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Das Rätsel des Philosophen

Spannendes für Bildungsbürger schrieb schon Agatha Christie mit ihrem legendären Krimi Tod auf dem Nil. Auch im Buch des kubanischen Psychiaters und Schriftstellers José Carlos Somoza wird die Antike wieder zum Schauplatz von Verbrechen. Doch in "Das Rätsel des Philosophen" treibt der Mörder nicht sein Unwesen im Schatten der Pyramiden, sondern zu Füßen der Akropolis.

Evita Bauer | 12.02.2002
    Passend zum Thema der diesjährigen Buchmesse, hat der in Spanien aufgewachsene Autor seinen Krimi in Attika angesiedelt. Für jeden seiner bisher sechs Romane bekam Somoza jenseits der Pyrenäen einen Literaturpreis erhalten. "Das Rätsel des Philosophen" schließt nun die Trilogie des Wahlspaniers, um die metaliterarischen Möglichkeiten im Roman zu erkunden. Aber keine Angst: Somoza möchte dabei unterhalten - und es gelingt ihm! Mit seinem jüngsten Buch hat er jetzt auch endgültige Anerkennung bei der Kritik gefunden. Augenzwinkernd greift der Autor darin nicht nur, wie zur Zeit unter Lateinamerikanern üblich, die Erzähltechniken von Borges auf, sondern auch beispielsweise den dickwanstigen Detektiv der britischen Krimikönigin: Herakles Pontor ist Somozas Hércules Poirot. Doch das alte Griechenland ist dem schreibenden Psychiater mehr als nur opportune Kulisse für seinen Krimi.

    Die Welt der Griechen hat mich immer interessiert. Dabei fiel mir auf, wie wenig sie im Vergleich mit anderen Epochen der Geschichte wahrgenommen wird. Wir scheinen die großen Pyramiden, die riesigen Bauwerke, die Eroberung neuer Welten, die großen Heere mehr zu schätzen als die Philosophie. Offen gestanden, glaube ich, daß die Welt noch nie Denken und Vernunft so nötig wie jetzt hatte. Gerade im Moment wäre es klug und ratsam, wenn die Menschheit sich aufs alte Griechenland besinnen würde. Für einen Romanschriftsteller ist es eine äußerst interessante Zeit, auch um eine Geschichte darin spielen zu lassen und zu erzählen. Natürlich sollten die Protagonisten keine langweiligen Philosophen in der Toga sein. Ich wollte einen in der Antike spielenden Krimi schreiben. Warum auch nicht?

    Der Genremix aus historischem Roman und Detektivgeschichte, verleitete manche Kritiker in Spanien dazu, Das Rätsel des Philosophen euphorisch mit Umberto Ecos Der Name der Rose zu vergleichen. Der Autor sieht darin eher ein Divertimento.

    Sein Feigen essender Detektiv in der Toga lässt, wie die klassischen Vorlagen, weniger Muskel als graue Gehirnzellen spielen. Als überzeugter Realist setzt er allein auf den Verstand, um den mysteriösen Tod dreier Schüler an Platons Akademie zu klären. Deshalb, und weil die Handlung in Hellas spielt, bezeichnet ihn Somoza konsequent nicht als Detektiv, sondern als "Rätsellöser". Dessen Auftraggeber und Assistent ist wiederum ein Idealist.

    So kreiert der Autor ein philosophierendes Ermittlerpaar, das auf der Suche nach dem Serienkiller sich ideologisch fetzt: Wirklichkeit gegen Ideenwelt - der spanische Originaltitel zitiert Platons Höhlengleichnis. Darüber hinaus ist Somozas Dr. Watson Lehrer an Platons Akademie.

    Die Spur führt das debattierende Paar von den angesehenen Familien der Opfer über Halbwelt und exaltierte Bohème hinab zu den Katakomben des alten Athens und schließlich zu den menschlichen Abgründen: Die grausam verstümmelten Leichen der Jünglinge sind das perfide Ablenkungsmanöver eines hochintelligenten Monsters nach Art "Hannibals" aus dem Thriller "Das Schweigen der Lämmer", das sein Spiel mit der Ratio treibt.

    Somoza ist nicht nur humanistisch gebildet, sondern hat als Psychiater auch Freuds Persönlichkeitsmodell verinnerlicht - obwohl er sich als Romancier dagegen wehrt. Neben dem Idealisten und Realisten steht im Roman der Triebmensch. Und dieser, so viel hier sei verraten, ist auch der Täter.

