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"Das Nichtstun ist teurer als das Handeln"

Hermann E. Ott vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, hat sich optimistisch zum bevorstehenden Weltklimagipfel in Nairobi geäußert. "Wir werden noch mehr Ernsthaftigkeit spüren", sagte Ott. Die Amerikaner gerieten immer weiter in die Defensive.

Moderation: Ferdos Forudastan | 05.11.2006
    Ferdos Forudastan: Treibhausgase zerstörten die Erde, die Atmosphäre heize sich auf, riesige Flut- und Dürrekatastrophen, die daraus folgten, würden die Weltwirtschaft in eine gigantische Krise stürzen. Das alles zeige das größte Versagen des Marktes. Nun gelte es, sich schleunigst zu besinnen und einen Wandel in der Klimapolitik einzuleiten. Das sagt einer, der eigentlich kein Kritiker des Marktes ist, sondern als ehemaliger Chef-Ökonom und einer der Vizedirektoren der Weltbank bis vor kurzem zu den Stützen der westlichen Finanz- und Wirtschaftswelt zählte. Sir Nicholas Stern, Autor des Stern-Reports zum wirtschaftlichen Preis des weltweiten Klimawandels.

    In den 700 Seiten, die er vor einigen Tagen veröffentlichte, dürfte ganz viel von dem stehen, was rund 6.000 Teilnehmer der Weltklimakonferenz besprechen wollen, die morgen in Nairobi beginnt. Die Delegierten haben zum einen schärfste Mahnungen, wie die des Ökonomen Stern im Gepäck, zum anderen reisen sie mit den neuesten Zahlen zum Klima an. Die besagen, dass die klimaschädlichen Emissionen in den nächsten zehn bis 15 Jahren weltweit noch ansteigen werden. Hermann E. Ott leitet das Berliner Büro des Wuppertal-Institutes für Klima, Umwelt und Energie, und an ihn geht die Frage, woher nimmt man mit Blick auf dieses Szenario die Hoffnung, dass sich die Erderwärmung mit allen katastrophalen Folgen in absehbarer Zeit stoppen oder deutlich verlangsamen wird?

    Ott: Ich kann nichts dafür, ich bin von Grunde aus Optimist, allerdings macht es das Klimathema einem auch wirklich schwer. Denn wir wissen seit 20 Jahren, worauf wir ungefähr hinsteuern und wenig tut sich. Allerdings muss man sagen, im Vergleich zu anderen Umweltproblemen und anderen wirklich drängenden Menschheitsproblemen geht es rasend schnell - das muss man sich auch, glaube ich, immer vor Augen halten - dass wir innerhalb von 20 Jahren es tatsächlich fertig gebracht haben, erstens einen praktisch absoluten Konsens über den Klimawandel in wissenschaftlicher Hinsicht herbeizuführen. Das findet man, glaube ich, bei keinem anderen Thema. Vielleicht, dass die Erde rund ist, und dass die Erde sich um die Sonne dreht. Aber bei allem anderen gibt es Streit in der Wissenschaft. Nicht so beim Klimawandel.

    Es ist völlig klar, dass sich die Atmosphäre aufheizt, und dass wir dafür verantwortlich sind. Etwas weniger klar ist, was es für Folgen hat, aber wir wissen, dass es Folgen haben wird. Und man kann sich ausrechnen, was es ist. Das machen die großen Computer. Und das wissen wir seit ungefähr zwei, drei Jahren noch sehr viel genauer. Die Computer werden ja immer besser und können immer mehr Daten verarbeiten. Die Messstationen werden immer enger gezogen. Und deshalb wissen wir heute sehr viel besser, was passieren kann.

    Forudastan: Nun trat ja Anfang 2005 das so genannte Kyoto-Protokoll in Kraft. Und das ist der einzig völkerrechtlich verbindliche Vertrag, der die schädlichen Emissionen begrenzt. In sieben Jahren allerdings läuft der wieder aus und ein Anschlussvertrag ist im Moment überhaupt nicht in Sicht. Sind Sie trotzdem optimistisch?

    Ott: Ja, diese neue Ernsthaftigkeit, die aus den wissenschaftlichen Ergebnissen folgt, die hat man schon letztes Jahr gemerkt. Da haben sich ja die Delegierten in Montréal getroffen Ende des Jahres, und da war schon zu spüren, dass etwas weniger Nickeligkeiten da waren. Das sind ja so kleine atmosphärische Veränderungen. Da muss man genau hingucken, und man muss wissen, wie es sonst abläuft. Aber es war wenig von den Störungen zu spüren, die man sonst bekommt. Alle waren sich bewusst darüber, dass wir einer schweren Zukunft entgegengehen, und dass man sich möglichst kooperativ verhält. Selbst bei den Amerikanern war das spürbar.

