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Das neue Belgrad

Vor dem Erbe, das sie einst würden antreten müssen, hat es die serbischen Oppositionellen immer gegraut. Jetzt haben sie es, dieses Erbe - mit vielen Problemen. Manche sprechen sogar von einer "kompletten nationalen Katastrophe", die da geerbt wurde. Aber - und das zählt viel mehr - es wurde auch die Demokratie eingeläutet. Der neue serbische Präsident Vojislaw Kostunica am vergangenen Samstag nach seiner Vereidigung:

Norbert Mappes-Niediek | 11.10.2000
    "Wir haben jahrzehntelang in einer Ordnung gelebt, in der die Demokratie in ihrem eigentlichen Sinne nicht existierte. Sie existiert aber heute. Das zeigt sich auch daran, dass sich die politischen Parteien gegenseitig an der Macht ablösen und dass dieser Machwechsel auf friedliche Weise stattfindet. Damit sind nach meiner tiefsten Überzeugung Jugoslawien und Serbien in die Gemeinschaft demokratischer Völker zurückgekehrt."

    Die meisten Serben, die ab 1991 gegen Slobodan Milosevic zu demonstrieren begannen, waren national motiviert. Sie waren groß geworden in einem Vielvölkerstaat, in dem der Einzelne nichts zählte, aber tatsächliche oder vermeintliche "nationale Gemeinschaften" beständig gegeneinander ausgespielt wurden. Da warteten sie auf den Tag, an dem sie endlich in einem normalen, wie sie es nannten, "bürgerlichen" Staat würden leben können. Sie träumten von einem Staat, in dem man wirklich wählen konnte und wo nicht eine völlig verfahrene nationale Durchquotierung aller Lebensbereiche, orchestriert und überwacht von der Partei, jeden Demokratisierungsversuch erstickte.

    Für die jugoslawische Opposition war es nicht der Hass auf die anderen Nationen, der sie antrieb. Es war der Verdruss über die Verhältnisse, in denen alle Nationen lebten, die Manipulierbarkeit dieser Vielvölkergesellschaft. Das Prinzip "Ein Mensch - eine Stimme" war in einem Land, wo auf jeder Ebene irgend ein Minderheitenschutz zu beachten war, einfach nicht durchzusetzen; dieses so kompliziert zusammengesetzte Land zu demokratisieren, schien viel zu schwierig.

    Die wenigen Politikerinnen und Politiker, die 1990 für ganz Jugoslawien freie Wahlen forderten, standen auf verlorenem Posten; jede Republik wollte für sich allein in die neue Zeit starten. Das war die positive Seite ihres Nationalismus. Die negative Seite war aber, dass mit der Zerteilung des Landes unausweichlich der Streit ums Territorium begann, ein Streit, den die Dissidenten aus jugoslawischer Zeit immer tabuisiert oder auf den Tag nach dem Sieg verdrängt hatten.

    Doch kaum konstitutierten sich die Republiken als Nationalstaaten, stand der Streit ums Territorium auf einmal auf der Tagesordnung. Die Autokraten des alten Regimes, nicht nur in Serbien, begriffen die Chance, die in dem allseits ausbrechenden nationalen Notstand lag. Sie setzten sich an die Spitze der Bewegung, nutzten die Träume von mittelalterlichen Reichen und die Vorurteile gegen die jeweils anderen, um sich an der Macht zu halten.

    Slobodan Milosevic, von allen der zynischste, konnte einen Nationalstaat aber nicht wirklich gebrauchen. Er konnte nur das Streben dorthin für sich benutzen. Kaum war mit viel historischem Schwulst der bosnische Krieg geschlagen, schon rief Milosevic in Belgrad wieder die Multikulturalität aus. Sie stellte sich für ihn als die viel bequemere Herrschaftsform dar. National wurde es dann wieder, als es gegen das Kosovo ging. Und als der Krieg verloren war, trat die Jugoslawische Linke wieder groß auf den Plan, Milosevics Herrschaftsagentur für die antinationalistischen Phasen.

    Slobodan Milosevic, das wusste die Opposition immer, war kein Nationalist, er war nur der Manager seiner eigenen Macht. Als Erbe hinterlässt er eine politische Landkarte, auf der es um die nationalen Interessen der Serben kaum schlechter bestellt sein könnte. Mehr als eine Million Serben haben in der letzten Dekade ihre Häuser verlassen müssen und leben heute anderswo - als Flüchtlinge mit der vagen Aussicht auf eine verschämte Rückkehr.

