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Das rechte Israel

Der Gaza-Krieg und die Marineaktion gegen die Free-Gaza-Flottille haben das innenpolitische Klima Israels verändert: Das ohnehin schon ausgeprägte Freund-Feind-Schema findet seitdem fast täglich Anwendung. Auf die knapp 1,6 Millionen arabischen Israelis kommt eine neue rechtsnationale Sanktionswoge zu.

Von Clemens Verenkotte | 08.06.2011
    Singend, jubelnd, teilweise auch grölend strömen Tausende von israelischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch das Damaskus-Tor in die Altstadt von Jerusalem in Richtung Klagemauer. Unzählige Nationalfahnen werden geschwenkt, auch Flaggen der jüdischen Siedlungen von Kiryat Arba und der in Hebron in der Westbank sind zu sehen. Weiter geht es, durch die engen Gassen, vorbei an verriegelten schmalen Verkaufsläden palästinensischer Geschäftsinhaber.

    Es ist der 1. Juni, "Jerusalem-Tag", an dem Israel an die - wie es offiziell heißt - "Wiedervereinigung" der Stadt nach dem Sechs-Tage-Krieg vor 44 Jahren erinnert und an dem viele Palästinenser in Ost-Jerusalem, im Westjordanland und Gaza-Streifen an den Beginn und die scheinbar endlos andauernde israelische Besatzung denken.

    Ein Großaufgebot an Polizei, Grenzpolizei und Inlandsgeheimdienst schirmt den alljährlichen Marsch ab, einige Dutzend Jugendliche skandieren "Tod den Arabern" den hinter Polizeiabsperrungen ausharrenden palästinensischen Altersgenossen zu und - "Tod den Linken".
    Einige Kilometer entfernt, im Plenarsaal der Knesset, steht Benjamin Netanjahu am Rednerpult: Die traditionelle Aussprache am "Jerusalem-Tag" im Parlament nutzt der Ministerpräsident zu einem eher nüchtern klingenden Bekenntnis zum weiteren Ausbau der Stadt:
    "Mit unseren Worten und Taten möchten wir die Einheit und Vollkommenheit der Stadt Jerusalem erhalten, da diese Stadt nicht nur ein Jerusalem von oben, sondern auch ein Jerusalem von unten ist und nicht nur ein Jerusalem von gestern, sondern auch ein Jerusalem von morgen. Wenn ich also von Taten spreche, dann meine ich Taten: Bautätigkeit, Erziehung, Kunst, Kultur, Tourismus, Wirtschaft."

    Der Ministerpräsident der rechtsnationalen Regierungskoalition glaubt allen Grund zu haben, mit sich und seinen Bemühungen zufrieden zu sein: Nach seiner USA-Reise schnellten seine Zustimmungswerte zweistellig in die Höhe. Seine Koalition ist stabiler denn je. Die Mehrheit der Bevölkerung teilt seine politische Weltsicht.

    Und zudem konnte er den halbherzigen Interventionsgesten des US-Präsidenten vor dessen heimischem Polit-Publikum die rechte Antwort geben: Nein zum Rückkehrrecht der Palästinenser, Nein zum Stopp des weiteren Baus jüdischer Siedlungen in der Westbank, Nein zur Rückgabe der annektierten Gebiete Ost-Jerusalems, die zuvor zum Westjordanland gehörten, Nein zur Aufgabe der "Grenzsicherung" am Jordanfluss durch die israelische Armee, Nein zur palästinensischen Aussöhnung von Fatah und Hamas und damit faktisch Nein zur Entstehung eines palästinensischen Staates, der halbwegs auf den Grundlagen der seit Jahrzehnten nicht umgesetzten UN-Sicherheitsratsbeschlüsse basieren würde.

