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Das politische Gehirn

Psychologie. - Vergangene Woche erschien im britischen Fachmagazin "Nature Neuroscience" eine Studie eines New Yorker Psychologen, ob und wie sich politische Orientierungen im Gehirn nachweisen lassen. Das Papier sorgt für rege Diskussion unter Experten.

Von Michael Stang | 17.09.2007
    Im Prinzip war es nicht mehr als ein standardisierter Neurokognitionstest. Bei der Studie des New Yorker Psychologen David Amodio sollten 43 Testpersonen nach einem Signal immer auf den gleichen Knopf drücken. Vor dem Test, bei dem es plötzlich zu abweichenden Signalen kam, sollte jeder Teilnehmer angeben, wie liberal beziehungsweise konservativ er sich einstuft. Ziel war, verschiedene Aktivitätsmuster im Gehirn, genauer gesagt im vorderen cingulären Kortex, zu untersuchen.

    "Wir wollten herausfinden, ob wir einen Zusammenhang zwischen einem komplexen Phänomen wie der politischen Orientierung – also konservativ oder liberal – mit bestimmten Aktivitäten im Gehirn feststellen können. Dabei sahen wir, dass sich liberale Versuchspersonen schnell auf neue Situationen einstellen konnten, wenn sie ihr gewohnheitsmäßiges Verhalten ändern mussten."

    Die politisch konservativen Freiwilligen hingegen hatten Probleme, sich auf neue Umstände einzustellen. Diese Aussagen überraschten nicht und sorgten allenfalls für Kommentare über die Schwierigkeiten von Konservativen, flexibel zu reagieren. Überraschend jedoch ist der Hinweis des Autors in einem Nebensatz, dass die Korrelation zwischen politischer Orientierung und der Hirnaktivität erblich ist. Belegt wird diese Behauptung – wie in Fachzeitschriften üblich – mit einem Literaturverweis.

    "Wenn diese Aussagen in so berühmten Zeitschriften kommen wie in so einer Nature-Zeitschrift hier, dann denke ich, auch wenn auf irgendwelche Zitate zurückgegriffen wird, dann müssen das natürlich absolut abgesicherte Zitate sein."

    Das ist hier jedoch nicht der Fall, sagt Hans Zischler, Leiter des Instituts für Anthropologie der Universität Mainz. Denn die als heritabel – als vererbbar – bezeichneten Assoziationen sind nicht etwa in einem Genetikjournal erschienen, sondern in dem politischen Magazin "American Political Science Review". In diesem nicht-naturwissenschaftlichem Journal wird über eine genetische Vererbbarkeit einer politischen Orientierung spekuliert. Diese Spekulation nimmt David Amodio in seinem Artikel jedoch anscheinend als gegeben hin. Bei der verantwortlichen Redakteurin Sandra Aamodt nachgefragt, wieso mit einer Behauptung aus einem politischen Magazin plötzlich naturwissenschaftliche Fakten in einem Fachblatt wie "Nature Neuroscience" geschaffen werden, lautet die Antwort.

    "Normalerweise diskutieren wir solche Fragestellungen nicht mit Journalisten. Es ist nicht üblich, dass wir so etwas gefragt werden. Ich glaube, dieser Artikel hat nichts mit Genetik zu tun. Alle Informationen, die im Gehirn durch Kultur oder Erziehung gespeichert werden, verändern diese Funktion des Gehirns, aber es wäre besser, Sie würden darüber mit den Autoren sprechen."

    Eine solche Lässigkeit im Umgang mit den Grundregeln wissenschaftlicher Veröffentlichungen kann Hans Zischler nicht nachvollziehen, schon gar nicht bei einem so brisanten Thema.

    "Es wird hier eine Vermutung, die meines Erachtens wissenschaftlich nur ganz, ganz schwierig nachzuweisen ist, als gegeben in dieses Paper aufgenommen, es wird über eine Heritabilität plötzlich gesprochen. Das halte ich für extrem kritisch. Das Zweite, was kritisch ist, wenn solche Dinge gemacht werden, müssen wir natürlich immer aufpassen, inwiefern wir in irgendeiner Form unseren Vorurteilen dann letztendlich Tür und Tor öffnen und dass wir eine pseudowissenschaftliche Angelegenheit und Methodik plötzlich zur wissenschaftlichen Fundierung eines Vorurteils heranziehen."

    Sobald – wie in diesem Fall - eine wissenschaftliche Verarbeitung von nichtwissenschaftlichen Spekulationen stattfindet, schaffen Forscher unter Umständen das Etikett für parteipolitische Aktivitäten. Eine solche Problematik unter dem Deckmantel der Wissenschaft, die historisch eingehend bekannt sein dürfte, wird aber weder von der verantwortlichen Redakteurin selbst, noch von dem Autor nachvollzogen.