    "Ein ganzes Serbien, kein dreigeteiltes!" Oder "Serbien dreigeteilt? Niemals", lauteten die Schlachtrufe der nationalen Opposition, die Ende der achtziger Jahre auch den Hoffnungsträger Milosevic in Amt und Würden brachten: Diese Slogans bezogen sich auf die ungeliebte Verfassung von 1974. Sie hatte den sechs Republiken Jugoslawiens noch zwei Autonome Provinzen hinzugefügt, beide auf dem Gebiet Serbiens, was das Gewicht der serbischen Partei in Jugoslawien enorm schwächte.

    Das Debakel begann 1989, als Milosevic die Autonomen Versammlungen im Kosovo und der Vojvodina unter dem Jubel der Serben mit enormem, auch militärischem Druck aufhob. Das fein gefügte Gleichgewicht der Föderation litt Schaden, das gestärkte Serbien versuchte im Kreis der Republiken wieder Muskeln zu zeigen und löste so die bekannten zentrifugalen Tendenzen aus. Zwischen den serbischen Bevölkerungsteilen in Kroatien und Bosnien, die, wenn es schon kein Jugoslawien mehr geben konnte, wenigstens den serbischen Nationalstaat wollten, und dem Herrscher in Belgrad kam es immer nur zu taktischen Allianzen. Letzten Endes ließ Milosevic die nationalen Serben alle im Stich.

    Ein schlimmeres Erbe kann gerade eine national motivierte Regierung kaum antreten. Sie wird retten wollen, was noch zu retten ist, und revidieren, was sich revidieren lässt. Sie wird das freilich ohne Gewalt tun: Man mag die neuen Machthaber in Belgrad des Nationalismus schelten. Aber sie wissen, dass der Einsatz von Gewalt die Probleme nicht löst. Diese Lektion wurde spätestens nach vier verlorenen Kriegen begriffen. Die Waffen werden auf dem Balkan künftig schweigen, und wenn doch irgendwo wieder jemand zu schießen beginnt, wird Belgrad nicht zurück-schießen. Man wird versuchen, den Konflikt mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft und deren Truppen zu befrieden - und vor allem auf demokratischem Wege. Noch einmal Präsident Kostunica:

    "Meine innersten politischen Überzeugungen haben mich immer darauf hingewiesen, dass es ohne den demokratischen Weg keinen Wohlstand, kein Glück und keinen Fortschritt geben kann. Und dieser demokratische Weg ist nicht möglich, wenn die Menschen, die sich politisch unterscheiden, nicht miteinander reden können, weil sie sich nicht einig sind und nicht darüber bewusst, dass sie in einem gemeinsamen Parlament und vor allem in einer gemeinsamen Gesellschaft wirken."

    Dennoch: Die Konflikte um Montenegro, das Kosovo, auch um Bosnien sind mit dem Amtsantritt von Vojislav Kostunica nicht einfacher, sondern im Gegenteil erst richtig kompliziert geworden. Die Gewalt, so schrecklich sie war, hat in Montenegro auch abgeschreckt und im Kosovo auch klarere Verhältnisse geschaffen. Ist der Jubel über den Machtwechsel erst vorbei, erwartet die jugoslawische und internationale Diplomatie erst ihr Gesellenstück.

    Das kleine Montenegro strebt seit 1997, als Milo Djukanovic dort zum Staatspräsidenten gewählt wurde, auf leisen Sohlen aus der Föderation mit Serbien hinaus. Von hier waren auch die kritischsten Töne über den neuen serbischen Präsidenten zu hören. Die Vorbehalte nennt Jevrem Brokovic, der Präsident der Akademie der Wissenschaften:

    "Von Milosevic wussten wir alle, dass er ein Diktator ist, aber kein Nationalist. Im Gegensatz dazu nun ist Kostunica ein Nationalist, von dem es aber heißt, er sei ein Demokrat. Ich kenne aber keinen Nationalisten, der gleichzeitig auch wirklich Demokrat ist. Ich halte die nationalistische Opposition in Serbien sogar noch für schlimmer als Milosevic. Denn sie ist nicht gegen ihn, weil er viermal Krieg geführt hat, sondern weil er diese Kriege verloren hat."