    Benjamin Netanjahu, Sohn des 101-jährigen Historikers Benzion Netanjahu, bis zum Tod Wladimir Zeev Jabotinskys 1940 enger Mitarbeiter dieser ideologischen Führungsfigur im äußerst rechten, revisionistischen Lager, lobte am 25. Mai unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Washington noch auf dem Flugfeld seine US-Visite mit den Worten:
    "Ein ausgezeichneter Besuch. Wir haben dort erfahren, dass Amerika entschlossen ist, sich für die Grundlagen zu engagieren, die dem Staat Israel wichtig sind, sowie für unsere Sicherheit und für das Erlangen eines wirklichen Friedens. Ich habe eine sehr starke amerikanische Unterstützung erfahren. Ich denke, dass dies sowohl für die Gegenwart, als auch für die Zukunft wichtig ist. Die (Unterstützung) ist auch wichtig, da sich die Mehrheit des israelischen Volkes auf dieselben Grundlagen stützt. Ich hoffe sehr, dass man heute verstehen wird, dass es Grundsätze gibt ,die für die Zukunft wesentlich sind. Nämlich erstens, dass die Palästinenser einen jüdischen Staat anerkennen werden, zweitens, dass Israel verteidigungsfähige Grenzen benötigt und drittens, dass ein Friedensprozess nur dann möglich wird, wenn die Hamas außen vor gelassen wird. Wir warten jetzt auf die palästinensische Reaktion."
    "Dein Akzent ist russisch. Geh doch zurück nach Russland!"

    ""Dieser Staat hat seinen Verstand verloren."

    Tel Aviv, 21. April, kurz nach zehn Uhr, vor dem Erez Israel Museum: Stimmgewaltige, rechtsgerichtete Störer mischen sich unter einige Dutzend israelische Intellektuelle, die genau vor dem Gebäude, in dem David Ben Gurion vor 63 Jahren die Gründung des Staates Israel ausgerufen hat, zur Gründung des Staates Palästina auffordern wollen.
    "In Syrien würde man Euch alle aufhängen! Verbrecher! Ihr seid Nazis! Ihr gefährdet die Sicherheit des Staates Israel. Ihr tötet die Demokratie im Staat . Ihr seid eine Schande!"
    Es sind Israelis wie der Schriftsteller Amos Oz, der Philosoph Avishai Margalit, wie Tel Avivs Vize-Bürgermeisterin Jael Dajan, die Tochter des früheren Generalstabschefs und Verteidigungsministers Mosche Dajan, die an diesem sonnigen Vormittag ein persönlich mutiges, aber einsames Zeichen setzen. Wie eine kleine Insel, auf der einige Wenige die politische Rationalität des Landes zu retten versuchen, werden die - von der israelischen Presse konsequent als "linke Friedensaktivisten" titulierten - Demonstranten von einem stramm rechtsnationalen Meer umspült, dessen Wogen die Insel zu überfluten drohen:
    "Geht doch nach Gaza, nach Jenin, fahrt zum Teufel. Nur verschmutzt, verseucht uns den Staat nicht!"

    Von der anderen Straßenseite erschallt der Sprechchor:

    "Fünfte Kolonne, fünfte Kolonne!"
    Unbeeindruckt von der verbalen Gewalt und der mitunter beängstigenden körperlichen Bedrängung durch die rund zwei Dutzend rechtsgerichteten Störer, hält die 71-jährige, fragil wirkende Jael Dajan an ihren politischen Grundüberzeugungen fest: Ohne ein Ende der Besatzung und die Gründung eines palästinensischen Staates werde Israel keine gesicherte, friedliche Zukunft haben. Die Ausrufung eines Staates Palästina durch die UN-Generalversammlung, wie es sich der Chef der Autonomiebehörde Mahmud Abbas für den kommenden September wünsche, sei ein erster Schritt:
    "Wir sind Besatzer, wir fördern den Hass. Ich weiß nicht, was klüger ist: Die Palästinenser werden einen Staat ausrufen, so wie wir es auch 1948 getan haben. Die palästinensischen Kinder werden im September am Radio sitzen und das hören, was ich im Alter von neun Jahren gehört habe: 'Guatemala - ja. Frankreich - ja', und sie werden die Auszählung hören. Und ich hoffe, dass ihre Auszählung so wie unsere Auszählung damals auch erfolgreich sein wird."

    Dann unterbricht wieder ein Störer und ruft:

    "Was lügst Du? Was lügst Du?! Du mieses Stück Dreck! Jael Dajan ist eine Kriminelle!"
    "Die Linke hat die Diskussion beherrscht. Doch bei allen Fakten, die vor Ort geschaffen wurden, hat sie verloren."
    Avishai Margalit sitzt im Wohnzimmer seines Appartments in der "German Colony" von Jerusalem. Es ist ein angenehm warmer Frühsommertag, durch die geöffnete Balkontür dringt angeregtes Vogelgezwitscher. Der wohl renommierteste israelische Philosoph beteiligt sich seit mehr als 40 Jahren an der innenpolitischen Debatte seines Heimatlandes, ergreift immer wieder in seinen Publikationen Partei für einen Ausgleich mit den palästinensischen Nachbarn, machte unmittelbar nach der Gründung von "Peace Now" Anfang der 80er-Jahre bei der zunächst einflussreichen, heute jedoch marginalisierten Friedensbewegung mit.

