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Das Rätsel der Synapse

Wenn benötigte Stoffe von einer Zelle zur nächsten gelangen müssen, stellt der Körper dafür einen besonderen Service bereit: die Beförderung in kleinen Bläschen, sogenannten Vesikeln. Thomas Südhof, neuer Medizin-Nobelpreisträger, hat diesen Transportmechanismus am Beispiel von Nervenzellen im Gehirn untersucht.

Von Michael Lange | 07.10.2013
    Das menschliche Gehirn ist die komplexeste Struktur, die die Natur hervorgebracht hat. Beim Verständnis dieses Systems standen Neurowissenschaftler in den 1990er-Jahren noch ganz am Anfang. Damals interessierten sich die meisten Wissenschaftler für die Erforschung des Genoms. Dabei – so schien es – ließen sich schnell zahlreiche Ergebnisse erzielen. Aber Thomas Südhof, zunächst in Göttingen, dann in Dallas, Texas, schwamm gegen den Strom.

    "Wenn man dann weiß, dass das ganze Nervensystem mehr Zellen hat als es Basenpaare im Genom gibt, dann kann man sich vorstellen, wie schwierig es sein wird, das Nervensystem zu verstehen. Und wenn man dann noch weiß, dass jede Nervenzelle um die 1000 Synapsen macht, dann kann man sich die Komplexität der Verknüpfung des Gehirns vorstellen."

    Damals war bereits klar: Das entscheidende im Gehirn sind die Synapsen: Die Billionen Kontaktstellen zwischen den 100 Milliarden Nervenzellen, auch Schaltstellen genannt. Hier werden elektrische Signale übersetzt in chemische Signale, und dann wieder in elektrische Signale zurück übersetzt. Die Funktion der Synapse war und ist das große Thema von Thomas Südhof.

    "Das ist nicht ein Betonpfeiler, der einfach stehen bleibt. Das ist eine plastische Sache, und es werden ständig Signale über diese Kontakte hinweg gegeben. Und es ist denkbar, dass diese Kommunikation zwischen den Zellen, an der Synapse, in beiden Richtungen über solche direkten Verknüpfungen erfolgt."

    Durch die langen Fasern der Nervenzellen fließen elektrische Ströme blitzschnell, wenn auch nicht so schnell wie in einem Computer. Die Signale werden immer wieder gebremst. Denn an jeder Synapse wird aus einem elektrischen Signal ein chemisches Signal. Kleine Päckchen, gefüllt mit Botenstoffen und umhüllt von einer Membran, liegen bereit, am Ende des Ausläufers der Nervenzelle, sogenannte Vesikel. Auf das elektrische Kommando hin werden die Vesikel freigesetzt. Sie verlassen die Zelle und strömen in den synaptischen Spalt. Sie diffundieren durch diesen Spalt von einer zur anderen Nervenzelle. Angekommen auf der anderen Seite, lösen die Vesikel dann wieder ein elektrisches Signal aus. Die Information fließt weiter.

    Thomas Südhof entdeckte in den 90er-Jahren, wie die Zelle die Freisetzung der Vesikel kontrolliert. Das muss schnell gehen und präzise. Thomas Südhof fand: Die Konzentration von Calcium-Ionen entscheidet über die Freisetzung der Vesikel.
    Calcium steuert so die exakte Weiterleitung des Signals – genau zum richtigen Zeitpunkt. Außerdem entdeckte Südhof mehrere Proteine, die bei diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen.

    Was dort in den Synapsen billionenfach geschieht, ist die Grundlage des Lernens. Und bis heute beschäftigt sich Thomas Südhof mit Lernprozessen im Gehirn. 1996, als er seine jetzt geehrten Forschungen betrieb, schätzte er den Forschungsstand so ein:

    "Lernen ist sicher kein einfacher molekularer Prozess, dass da ein Molekül für verantwortlich ist. Ich glaube, dass wir in der Neurobiologie immer noch am Anfang stehen, und dass wir komplexe tierische und menschliche Leistungen wie Lernen nicht verstehen werden, bevor wir nicht mehr über ganz fundamentale Prozesse in der Zelle wissen überhaupt."

    Heute ist man etwas weiter. Und Thomas Südhof hat wesentlich dazu beigetragen, dass viele Grundlagen der Neurobiologie inzwischen bekannt sind.

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