Mittwoch, 24. April 2024

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Das Netz auf Stimmenfang

Was früher beim Flohmarkthändler die letzte Bleibe fand, kommt heute weltweit ganz groß raus. Zum Beispiel Magnetbänder. Stimmensammler digitalisieren die Tapes analoger Anrufbeantworter und veröffentlichen sie auf ihren Blogs. Hobbyklangforscher untersuchen anhand von Musikkassetten die ersten und die letzten Singversuche - eine Reise ins Land der Kinderkassettenrekorder.

Von Veronika Bock | 16.02.2012
    Belangloses, Rührendes, Schräges, Schräpiges: Stimmen aus einer verlorenen Zeit.

    "Come in, see the house of horror." - An evolving exhibition of Found Tapes

    Anrufbeantworter, gesungen: "Has anybody here seen my old friend James Martin. I believe he lives in Montreal." - Voicemail Project

    "My dear Eric, this is a book which is written for German children, who want to learn English."

    Stimmen im Netz: ein junger Mann, der sich als Comedian versucht, eine Nachricht auf einem Anrufbeantworter, eine Großmutter, die ihrem Enkel Deutsch beibringen will.

    "He calls: Hallo ich heiße Teddy, hallo ich heiße Teddy." - Sweet Thunder - Tape Findings

    26 Minuten "How to learn German". Für Eric von Oma. Gefunden wurde die Kassette in den USA. Doch wo war ihr Ursprung? Wo lebte Oma? Eine Deutsch-Amerikanische Geschichte? Eine Tochter, die einen GI heiratete und in die USA ging? Und Oma blieb allein zurück? Wo nichts ist, was sich mit Gewissheit sagen lässt, da könnte alles ein. Da gibt es nicht nur eine, sondern viele Geschichten.

    Ausrangierte Bänder, weggeworfene Kassetten, vergessene Aufnahmen. Gefunden auf der Straße in Paris, in London und Amsterdam. Aus dem Müll gefischt in Belgrad und Prag, in alten Anrufbeantwortern entdeckt in Kansas.

    "Sam, here Mother. Call me back. Bye." - Voicemail Project

    Es wird gesungen, geübt, geflüstert, geschrien. Stimmen aus einer verlorenen Zeit. Irgendwer hat sie ihrer angenommen und sie ins Netz gestellt. "Foundobject", "voicemails", "foundsounds" heißen die Projekte, die das aufgelesene Strandgut zu Kunst und Kult erheben. Soundlandschaften kreieren.

    Ein Probeauftritt? Ein Mitschnitt? Früher hatte fast jeder solche Kassetten, längst haben wir sie entsorgt. Weil es vorbei ist und keine Bedeutung mehr hat? Weil wir umgezogen sind und der Reliktanfall zu groß ist, um alles mit durchs Leben zu schleppen? Auch Großmutters Stimme. Denen sie einst etwas bedeutete, wollten sie nicht mehr hören, vergaßen sie, warfen die Aufnahme weg. Und nur deshalb singt sie noch immer - für die ganze Welt. Denn wer heute überdauern will, muss erst verloren gehen, um dann wieder gefunden zu werden.