    Was der emeritierte Philosophieprofessor an der Hebräischen Universität von Jerusalem mit dem englischen Begriff "facts on the ground" bezeichnet, meint die jahrzehntelange Ansiedlung von israelischen Staatsbürgern jenseits des Grenzverlaufs vor Ausbruch des Sechs-Tage-Krieges. Zwar würden selbst rechtsgerichteten Likud-Politikern wie Benjamin Netanjahu mittlerweile Wörter wie "palästinensischer Staat" und "Zwei-Staaten-Lösung" über die Lippen kommen - doch diese Bekenntnisse nützten nichts. Avishai Margalit:
    "Die Rechten haben bei allen Fakten, die vor Ort geschaffen wurden, gewonnen; die öffentliche Debatte aber haben sie verloren. Sie sagen jetzt Dinge, die ihnen früher ein Greuel waren, als wir anfingen von der "Zwei-Staaten-Lösung" zu sprechen, die sie bestritten. Was also das gesprochene Wort angeht, handelt es sich um ein sehr irreführendes Bild der Wirklichkeit. Aber ich bin kein Postmoderner in dem Sinne, dass die Darstellung von Wirklichkeit wichtiger ist als die Realität. So glaube ich, dass wir bislang auf der Verliererseite sind. Denn, was am meisten zählt, ist das, was an Ort und Stelle geschieht und eben nicht das, was gesagt wird."

    Im Plenarsaal der Knesset, in dem es traditionell wesentlich lebhafter und mitunter turbulenter zugeht als etwas im US-Congress oder im Bundestag, kommt es an diesem 02. Juni 2010 zu erregten, hoch emotional ausgetragenen Szenen: Zwei Tage nach der blutigen Erstürmung der "Free-Gaza-Schiffe" durch die israelische Marine will die arabische Abgeordnete Hanin Zuabi, die sich an Bord des größten Free-Gaza-Schiffes befunden und anschließend massive Kritik am Vorgehen der Streitkräfte geübt hatte, am Rednerpult sprechen.
    Minutenlang schallt der 41-jährigen Parlamentarierin aus Nazareth zuweilen offener Hass einer großen Mehrheit der anwesenden Knesset-Mitglieder entgegen. Eine Abgeordnete der russischen Einwandererpartei Israel Beiteinu, die Zuabi um Haupteslänge überragt, baut sich direkt neben ihrer arabischen Kollegin am Rednerpult auf und will ihr das Wort verbieten lassen. Die Likud-Abgeordnete Miri Regev macht kurz darauf aus ihrem Herzen keine Mördergrube:
    "Die Abgeordnete Zuabi muss bestraft werden. Wir brauchen keine trojanischen Pferde in der Knesset. Deswegen schlage ich der Abgeordneten Zuabi vor, dass sie gut zuhört, ich hoffe die Worte in Arabisch richtig auszusprechen: Geh nach Gaza, Verräterin! Eine Verräterin, das ist sie! Wir brauchen keine Verräter im israelischen Parlament!"

    Wie kaum zwei andere Ereignisse der vergangenen Jahre, so haben der Gaza-Krieg und die spätere Marineaktion gegen die Free-Gaza-Flottille das innenpolitische Klima Israels verändert: Das ohnehin schon ausgeprägte Freund-Feind-Schema findet seitdem in der politischen und publizistischen Debatte fast täglich Anwendung. Auf die knapp 1,6 Millionen arabischen Israelis, die 20,5 Prozent der Bevölkerung Israels ausmachen, kommt eine neue rechtsnationale Gesetzes- und Sanktionswoge zu, von deren Ausmaß und Charakter viele überrascht werden. Yariv Levin, Vorsitzender des Geschäftsführungsausschuss der Knesset und Likud-Abgeordneter kündigte umgehend Sanktionen gegen Parlamentskollegin Zuabi an:
    "Ich habe vor, im Knessetkomitee alles in meiner Macht Stehende zu tun, um eine eindeutige rote Linie zu ziehen und dafür zu sorgen, dass die arabischen Abgeordneten anfangen, sich wie Abgeordnete Israels zu verhalten und nicht wie Vertreter des Feindes in der Knesset."

