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Das Quartett Madame Baheux
Jung, feminin und frech

Hochenergetisch und verrückt-virtuos gehen die Musikerinnen aus Bosnien, Bulgarien, Serbien und Österreich ans Werk. Madame Baheux demontiert mit Spielfreude, Experimentierlust und komödiantischem Talent musikalische Balkanklischees.

Von Silvia Handke | 16.12.2016
    Eine Musikerin mit umgebundner Trommel geht auf einer Bühne auf die anderen drei Mitglieder von Madame Baheux zu
    Eigenwillig und eingeschworen: Die Musikerinnen von Madame Baheux (Igor Ripak)
    Baheux heißt im Wiener Dialekt soviel wie Lärm und die vier Damen der in Wien gegründeten Band sind auf der Bühne eines tatsächlich nicht: leise. 'Jung, feminin und frech' lautet ihr Motto und dementsprechend verbinden und zerlegen sie die Volksmusiken ihrer Heimatländer, paaren sie mit Jazz, Rock und Klassik.
    Für die klassischen Anleihen ist vor allem die serbische Frontfrau Jelena Popržan verantwortlich. Sie spielt Bratsche und hat sich mit ihren Mitstreiterinnen an Schlagzeug, Gitarre und Bass eine ungewöhnliche Bandumgebung ausgesucht. 2014 gewann das Quartett mit seinem Debütalbum den österreichischen Weltmusikpreis. Längst ist es aber auch außerhalb von Österreich bekannt.
    Brecht, Kreisler, Schuberth
    "Wir haben unser erstes Programm gemacht aus einer beliebigen Mischung von traditionellen Liedern, die wir ganz frei arrangiert haben. Wir haben Bertolt Brecht, Georg Kreisler und Richard Schuberth im Programm. Das ist so eine Mischung, die uns wichtig ist, die einfach einen Inhalt transportiert. Wir spielen die Stücke einfach nach, wie wir sie spüren. Die Änderungen im Arrangement merkt man auf jeden Fall. Unser persönlicher Input ist da, aber wir versuchen uns nicht vor die Musik, vor die Aussage zu stellen. Das ist natürlich das Wichtigste. Die neueren Stücke entstehen ein bisschen anders. Da komponiert eine von uns etwas und wir arrangieren es gemeinsam."
    "Ich bin eine alte Rockerin"
    Volksmusik des Balkans oder traditionelle Lieder waren weder für Jelena Popržan noch eine der anderen Musikerinnen Ausgangspunkt ihrer Arbeit. Sie kamen ursprünglich alle aus der Rock- und Popmusik. Gitarristin Ljubianka Jokič aus Bosnien:
    "Ich bin eine alte Rockerin - Jannis Joplin, Led Zeppelin - und plötzlich kommt Krieg in Bosnien. Dann gehe ich nach Wien, aber in Wien passiert mir etwas anderes. Aus reiner Nostalgie ich bin zu diesen Ethnotönen gekommen. Aber der Rock ist mir geblieben, brennt mir in den Fingern, und so mach ich weiter – so eine Kombination."
    Rhythmische Vielfalt bulgarischer Musik
    Die Bulgarin Maria Petrova ist die rhythmische Stütze des Quartetts. Sie spielt Schlagzeug und tûpan, die traditionelle Rahmentrommel ihrer Heimat. Als Kind hörte sie die alten Lieder ihrer Großmutter, aber auch sie fühlte sich schon in Bulgarien der westlichen Pop- und Rockmusik verbunden. Zum Musikstudium ging sie nach Wien, lernte die Ethnoszene kennen und fand damit Zugang zu ihren musikalischen Wurzeln. .
    "Da habe ich mich erst mit der rhythmischen Vielfältigkeit der bulgarischen Musik beschäftigt und dadurch, dass ich jetzt alle Stile ziemlich gut kenne, kann ich sie auch sehr gut verbinden, Parallelen finden und aus diesem musikalischen Reichtum schöpfen."
    Bratschistin Jelena Popržan wuchs in Serbien ebenfalls mit Rock und Pop auf und natürlich mit klassischer Musik.
    Nationalistischer Turbofolk war verpönt
    "Zur traditionellen Musik bin ich erst gekommen, als ich nach Österreich kam. Weil: Sie hatte eine schlechte Konnotierung in den 90er Jahren. Da kamen die Nationalismen hoch und die Volksmusik ist teilweise sehr ausgeartet, hat nationalistische Strömungen geschürt und unterstützt, in einer Form, die wir heute kennen als Turbo-Folk. Deswegen war sie eigentlich verpönt. Wir glaubten, dass wir mit Rock'n Roll dagegen kämpfen. Erst in Österreich bin ich dazu gekommen, diese Musik ohne die schlechten Konnotationen zu sehen und zu hören und zu lieben. Teilweise kommt die Nostalgie natürlich noch dazu, teilweise der sogenannte Balkanboom, der jetzt schon Gott sei Dank vorbei ist, aber das waren alles die Gründe, dass wir uns in unserer Weise der Volksmusik zugewandt haben."
    Volksmusik in Österreich ist speziell – wie Lina Neuner, die Kontrabassistin bei Madam Baheux meint. Die Österreicherin kommt aus Klosterneuburg, einem Vorort von Wien.
    "In der Stadt bekommt man in Österreich von Volksmusik gar nichts mit und ich hab erst langsam, und viel später verstanden, wie präsent das ist, vor allem in Westösterreich. Und bin auch erstaunt, wie sehr das zurzeit boomt."
    Eine Entwicklung, die auch mit Bands wie Madame Baheux zu tun hat, die frisch ans traditionelle Werk gehen.
    Aufnahme vom 9.7.16 beim Weltmusikfestival Rudolstadt
    Dieses Konzert können Sie nach Ausstrahlung sechs Monate online nachhören.