    Das Rätsel des Philosophen fesselt aber nicht nur durch den ausgetüftelten Plot und durch lebendige, historische Szenarien. Parallel zum Krimi wird in Fußnoten eine zweite Geschichte erzählt, die in die erste eingreift und zu einem Teil davon wird. In den Anmerkungen zum Text sucht ein Übersetzer nach der Botschaft des Romans:

    Letzten Endes sind wir Leser bei genauerer Betrachtung alle Übersetzer. Wenn wir ein Buch lesen, übersetzten wir es automatisch in unsere jeweilige Erfahrungswelt - auch wenn es in unserer Muttersprache geschrieben wurde. Unbewußt erhoffen wir, von der Lektüre eines Buches auch immer für uns die Wahrheit herauszufiltern. In vielen Fällen sehen wir uns enttäuscht. Dann taucht die Frage auf, was wollte der Autor uns sagen? Jeder hat seine eigene Wahrheit. Es ist nahezu ausgeschlossen, in einem Text nur eine einzige Wahrheit zu finden, die allgemein verbindlich ist.

    Mit der Figur des Übersetzers wollte Somoza nicht nur einen Spiegel für den Leser schaffen, sondern ihn auch gleichzeitig am Romangeschehen aktiv beteiligen. Trotz seines philologisch versierten Auges, scheitert dieser beim Versuch einer Interpretation. Denn es gibt noch eine weitere, jenseits seiner Wirklichkeit als Übersetzer existierende Realität...

    In den Fußnoten, die Somoza erst im Nachhinein dem Roman hinzufügte, verstrickt er den Leser in einen zweiten, metaliterarischen Krimi. In diesem wird nicht nach einem Täter, sondern nach dem Autor gesucht. Elegant und geschickt führt Somoza die beiden ineinander greifenden Handlungsstränge zu einem verblüffenden Ende zusammen:

    In der Literatur gibt es nur eine Möglichkeit realistisch zu sein. Und die entsteht meiner Ansicht nach nur durch die Literatur selbst. Das heißt: Wenn es ein Buch gibt, gibt es auch Worte und jemand, der sie niederschrieb und vermutlich auch mindestens einen Leser, nämlich den Autor. Diese unumstößliche Tatsache wollte ich einfangen. Dem Realismus habe ich nie vertraut. Aber das war nichts wohl Überlegtes und Durchdachtes. Ich habe mich nicht hingesetzt, um über den Realismus in der Literatur nachzudenken. Nein. Ich konnte einfach keine Geschichten erfinden. Das erschien mir wie Lügen.

    In der Tradition von Cervantes, Sterne und Diderot macht sich Somoza einen Spaß daraus, den Leser zu foppen und ihn auf intelligente Weise zu unterhalten - allerdings geht er dabei nicht so weit, eine "schwarze Seite" einzufügen. Er begnügt sich mit einem "falschen Kapitel". Denn im Unterschied zu Sterne und trotz seines Faibles fürs literarische Spiel, bleibt es im "Rätsel des Philosophen" der Handlung untergeordnet. Wozu dann aber der Griff in die Zauberkiste der Romanciers?

    Auch wenn das Buch den Leser nicht enttäuscht, drängt sich hier doch die bereits von Somoza parodierte Frage, nach der Absicht des Autors auf. Ist das "Rätsel des Philosophen" nur eine raffinierte Pirouette auf dem Glatteis der Literatur?

    Die Botschaft entsteht durch uns. Es mag vielleicht den Anschein haben, ein Text hätte eine klare Botschaft. Auch wenn der Text sehr eindeutig ist, kann er dennoch viele Botschaften enthalten. Ich bin davon überzeugt, dass kein Text eine absolute Botschaft oder Wahrheit enthält. Das wollte ich mit dem "Rätsel des Philosophen" zeigen. Aber nur weil es diesen Beweis erbringt, heißt das doch nicht, das "Rätsel des Philosophen" hätte keine Botschaft. Das ist ja gerade die Botschaft. Kein Buch enthält eine absolute Wahrheit.

    Wie einst Cervantes möchte auch Somoza im "Rätsel des Philosophen" davor warnen, Literatur allzu Ernst zu nehmen. Das subtile Spiel der Phantasie und des Erfindungsgeistes rückt der Autor, der davon träumte Psychiater zu werden und doch zum Schriftsteller wurde, im Epilog ironisch zurecht:

    Ich glaube, besser ist es, ein imaginäres Wesen zur Realität zu verdammen, als ein reales zur Fiktion.