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Das Rätsel des Lebens

Die Biologie ist auf dem Weg, das Rätsel des Lebens Schritt für Schritt aufzulösen. Doch so überwältigend ihre Fortschritte auch sind, bestimmte Aspekte beschreibt die Biologie nicht. Denn um das Leben als Ganzes zu verstehen, sind auch Philosophie, Religion und Kunst nötig.

Von Ingeborg Breuer | 15.12.2011
    "Leben zeichnet sich dadurch aus, dass es eine eigenen aktiven Stoffwechsel hat. Stoffe werden aufgenommen, verstoffwechselt wieder ausgeschieden. Damit deckt man vielleicht Bereiche, die andere Wissenschaften gern im Lebensbegriff haben, nicht ab, aber biologisch gesehen, reicht das schon fast."

    "Das Rätsel des Lebens" hieß die Tagung an der Evangelischen Akademie des Rheinlandes. Die Biologie ist auf dem Weg, dieses Rätsel Schritt für Schritt aufzulösen. Der Mensch macht dem Schöpfer seine Rolle streitig, pointierte das Wissenschaftsblatt "Nature" im vergangenen Jahr. Sei es, dass er selbst zum "Schöpfer" wird – oder die "Schöpfung" mit naturwissenschaftlichem Blick entzaubert. Aufsehen erregt in den letzten Jahren etwa die "synthetische Biologie", eine Weiterentwicklung der Genforschung, über die Dr. Margret Engelhard von der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen referierte.

    "In der Gentechnik hat man, um eine bestimmte Eigenschaft zu erreichen, ein Gen von einem Organismus in einen anderen transformiert. In der synthetischen Biologie geht man hin, um Organismen von Grund auf neu zu designen."

    Schlagzeilen machte im Jahr 2010 ein Forschungsteam am Craig Venter Institut in den USA. Erstmals gelang es den Wissenschaftlern dort, eine synthetische Zelle zu erzeugen.

    "Craig Venter hat dort ein Genom vollständig im Reagenzglas synthetisiert und das in eine leere Bakterienhülle eingebracht. Und dieses Bakterium hat dann die Eigenschaft dieses künstlichen Genoms eingenommen."

    Zwar wurde damit kein komplett neues Lebewesen geschaffen, denn letztlich wurden die Bausteine der DNA nur neu zusammengesetzt. Doch heraus kam immerhin eine lebensfähige Zelle, die von einem synthetischen Genom dirigiert wird und sich sogar selbstständig vermehren kann. Und die Entwicklung geht weiter.

    "Sie haben vor, ein ganzes Lebewesen im Reagenzglas zu schaffen. Ich kann’s mir grundsätzlich vorstellen, dass das früher oder später auch passiert."

    Allerdings möchte Margret Engelhard das synthetische Leben vom Reißbrett nicht "Schöpfung" nennen, sondern eher "Design". Eine Art Ingenieurkunst, mit dem Ziel, maßgeschneiderte Mikroorganismen mit neuen, nützlichen Eigenschaften zu schaffen. Bakterien etwa, die Biokraftstoffe produzieren, Plastikmüll verwerten oder medizinische Wirkstoffe liefern.

    "Kreieren und Schaffen hat immer so eine göttliche Dimension drin, ich spreche lieber von Designen. Aber es ist durchaus so, dass die einen oder anderen synthetischen Biologen sagen, dass sie bessere Lebewesen schaffen, als die in der Natur vorkommen."
    "Die Erde soll Leben hervorbringen" heißt es bereits im Alten Testament, "alle Arten von Vieh und wilden Tieren und alles, was auf der Erde kriecht". Wie die Erde das gemacht hat, beantwortet heutzutage die Evolutionsbiologie. Und zwar ausgesprochen prosaisch. Denn das Geheimnis des Lebens ist: Fressen, um zu überleben und sich fortzupflanzen. Dr. Meike Teschke, Biologin am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön:

    "Dieser Drang des Lebens muss im Leben verankert sein, ganz tief verankert. Weil sonst gäbe es kein Leben mehr, würden die Organismen nicht alles dransetzen sich fortzupflanzen, wäre das Leben auch ganz schnell wieder weg."