    Die Motive für ein Ausscheiden Montenegros aus der Föderation mit Serbien sind vielfältig. Die Abneigung gegen Milosevic, die Scham über die internationale Isolierung und der Wunsch nach Demokratie und Marktwirtschaft, sind Motive, die sich jetzt wohl erledigt haben. Aber das sind nur einige der Gründe, vielleicht nicht einmal die bedeutendsten. Die Liberalen, aber auch die in Podgorica mitregierenden Sozialdemokraten, sind aus prinzipiellen, nationalen Gründen für die völlige Unabhängigkeit Montenegros, ganz gleich wer in Belgrad regiert. Noch einmal Jevrem Brkovic, ein enger Berater von Djukanovic:

    "Das moderne Montenegro wird ein mediterraner, ein europäischer Staat sein. Ich glaube, dass Montenegro auf jeden Fall als selbständiger Staat existieren kann."

    Montenegros Präsident Djukanovic und seine Demokratische Partei der Sozialisten haben für ihre Position auch handfeste wirtschaftliche und machtpolitische Interessen - die Partei ist die Nachfolgeorganisation der KP und organisiert die gesamte Nomenklatura. Montenegro könnte also jetzt die Chance nützen und rasch die Föderation verlassen; die Drohung mit der Armee, die es bislang daran hinderte, besteht nicht mehr.

    Aber Kostunica und seine Leute haben in den wenigen Tagen, die sie an der Macht sind, schon brillant taktiert. Montag reiste Zoran Djindjic nach Podgorica und bot den Montenegrinern eine neue Föderation an: Nur noch die Armee, die Botschaften und die Währung sollen gemeinsam sein. Auch der Staatsname Jugoslawien, den es seit 1929 gibt, soll fallen: der neue Staat soll "Bund von Serbien und Montenegro" heißen.

    Djukanovic äußerte sich positiv, und sein Premier Filip Vujanovic will nun so schnell wie möglich nach Belgrad reisen und die Ideen dort präzisieren. Ein Zeichen, dass Podgorica jetzt keine raschen Schritte unternehmen will. Die diplomatische Lage ist sehr verwickelt, und es braucht viel guten Willen, damit es nicht zum Stillstand kommt: Schließlich vertritt Kostunica die Bundesorgane, die Montenegro für nicht verfassungsgemäß hält. Dieses Problem sieht auch Kostunica:

    "Ohne Zweifel handelt es sich bei der jetzigen Verfassung um eine Verfassung, die Spannungen mit Montenegro auslöst und weiter auslösen wird."

    Im Belgrader Parlament muss sich Kostunica auf die bisher Milosevictreue SNP stützen, weil Djukanovics Anhänger die Wahl boykottiert haben. Ernennt er einen SNP-Mann zum Premierminister, verdirbt er es sich mit Djukanovic, tut er das nicht, riskiert er seine Parlamentsmehrheit. Aber auch aus diesem Dilemma scheint Kostunica einen Ausweg gefunden zu haben:

    Jugoslawien bekommt jetzt eine Expertenregierung, deren Zusammensetzung Podgorica nicht brüskiert. Vorbei ist die Krise deshalb noch nicht. Die Autonomisten in Montenegro protestieren und lehnen Gespräche mit der serbischen Opposition laut und deutlich ab. Djukanovics projugoslawische Widersacher dagegen bekommen wieder Oberwasser - die Szene gerät in Bewegung. Im ungünstigsten Fall lässt Djukanovic die Gespräche scheitern, und die Belgrader Opposition träte gleich mit einem weiteren Zerfall Jugoslawiens ihre Macht an.

    Gestern wurde aus Serbien wieder Geschützfeuer berichtet: In einem kleinen Dorf in der Pufferzone zwischen dem Kosovo und dem engeren Serbien hielt eine Einheit von Rebellen etwa fünf Minuten lang auf eine serbische Polizeistellung - kein großer Zwischenfall, aber ein wichtiges Signal. Diese sich so nennende Befreiungsarmee vertritt die Albaner in drei südserbischen Gemeinden, die sie als "Ostkosovo" bezeichnet. Die Befreier wittern offenbar die letzte Chance, den gewünschten Anschluss an das Kosovo zu erreichen.

