Donnerstag, 28. März 2024

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Das Öl läuft den Malern davon

Chemie. - Wer als Alternative zu unsicheren Börsengeschäften ein Ölbild gekauft hat, muss möglicherweise bald den Restaurator rufen. Denn immer häufiger werden Ölgemälde zeitgenössischer Maler zu regelrechten Schadensfällen. Der Grund: die Öl-Gemälde trocknen nicht mehr durch. Die Folge: Die Bilder bluten regelrecht aus.

30.07.2002
    Von Volker Mrasek

    Also, gucken wir uns doch hier Sigmar Polke an. 'Der Bayerische Landtag' heißt das Bild. Dieses Bild ist von 1985. Und ist ein stark pastoses Bild, sehr buntes, großes Bild. Und das Problem bei diesem Bild sind gerade diese pastosen aufgetupften Farbflecken."

    Kleiner Kunst-Exkurs in der Gemälde-Werkstatt der Fachhochschule Köln. Elisabeth Jägers, Dekanin im Fachbereich für Kunst-Restaurierung, blättert in einer Studienarbeit. Das Heft, das die Chemikerin in Händen hält, ist reich bebildert. Doch nicht, um den künstlerischen Glanz der gezeigten Öl-Gemälde aufleuchten zu lassen. Die Fotos sollen vielmehr ihre Schäden dokumentieren.

    Wenn man jetzt genauer hinguckt, sieht man, dass diese pastosen Farbtupfer ganz deformiert sind. Und die aufstehenden Farbzipfelchen sozusagen biegen sich schon um. Und das Ganze ist irgendwie weich und plastisch verformbar. Man kann sich vorstellen, dass dieses Bild oder diese Farbschichten noch wirklich im Fluss sind.

    Vorhang auf für ein echtes Kriminalstück in der Kunst-Szene, mit dem sich Elisabeth Jägers’ Arbeitsgruppe an der Kölner FH jetzt intensiver befassen will. Was bisher kaum jemand weiß: Viele Öl-Gemälde bedeutender zeitgenössischer Maler sind zu ernsten Schadensfällen geworden: Sie bluten stellenweise aus, weil die verwendete Öl-Farbe nicht mehr trocknet oder wieder aufweicht ...

    Es ist ein ganz großes Problem, was wir wahrscheinlich in der Dimension überhaupt noch nicht überblicken können.

    Auf der Patientenliste der Gemälde-Restauratoren stehen etliche Berühmtheiten der modernen Malerei: Emil Schumacher, Serge Poliakoff, Bernhard Schultze, Sigmar Polke ...

    Das ist auch gerade das Brisante bei unserem Thema, dass es halt Museumsobjekte sind. Sind das eigentlich jetzt Totalschäden? Kann man sie restaurieren? Was machen wir jetzt mit den Bildern? Kann man sie noch ausstellen?

    Klar ist auf jeden Fall: Es geht im doppelten Sinne um wertvolle Kunst:

    Die betroffenen Bilder liegen zum Teil deutlich über einer halben Millionen Euro im Handelswert. Die frühesten mir bekannten Objekte gehen bis in die 50er Jahre hinein.

    Auch für Börries Brakebusch häufen sich die Fälle mangelhafter Farbtrocknung. Der Restaurator hatte zuletzt ein Gemälde des bekannten deutschen Malers Gerhard Richter in seiner Düsseldorfer Werkstatt. Symptom: Transportschaden. Die Ölfarbe klebte an der Verpackungsfolie fest:

    Das hat einmal natürlich geringe Farbverluste zur Folge gehabt. Und zum anderen ist die Struktur der Oberfläche stark verändert worden, das heißt die Farbe ist im Prinzip unter dieser Folie zusammengelaufen und war dann spiegelglatt.

    Was sind die Gründe dafür? Warum trocknen die Öl-Farben nicht richtig? Wieso bluten die Bilder nach Jahren plötzlich aus?

    Ein Zentimeter-dicker Farb-Auftrag wie bei Sigmar Polke kann durchaus ein Grund sein. Das Malmittel - eine Mischung aus Farbpigmenten und meist Leinöl als Bindemittel - trocknet dann nicht mehr richtig durch.

    Doch das Phänomen des Ausblutens tritt auch bei Gemälden mit dünnen Farbschichten auf. Es muss also noch andere Ursachen geben, und zwar materialtechnische, wie Elisabeth Jägers glaubt. Denn tatsächlich ist Öl-Farbe längst nicht mehr das, was sie einmal war. Die Hersteller verwenden heute andere Pigmente als früher ...

    Und besonders große Probleme machen dann die modernen Farben wie die Azo-Farben. Die leuchtenden gelben und roten Pigmente, die man in der modernen Malerei findet. Oder das leuchtende Blau oder Grün. Auch synthetische Farben. Die sind sehr schlechte Trockner. Und mit denen treten auch die meisten Probleme auf.

    Probleme, die die Restauratoren kaum in den Griff bekommen. Deshalb will sich FH-Professorin Jägers dem Thema stärker widmen. Testreihen mit Ölfarben sind geplant, im Rahmen einer Diplomarbeit. Doch nötig, sagt die Chemikerin, sei eigentlich eine große konzertierte Aktion von Restauratoren und Naturwissenschaftlern im Kampf gegen den heimlichen Bilderverfall ...

    Ich glaube, es ist ziemlich viel verlangt, dies mit Restauratoren oder mit Restaurierungsstudenten und Restaurierungs-Diplomarbeiten zu lösen. Weil das auch ein naturwissenschaftliches Problem ist. Und die Öl-Forschung ist im Moment nicht so besonders en vogue. Unser Wissen ist nicht besonders gut dazu.