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"'Das Opfer muss bluten, das Opfer muss schreien?"

Sie werden angegriffen - Sie wehren sich. Viele würden sich so verhalten. Andere gehen mit dem lustvollen Gedanken ins Stadion, mal so richtig die Aggressionssau rauszulassen. Was unterscheidet diese Menschen?

Von Peter Leusch | 24.06.2010
    "Die zentrale neue Überlegung ist, dass es der neben der reaktiven Aggression - also Sie schlagen zurück, wenn Sie bedroht werden, wenn Ihr Zuhause, wenn Ihre Kinder bedroht werden - neben dieser reaktiven Aggressionsbereitschaft auch eine Lust an der Aggression gibt, dass es Spaß machen kann, den Anderen zu überfallen. Ich nehme mal das Beispiel: Die bayrischen Burschen, die in das nächste Dorf ziehen und dort den Maibaum absägen, das ist ein Riesengaudi, ein Spaß, und woher kommt das, was ist das Lustvolle daran?"

    Thomas Elbert, Neuropsychologe an der Universität Konstanz, unterscheidet zwischen zwei Arten von Aggression, dem defensiven Sich-Wehren in der Bedrängnis, der unter Umständen auch gewaltsamen Verteidigung auf der einen Seite und dem offensiven, mit Lust besetzten Angriffsverhalten auf der anderen. Woher kommt vor allem diese zweite menschliche Variante von Aggressivität? Elbert unterlegt seiner Forschung eine evolutionsgeschichtliche These. Die lustbesetzte Aggression sei ein phylogenetisches (lt. Duden: "die Stammesgeschichte betreffend") Erbe aus jener Entwicklungsphase, in der sich der Frühmensch vom Vegetarier zum Jäger und Fleischfresser wandelte.

    "Etwa zwei, drei Millionen Jahre vor unserer Zeit, haben unsere affenartigen, damals noch affenartigen, Vorfahren angefangen zu jagen, und auch nach Fleisch zu jagen, Schimpansen tun das, sie können zum Beispiel die Kolobus-Affen jagen und töten.
    Und diese Entstehung des Jagdtriebes beim Menschen ist etwas Eigenes in der Evolution und ganz verschieden von dem hunde- und katzeartigen. Also wir jagen nicht wie die Löwen, sondern wir haben eine eigene spezielle Entwicklung unseres Jagdverhaltens im Laufe der Evolution entwickelt."

    Dass die Ausbildung der menschlichen Aggressivität mit dem vorgeschichtlichen Übergang zu Jagd und Fleischverzehr zusammenhängt, dieser Erklärungsansatz ist nicht neu. Neu ist jedoch, dass Thomas Elbert mit dieser Hypothese ins Labor der Hirnforschung geht und mittels bildgebender Verfahren nach neuropsychologischen Entsprechungen sucht.
    Elbert ist dabei durchaus kritisch gegenüber dem wissenschaftsmodischen Hype um die Hirnforschung. Der Nachweis, dass bestimmte Areale des Gehirns bei Aggressivität aktiv sind, liefert noch keinerlei Erklärung über Entstehung oder Kontrollierbarkeit von Aggressivität. Allerdings habe die Hirnforschung, so Elbert, herausgefunden, dass es für bestimmte Formen der Aggression und des Kampfverhaltens genetisch vorprogrammierte Bahnungen gebe, mit Zentren, die äußerst schnell reagierten, dafür aber recht unflexibel seien.

    "Wenn Sie eine Schlange sehen, können Sie innerhalb von 60 Millisekunden ein Programm einleiten, dass Sie in ihrer Bewegung stoppt. Aber zu analysieren, diese Schlange ist hinter einer Glaswand und von daher ungefährlich, da brauchen Sie 200 oder 300 Millisekunden, vielleicht in der Natur zu spät, und diese zwei Modi sind unterschiedliche Verarbeitungsströme und in ähnlicher Weise stellen wir uns vor, dass bei verschiedenen Aggressionsweisen auch unterschiedliche Regulationsformen und -zentren aktiv sind.
    Und das wollen wir mit den bildgebenden Verfahren abbilden."