    Die albanischen Politiker im Kosovo haben verhalten positiv auf Milosevics Sturz reagiert. So erklärte zum Beispiel Ramush Haradinaj von der "Allianz für das Kosovo":

    "Auf diese Weise werden wir in Kosova ein besseres Umfeld haben, um für unsere Zukunft zu arbeiten. Der Machtantritt eines Oppositionspolitikers wie Kostunica, der auch ein Nationalist ist, wird die serbische Politik gegenüber den Albanern nicht ändern. Das wird aber nur die Möglichkeiten Serbiens verringern, die Zukunft Kosovas zu beeinflussen. Andererseits, eine Demokratisierung Serbiens soll uns keinen Schrecken einjagen, nach dem Motto, dies würde unsere Verpflichtungen gegenüber Serbien vergrößern. Ganz im Gegenteil, eine Demokratisierung Serbiens würde nur unsere Überzeugung stärken, dass wir unseren eigenen Weg gehen können."

    Tatsache ist aber, dass Milosevic den Kosovo-Albanern in ihrem Streben nach der Unabhängigkeit des Kosovo ein zwar widerwilliger, aber zuverlässiger Verbündeter war. In Milosevics nationalen Feldzügen lag immer eine fatale Dialektik: Seine schlimmsten und härtesten Gegner, die Anführer der anderen Nationen, waren zugleich seine besten Alliierten im Kampf gegen den Gegner daheim in Belgrad. Das galt auch umgekehrt: Wünschte sich in Jugoslawien eine politische Partei ihren eigenen Staat, so konnte sie nur auf Milosevic hoffen.

    Das Kosovo ist noch immer ein Bestandteil Serbiens. So sieht es nicht nur die berühmte UNO-Resolution 1244, die Grundlage ist für die UNO-Verwaltung im Lande. Auch die Anführer der albanischen Parteien haben das so im März 1999 auf Schloss Rambouillet bei Paris feierlich unterschrieben. Die Rambouillet-Lösung, die dann von Milosevic abgelehnt worden war, hatte für das Kosovo eine sehr weit gehende Autonomie vorgesehen. Die Albaner verzichteten mit ihrer Unterschrift auf ihre langjährige Forderung nach Unabhängigkeit. Weil Belgrad ablehnte, fühlen sie sich heute an ihre Unterschrift nicht mehr gebunden und fordern wieder wie früher die Unabhängigkeit. Xhavit Haliti von der "Demokratischen Partei" im Kosovo formuliert das so:

    "Unsere Position ist die, dass Serbien ein Nachbarstaat von uns ist, in dessen innere Politik wir kein Recht und keinen Wunsch haben, uns einzumischen. Die Beziehungen zwischen Serbien und Kosova werden stark davon abhängen, wie sich der serbische Staat gegenüber Kosova verhalten wird."

    Selbst wenn jetzt der neue serbische Präsident Kostunica die damals verweigerte jugoslawische Zustimmung zu dem Autonomieplan noch nachreichen würde - es wäre wohl zu spät. Aber Kostunica macht dazu auch gar keine Anstalten. Er hat die Ablehnung des Plans durch Milosevic damals ausdrücklich als richtig bezeichnet. Das Beste, was ihm und dem Kosovo jetzt passieren könnte, wäre, dass vorläufig überhaupt nichts passiert. Mit der UNO-Verwaltung ist das Problem gewissermaßen eingefroren, und das neue Belgrad hat ein Interesse daran, dass es das fürs erste auch bleibt.

    Die dritte, vielleicht die gefährlichste Front aber tut sich in Bosnien auf: Die serbische Republik Srpska, die nach dreieinhalb Jahren Krieg nur unter größten Mühen in den gemeinsamen bosnischen Staat zurückzuzwingen war, hat nun einen wichtigen Grund mehr, wieder hinauszudrängen. Innerlich haben die Serben, aber auch die Kroaten den Staat von Dayton nicht angenommen, und zusammen machen sie immerhin mehr als die Hälfte der Bevölkerung Bosniens aus. Auch äußerlich ist die Anerkennung nicht vollzogen:

    Belgrad unterhält mit Sarajewo noch immer keine diplomatischen Beziehungen. Mit der demokratischen Opposition sind jetzt in Belgrad die politischen Freunde der bosnischen Serben an die Macht gekommen. Als Milosevic 1994 Sanktionen gegen die Republik des Radovan Karadzic verhängte, reiste der Oppositionsführer Zoran Djindjic demonstrativ nach Pale und machte dort den Regierenden seine Aufwartung. Die Einigkeit hat auch den Wechsel von den Radikalen zu den Gemäßigten überstanden. Nun kann die Allianz endlich politisch wirksam werden.