    Und ich denke, das wird jetzt in Nairobi ab morgen auch nicht anders sein, sondern im Gegenteil. Wir werden noch mehr Ernsthaftigkeit spüren. Die Amerikaner geraten immer weiter in die Defensive, übrigens zu Hause natürlich auch. Da gibt es viele Städte, 180, die das Kyoto-Ziel freiwillig übernommen haben. Da gibt es Staaten, die einen Emissionshandel freiwillig einführen und so weiter. Das macht der Bush-Regierung alles Dampf und das werden die Delegierten des Rests der Welt in Nairobi auch tun.

    Forudastan: Nun sprechen Sie ja aber vor allen Dingen von der Ebene der Wissenschaft. Und da ist es ja noch ein weiter Weg zur Ebene der Politik, die letztlich darüber entscheiden muss, was geschieht und was eben nicht geschieht. Also was gibt Ihnen die Hoffnung, dass dieser Funke von der Wissenschaft auf die Politik überspringt, und zwar auch auf die Regierungen, auf die es wirklich ankommt. Und das ist ja nicht nur die US-amerikanische, das sind auch asiatische Regierungen. Die haben ja aus ihrer Sicht ein besonderes Problem mit dem Umweltschutz, weil sie meinen, dass es das Wirtschaftswachstum, dass nun gerade besonders stark dort in Gang kommt, also in China oder in Indien, dass es die behindert.

    Ott: Ja, diese Staaten sind gespalten. Gerade bei China kann man das sehr gut sehen. Ungeheures Wirtschaftswachstum, bis zu zehn Prozent Wirtschaftswachstum pro Jahr, des Bruttosozialprodukts. Gleichzeitig treffen die Umweltschäden diese Steigerungen auch. Die sind nämlich auch im Bereich von zehn, elf Prozent des Bruttosozialprodukts.

    Das heißt, man kann gleichzeitig beobachten, dass bis in die höchsten Ränge der Politik hinein in China ein sehr hohes Bewusstsein für die Gefahren vorherrscht und auch, dass man was tun muss. Die Automobilstandards, die Emissionsstandards sind mittlerweile höher als bei uns. Es gibt ein sehr, sehr ehrgeiziges Programm für erneuerbare Energien. Also da tut sich einiges, und wenn der Norden - ich sage jetzt mal der reiche Norden, also wir - ernsthaft das Problem angeht, und auch bereit ist, zum Teil bestimmte neue Technologien zu finanzieren, dann bin mir absolut sicher, sind diese Staaten mit dabei.

    Forudastan: Sie sprachen eben mit dem Optimismus, von dem Sie sagen, der sei Ihnen eigen, auch über die Weltklimakonferenz, die morgen in Nairobi beginnt. Aber die Teilnehmer, die dort miteinander diskutieren, die haben ja gar nicht das Mandat über einen neuen Klimaschutzvertrag, also über ein Kyoto Zwei zu verhandeln.

    Ott: Im Moment steht kein Abschluss an. Also insofern darf man nicht erwarten, dass da jetzt etwas ganz, ganz Großes herauskommt. Das muss aber auch nicht sein. Man geht ja auch nicht jede Woche zum Bundestag und sagt, Mensch, habt ihr nicht mal wieder ein großes Gesetz, was ihr verabschieden könnt. So etwas braucht seine Zeit, das muss verhandelt werden, und dafür sind diese halbjährlichen Treffen der Klimadiplomaten auch da.

    In Montréal letztes Jahr ist der Prozess in Gang gesetzt worden. Die Staaten haben schon in schriftlichen Äußerungen deutlich gemacht, wohin die Reise ungefähr gehen soll, und jetzt muss man sich zusammen raufen. Und ich denke mal, auch der Stern-Report, den Sie zu Beginn erwähnten, der wird sein übriges dazu tun. Denn das ist das, was wir im Wuppertal-Institut und andere Umweltforschungsinstitute schon seit längerem sagen: dass das Nichtstun teurer ist als das Handeln, und dass wir tatsächlich sogar Vorteile aus einer vernünftigen Klimapolitik herausziehen können.

    Forudastan: Bei der Klimakonferenz in Nairobi, da soll es ja vor allen um die Leidtragenden des Klimawandels gehen, und die leben vorwiegend in den Entwicklungsländern. Gerade in Afrika bedroht die Erderwärmung und bedrohen die Dürren und der Starkregen, den der Boden dann nicht mehr aufnehmen kann, Millionen Menschen, und zwar Millionen Menschen, die von der Landwirtschaft leben. Wie kann da wer ganz konkret helfen?

