernsthaften Widerstand. Und auch die Massendemonstrationen von Militärs seien vor allem von der Gesellschaft gewollt.

    "Es sind vor allem gesellschaftliche Gruppen, die auch die Militärs in den Straßen protestieren sehen wollen. Sie ziehen einen Vergleich zwischen der heutigen Situation und der Nelkenrevolution. Doch damals lebten wir in einer Diktatur, und das ist heute nicht der Fall. Diese gesellschaftlichen Gruppen üben Einfluss auf die Offiziersverbände aus, und die Verbände ziehen mit."

    Eine ähnliche Einschätzung kommt aus dem moderaten Lager der ehemaligen Nelkenrevolutionäre. Der Kommandant Luís Costa Correia hatte zu Beginn des Militärputsches vor 38 Jahren die Geheimpolizei umstellt und damit den Widerstand des Regimes gebrochen. Viele seiner alten Kameraden wünschten sich eine Intervention der Streitkräfte, sagt der ehemalige Revolutionsheld. Doch Portugals aktuelle Militärspitze würde der Regierung niemals in den Rücken fallen.

    "Die Kommandeure sind meiner Meinung nach sogar eine Spur zu diskret. Viele meiner Bekannten, die noch im Dienst sind, würden aus einem einzigen Grund intervenieren: Um in einer absoluten Krisensituation die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Die Macht würden sie aber umgehend wieder abgeben, denn sie wissen ganz genau, dass die finanzielle Situation des Landes keinen Spielraum für militärische Experimente zulässt."