Dienstag, 19. März 2024

Archiv


Das Omakomplott

Sie taten sich zusammen und telefonierten: "Geldgeschenke sind blöd", da waren sie sich einig, und die Oma, die im Süden wohnt, sagte zu der Oma, die im Norden wohnt: "Das Kind kocht doch gern."

Von Ulrike Draesner | 26.12.2009
    Die Süd-Oma hatte den Herd schon im Spielzeugladen der reichen Südstadt gesehen, es war ein biologisch einwandfreier, hölzern handgezimmerter, gesunder, elterngefälliger Herd, unzerstörbar, noch an Enkel der Enkelin weitervererbbar, ideales Mädchenmaterial also, natürlich auch als Vorbereitung für das kommende Leben, aber daran, sagten die alten Frauen später, die viel gekocht hatten in ihrem Leben, dachten sie gar nicht, sie doch nicht!

    Die Nord-Oma packte ihr Auto, fuhr in das große Einkaufszentrum der Nordstadt und suchte nach Kinderherden. Bis heute ist es ein Rätsel, wie sie das Ding, das Monstrum, den Megabimmel-Quietsch-Klapper-Elektro-Vollplastik-Plastikausdünst-Herd jemals ins Auto bekam. Sie rief an und machte uns klar, dass wir ohne Gepäck in die Nordstadt reisen sollten, um das Geschenk abzuholen.

    DAS Geschenk.

    200 Kilometer. Wir erwarteten Großartiges. Wir bekamen ein sperriges, wenngleich relativ leichtes Paket, das kaum in unser Auto passte.

    Nach längerer Aufbauarbeit steht er nun da: rot, gelb, grün und grau, hinter den Platten ragen zwei elefantenbeinartige Säulen in die Höhe, darüber werden Küchenbretter gestülpt, eine gedruckte Plastikuhr zeigt für immer halb drei, riesige Schöpfkellen hängen daran. Es, sprich alles, pufft, knackt und keucht, sprich: das Kind kocht. Es findet den Herd wunderbar, die anderen Kinder im Haus ebenfalls, man kann alles mögliche in seine PVC-Tiefen mit angeschlossenem Kühlschrank werfen und verkochen. Der mitgelieferte Plastikbroccoli ist samt Strunk kleiner als die mitgelieferte Plastikzitrone, die Oberfläche des Geräts wurde mit Hunden beklebt, mit Filzstift bemalt, halb verwüstet, vollgestopft.

    Wenn ich es dann wieder höre, in meinem Arbeitszimmer, dieses unnachahmliche überschnelle Schrillen, die kleine Küchenfanfare, das Rattern der beiden Herdplatten, und auf den großen Herd schaue, der kalt bleibt, weil ich zum Beispiel diesen Text schreiben will, fühle ich mich so richtig froh – ich koche hier nicht! - und unglücklich zugleich – warum kocht hier niemand? - und denke nach über Maßnahmen zur sofortigen Zersetzung von Plastik, während die Südoma gewiss bereits wieder mit der Nordoma telefoniert und die beiden das nächste Geschenk aushecken, eines, das weiter an meiner Bekehrung zur Koch-, Bügel- und Waschfrau arbeiten wird.

    Fragen Sie sich jetzt auch, wann wir leben? Ich fragte es mich. In einer freien Minute eilte ich in die Spielwarenabteilung des nächsten Kaufhauses. Wie glänzten sie, die Wunderwerke: Spülmaschinen, die mit wenigen Handgriffen ans Wassernetz angeschlossen werden, Waschmaschinen, die man am besten in eine großen Waschschüssel stellt, bevor man sie mit Seife und Wasser befüllt, Dampfbügeleisen, die dampfen und zischen wie Lokomotiven.

    Unvermutet fühlte ich mich getröstet. Wenn ich einmal so alt bin wie die beiden Omas heute, kann ich vielleicht in der Großküche meiner Tochter - sie wird ein Restaurant leiten oder in einem Riesenbetrieb die Broccolizubereitung überwachen - als Schnipplerin arbeiten, da ich, anders als die beiden Omas, keine nennenswerte Rente mehr beziehen werde. Und dann wird sie mir aufgehen, leuchtend wie ein Weihnachtsbaum: die tiefere Weisheit des Omakomplotts.