    Ott: Das ist tatsächlich historisch, dass eine solche Konferenz in Afrika stattfindet und das wird dazu genutzt werden, um die spezifischen Probleme Afrikas auch ins Blickfeld zu rücken. Und die sind auf verschiedenen Ebenen. Auf der einen Ebene die Schäden des Klimawandels, das heißt, es wird trockener werden in weiten Gebieten. Das heißt, wenn zum Beispiel das gesamte Eis auf dem Kilimandscharo geschmolzen ist, wird es da auch weniger Wasser geben. Ein Problem, was ansonsten auch ganz Asien betreffen wird, weil dort die Himalaya-Gletscher abschmelzen. Das sind die Schäden des Klimawandels.

    Dann, die hohen Energiepreise bedrohen auch das zarte Pflänzchen Wirtschaftswachstum im Afrika. Und dann haben diese Staaten natürlich auch Angst davor, dass die Maßnahmen, die wir ergreifen, ihnen wiederum Schaden zufügen. Insofern ist Afrika in vielfältiger Weise betroffen. Aber, wenn es tatsächlich eine Übereinstimmung in der Gefahrenanalyse gibt, dann bin ich auch sicher, dass für diese Staaten gesorgt werden wird. Das bedeutet, es werden Mechanismen gestärkt werden, die jetzt schon angedacht sind, oder die angelaufen sind, aber noch nicht so richtig funktionieren. Wie zum Beispiel der Clean Development Mechanism, das ist so ein projektbasierter Mechanismus, um Klimaschutzprojekte in Afrika auch durchzuführen, oder ein Fond zur Anpassung an den Klimawandel, der dadurch gespeist wird. Aber das ist alles noch zu klein, und da muss mehr kommen.

    Forudastan: Herr Ott, da würden jetzt wahrscheinlich die reichen Länder, beziehungsweise die Länder, die gerade ein sehr starkes Wirtschaftswachstum haben in Asien, würden sagen, ja ok, helfen tun wir den Afrikanern gerne, aber auf unser Wirtschaftswachstum wollen wir nicht verzichten, und da sind eben ganz viele Emissionen mit verbunden.

    Ott: Das meinen wir, aber unsere Analysen zeigen, dass das nicht so sein muss. Sondern im Gegenteil, dass man mit sehr viel effizienteren Technologien auch sehr viel günstiger produzieren kann und sehr viele Emissionen vermeiden kann. Also wir können hier in Deutschland und in Europa 35 Prozent unserer Energiekosten einsparen unter der Energie, die wir brauchen, mit effizienten Technologien und dabei noch Gewinn machen.

    Und wir können bis zu 50 Prozent auch mit bestehenden Technologien zu ganz geringen Kosten einsparen. Wenn man dazu sich überlegt, das ganz neue Technologien durch die Klimapolitik überhaupt erst induziert werden, dann kann man sich vorstellen, dass die Welt auf einen ganz anderen Pfad kommt, nämlich eine neue industrielle Revolution, wie das ja auch der Bundesumweltminister Gabriel letztens gesagt hat.

    Forudastan: Herr Ott, aus Ihrer Erfahrung als Umweltschützer, wenn ich Sie mal so nennen darf: Wieso setzt sich diese Einsicht, die ja nicht nur etwas mit Ökologie, sondern auch etwas mit Ökonomie zu tun hat, so schwer durch?

    Ott: Nun, erstens ist es ein sehr, sehr komplexes Problem, wissen wir alle. Zweitens sind die Wirkungen spät erst spürbar. Wer denkt denn in 30-, 40-jährigen Zeiträumen. Das fällt uns individuell sehr schwer, und das fällt Politikern und das fällt auch den Wirtschaftsführern noch viel schwerer. Drittens ist es so, dass wir natürlich ganz starke Interessen haben, Interessen von Profiteuren von bestehenden Strukturen.

    Das sind zum Beispiel die ganz großen Elektrizitätsversorger in unserem Lande, die von der jetzigen Struktur profitieren und die bisher sehr wenig Einsicht gezeigt haben, dass tatsächlich ein Umdenken nötig ist. Vereinzelt sehen wir das, zum Beispiel bei EnBW ist das spürbar geworden. Aber auch diese Firma will jetzt ein neues Braunkohlekraftwerk bauen, und das geht im Grunde überhaupt nicht. Also diese Kraftwerke dürfen nicht mehr gebaut werden, auch wenn Sie sehr effizient sind - weil sie einfach das Doppelte dessen ausstoßen, was ein modernes effizientes Gaskraftwerk ausstößt.

    Forudastan: Sie hörten ein Gespräch mit Herrmann E. Ott. Er leitet das Berliner Büro des Wuppertal-Institutes für Klima, Umwelt und Energie.