    Am Tage der Vereidigung von Kostunica in Belgrad reiste der Bürgermeister von Cacak, Velimir Ilic, nach Banja Luka zum Kongress der bosnisch-serbischen Sozialdemokraten unter dem dortigen Premierminister Milorad Dodik. Velimir Ilic ist nicht irgendwer; nach dem Sturm seiner Männer aus Cacak auf die öffentlichen Gebäude in Belgrad wird er für den eigentlichen Helden der Revolution gehalten. Den Parteitagsdelegierten in Banja Luka empfahl er, für Demokratie, den Sieg ihrer Partei, für eine bessere Kooperation zwischen der Republik Srpska und der Bundesrepublik Jugoslawien und - für die Aufhebung der Grenze an der Drina zu kämpfen. Darin liegt enormer Sprengstoff: Fällt die Grenze, bricht auch der kunstvoll wieder zusammengefügte Staat auseinander.

    Zwar darf man Kostunica nicht zutrauen, dass er nun die Friedensordnung von Dayton wieder in Frage stellt. Wohl aber kann er sie testen: So sieht der Vertrag für beide Einheiten des Landes, die Föderation und die Republik Srpska, das "Recht" vor, so genannte "besondere Beziehungen" mit dem jeweiligen Nachbarstaat, Kroatien oder Serbien, einzugehen. Zagreb hatte daran Interesse, unterbreitete einen Vorschlag, der dann aber auf muslimischen Protest hin vom internationalen Verwalter des besetzten Landes abgewiesen wurde. Nun könnte die Initiative von Belgrad ausgehen. Bekommt es seinen Willen, wird auch Zagreb sich engagieren müssen - und schon wäre die fragile Tektonik des Staates gefährdet. Fünf Jahre lang war das verarmte und isolierte Belgrad für die bosnischen Serben kein Anziehungspunkt. Jetzt kann es wieder einer werden - auch ohne aktives Zutun des neuen Präsidenten.

    Es ist kein böser Wille und schon gar nicht der Beweis für die alte These, die Opposition in Belgrad sei "noch nationalistischer" als Milosevic: Der Machtwechsel bringt nur einfach an den Tag, dass die Neuordnung des zerfallenen Jugoslawien noch immer sehr fragmentarisch und provisorisch ist. Jetzt, da Milosevic weg ist, schlägt für die wackligen Gebilde, die den einstigen Bundesstaat ersetzt haben, die Stunde der Wahrheit.

    Und die übrigen Nachbarn Serbiens? In Kroatien über wiegt die Freude über den Abgang von Slobodan Milosevic: Noch in diesem Sommer mussten die Tourismus-Manager, die dem Land traditionell seine Handelsbilanz ausgleichen, bangen, ob ihnen ein neuer Konflikt in Montenegro nicht wieder die Saison verhageln könnte. Das Land ist wirtschaftlich immer noch extrem abhängig von der Stabilität.

    Richtig jubeln dürfen über den Machtwechsel in Belgrad die Mazedonier und die Bulgaren. Sie hoffen, vom Abbau der Embargobestimmungen durch die EU profitieren zu können. Die Ungarn sind froh darüber, dass ihre mehr als 300.000 Köpfe zählende Minderheit jetzt bleiben kann, wo sie ist.

    Nicht ganz glücklich mit der Belgrader Entwicklung sind die Rumänen und die Albaner. In die Erleichterung über den Machtwechsel mischen sich auch Befürchtungen: Man ist besorgt, dass das große Geld nun wohl wieder eher nach Jugoslawien fließt und die internationalen Hilfen auf dem Balkan - etwa der Stabilitätspakt - sich nun auf Serbien konzentrieren könnten. So meint etwa der albanische Außenminister Pascal Milo:

    "Die Türen zur Integration Serbiens in die internationa-len Strukturen und Initativen, wie auch in den Stabili-tätspakt sind offen, aber das darf keinesfalls auf Kosten Albaniens, Kosovos oder irgend eines anderen Landes der Region geschehen."

    Das sind Befürchtungen, die die internationale Gemeinschaft ernst nehmen muß. Sie darf nach dem Machtwechsel in Belgrad nun ihre Hände nicht in den Schoß legen, sondern muß sich weiter engagieren für eine Befriedung und Entwicklung der ganzen Balkan-Region.