    Alles Leben will sich also vermehren. Und bei der Weitergabe des Erbgutes kommt es immer wieder zu zufälligen genetischen Mutationen.

    "Es gibt die neutralen Mutationen, die haben keinerlei Funktion und Folge für den Organismus, das ist die Mehrheit, dann gibt es negative Mutationen, die einen Organismus krank machen oder weniger fit sein lassen. Und es gibt positive Mutationen, die einem Organismus helfen, besser in der Umwelt klarzukommen."

    Kann sich ein Organismus – ob primitive Zelle oder höheres Lebewesen - nun aufgrund solcher Mutationen plötzlich besser als andere an seine Umgebung anpassen, wird dieser Organismus auch mehr Nachkommen produzieren. Das schlechter Angepasste stirbt im Laufe der Jahrtausende aus. Das Leben entwickelt sich weiter. "Survival of the fittest", das Überleben der bestangepassten Individuen, hieß das schon bei Darwin. Allerdings hat die Genforschung mittlerweile herausgefunden, dass nicht nur der Zufall, sondern auch die Umwelt, unsere jeweiligen Lebensumstände, einen bleibenden Einfluss auf unser Erbgut haben können.

    "Ich hab mein Gen, das steht als Wort im Erbgut und ich kann dieses Gen jetzt ein- und ausschalten, indem ich auf diesen Start des Gens ein Eiweiß draufsetze oder nicht. Es gibt epigenetische Veränderungen, die über das Leben hinweg angesammelt werden, einfach als Reaktion unseres Körpers auf bestimmte Umweltbedingungen."

    Diese "Banalität", mit der sich das Leben durch mehr oder weniger zufällige Mutationen und daraus folgende "Selektionen" vom primitivsten Einzeller bis hin zum Menschen entwickelt haben soll, war für einige Besucher der Tagung schwer verdaulich. Zudem bleibt die Evolutionsbiologie ja bis heute Antworten auf zentrale Fragen schuldig. Wieso das Leben vor circa vier Milliarden Jahren in irgendwelchen Molekülen überhaupt erwachte, ließ sich bislang im Labor jedenfalls nicht rekonstruieren. Öffnet sich damit dann nicht doch der Raum für eine Art "intelligenten Designer" wie es fundamentalistische Christen gerne behaupten? Der evangelische Theologe Professor Michael Roth von der Universität Bonn warnt vor solchen Schlüssen:

    "Gott ist nicht der Lückenbüßer für Dinge, die Biologie und Physik nicht erklären können. Wenn man so vorgehen würde, würde man Gott davon abhängig machen, und er würde immer kleiner werden in diesem Bereich. Vor allem würde er aus unserem Leben heraus gedrängt werden, weil er nur noch in diesen naturwissenschaftlichen Fragen eine Rolle spielt."

    Wird also mithilfe der Biologie in Zukunft das "Rätsel des Lebens" gelöst werden können? So überwältigend ihre Fortschritte auch sind: Auch die Biologie beschreibt nur bestimmte Aspekte, so der Leiter der Evangelischen Akademie Dr. Frank Vogelsang, und nicht das ganze Leben.

    "Wir fragen schon, warum sind wir so geworden, wie wir geworden sind, warum ist der Mensch entstanden, warum haben wir die Intelligenz, die wir bekommen haben, da sind starke philosophische und theologische Bezüge drin. Wenn wir bestimmte Molekülprozesse verstehen wollen, dann können wir das auf dem Labortisch machen. Aber wenn wir das Leben als Ganzes verstehen wollen, dann sind wir viel zu stark eingebunden und können uns nicht genügend distanzieren."

    Das Leben, das ist eben immer auch eine individuelle Lebensgeschichte. Das sind Erfahrungen von Schmerz und Freude. Es umfasst die Begegnung mit anderen. Und nicht zuletzt auch das Wissen des Menschen um seinen eigenen Tod. Bleibt also am Ende doch etwas "Unverfügbares", ein Rätsel eben, dem sich Religion, Philosophie oder Kunst vielleicht eher annähern können als die Biologie?