    Ist der Typus der offensiven, lustbesetzten Aggression, die sich Elbert zufolge dem Menschen evolutionsgeschichtlich mit der Jagd eingeprägt hat, im Gehirn schneller und unflexibler geschaltet? Braucht umgekehrt die moralische Hemmung, mit der die Aggressivität kontrolliert und einschränkt wird, neuronal länger? Braucht das Gewissen, um wirksam zu werden, auch eine andere Grundstimmung, den sprichwörtlichen kühlen Kopf? Das sind Fragen an die Gehirnforschung, zu deren Klärung das Forschungsprojekt beitragen soll. Thomas Elbert kombiniert dabei die neuropsychologischen Untersuchungen im Labor mit empirischer Feldforschung, die sein Kollege von der Universität Konstanz, der Psychologe Roland Weierstall durchführt.

    "Wir haben bisher schon erste Studien gemacht in Gefängnissen von Ruanda und mit Kindersoldaten in Norduganda, die Forschung soll weitergehend dahin abzielen, insbesondere Kombattanten in Krisengebieten zu interviewen, zu schauen, ... inwieweit können wir dort auch Zusammenhänge mit anderem Erleben von Gewalt ziehen, beispielsweise - lassen Sie mich auf die Studien in Ruanda und Uganda verweisen, dort haben wir neben der Erfassung von Aggression und dem Spaß an Gewalt, der Freude am Töten, ebenfalls erfasst, inwieweit die Kombattanten, die wir dort interviewt haben, auch traumatisiert sind."

    In Kooperation mit afrikanischen Universitäten, mit Behörden und Gefängnisdirektionen hat das wissenschaftliche Team bereits 260 Teilnehmer gefunden. Zehn klinische Psychologen, die auf Erkrankungen aus dem Traumaspektrum spezialisiert sind, unterstützen Roland Weierstall vor Ort. Er wendet sich mit Fragebögen an die Betroffenen:

    "Wir haben erfasst auf der einen Seite: Liegt eine posttraumatische Belastungsstörung vor? Liegen Traumasymptome vor und in welchem Ausmaß? Und im Bereich der Aggression haben wir einen selbst entwickelten Fragebogen vorgegeben, wo wir beispielsweise unter anderem erfassen - mit Fragen wie 'Das Opfer muss bluten, das Opfer muss schreien?' Oder: 'Es macht mehr Spaß, jemanden zu töten, wenn es schwierig ist, diese Person zu besiegen?' Das sind Items, die wir abfragen, und dann erfragen wir dort, inwieweit die Teilnehmer bei den Fragen zustimmen oder nicht."

    Erste Befunde, so Roland Weierstall, belegen, dass Gewalterfahrungen auf Opfer- wie auf Täterseite dazu führen, dass das Risiko einer posttraumatischen Erkrankung steigt. Das bestätigt einmal mehr den teuflischen Kreislauf der Gewalt, wo erlittene Gewalt dazu anstiftet und darin einübt, selber Gewalt auszuüben.
    Weitere Befunde weisen aber auch in eine brisante Richtung. Jene Täter, die mit besonderer Lust an der Gewalt agierten, seien nicht so stark von einer Traumatisierung gefährdet: Je größer die Lust und die Faszination der Gewalt, desto geringer das eigene Erkrankungsrisiko? - Das wäre ein skandalöser Befund, ein Ergebnis, das unserer christlichen geprägten Moral ins Gesicht schlüge. Diese These müsste die weitere Forschung erst noch erhärten. In jedem Fall ist die Wissenschaft aber auch nicht dazu da, positive oder negative Vorurteile über den Charakter des Menschen zu stützen - also der Mensch sei von Natur aus nur gut oder nur böse - Wissenschaft soll Wahrheit finden, soll aufklären, auch wenn sie für unser Selbstverständnis bittere Pillen bereithält.
    Thomas Elbert:

    "Wir sprechen schon ein wenig ein Tabu an: Wir sagen, wir sind reaktiv, wenn wir jetzt zum Beispiel in Afghanistan unsere Truppen einsetzen, ... aber eine gute Kriegsführung bedeutet Planung, Überlegung, - also ich werde angerempelt und remple zurück, das ist keine gute Idee - sondern ich überlege, wie verhindere ich die Aggression des Angreifers, das ist keine reaktive, sondern eine ganz geplante, durchdachte und durchaus auch mit Faszination versehene Aufgabe.
    Ich glaube deshalb, je bewusster wir uns über unsere biologischen Voraussetzungen und Grundlagen werden, umso besser sind wir auch in der Lage, gezielt diese Verhaltensweise zu regulieren und einzusetzen."