    Kurz darauf votierten 34 Abgeordnete, bei 16 Gegenstimmen, für den Knesset-Beschluss, Hanin Zuabi wegen ihrer Teilnahme an der Free-Gaza Flottille einige ihrer parlamentarischen Rechte zu entziehen: das Recht der Knesset-Mitglieder, einen Diplomatenpass zu haben sowie Gelder für juristischen Beistand zu erhalten. Auch wurde der arabischen Parlamentarierin verboten, Staaten zu bereisen, in denen israelischen Bürgern der Aufenthalt verboten ist - das sind mit Ausnahme Ägyptens und Jordaniens unter anderem alle arabischen Staaten.

    Tal Silberstein, der als Wahlkampfmanager maßgeblichen Anteil an der Wahl von Ehud Barak zum Ministerpräsidenten im Jahr 1999 hatte und seitdem als Politik-Berater im In- und Ausland arbeitet, stellte nach den Sanktionen gegen Zuabi im israelischen Fernsehen einen spürbaren innenpolitischen Stimmungswandel fest:
    "Seit dieser Geschichte mit der Flottille habe ich ziemlich erschüttert beobachtet, was in der israelischen Öffentlichkeit passiert ist. Was mich am meisten gestört hat, war die Hetze, die in meinen Augen immer gefährlicher wurde. Eine Art Ausbruch von Patriotismus, nein, mehr als das: Das ist ein Ausbruch von innerem Nationalismus, von dem alle erfasst werden. Dieser Ausbruch hat sich dann zu einer beinahe gewalttätigen Auseinandersetzung in der Knesset weiterentwickelt."

    In rascher Folge verabschiedete das Parlament Gesetzentwürfe, die aus der Feder der rechtsnationalen Regierungsfraktionen stammten, aber auch aus den Reihen der Kadima-Fraktion unterstützt wurden; Gesetze, die darauf abzielen:

    - israelische Nichtregierungsorganisationen alle drei Monate öffentlich erklären zu lassen, von wem sie ausländische Spendengelder erhalten und wie hoch die Beträge sind;
    - arabischen Schulen und Institutionen in Israel die staatliche Unterstützung zu entziehen, falls sie künftig am sogenannten "Nakba-Tag" an die gewaltsame Vertreibung und Flucht der arabischen Einwohner Palästinas im Zuge der israelischen Staatsgründung erinnern sollten;
    - israelischen Kibbuzim und Moschawim zu gestatten, Menschen den Eintritt in die Kleinkommunen zu verwehren, die nicht der "sozio-kulturellen Zusammensetzung" entsprechen.

    Ferner hat die Knesset in erster Lesung einen Gesetzentwurf beraten, der es israelischen Staatsbürger bei Strafandrohung untersagt, zum Boykott Israels aufzurufen. Als Gesetzentwürfe liegen der Knesset ferner vor:

    - ein Gesetz, das israelischen Staatsbürgern das Recht einräumt, gegen Landsleute, die schlecht über Israel und/oder dessen Institutionen sprechen, Beleidigungsklagen, zivilrechtliche und gegebenenfalls strafrechtliche Klagen einzureichen;
    - ein Gesetz für ein Treuegelöbnis, das alle Mitglieder von Gemeinderäten und Kommunalparlamenten in Israel abzulegen hätten und in dem unter anderem der Staat als "jüdischer und demokratischer Staat" charakterisiert ist.

    Betroffen davon wären in erster Linie die arabischen Kommunalpolitiker in Israel christlicher und muslimischer Konfessionszugehörigkeit.

    - ein Gesetz, das jeder Firma in Israel die Geschäftsauflösung androht, die sich weigert, Waren und Dienstleistungen in "Gegenden Israels" zu liefern.

    Gemeint sind Lieferungen in jüdische Siedlungen in den besetzten Gebieten. Und schließlich:

    - ein Zusatz zu den Steuergesetzen, der israelischen NGOs den bisherigen Status der steuerfreien Gemeinnützigkeit nimmt, falls diese Finanzmittel von anderen Staaten erhalten.

    Für die israelischen Menschenrechtsorganisationen hieße das: Sie müssten dann Einkommenssteuer zahlen.

    "Wenn man Einkommenssteuer bezahlt, bedeutet das, dass man Gewinn macht. Wir machen von nichts irgendeinen Gewinn, wir sind eine gemeinnützige Organisation."

    Die Psychotherapeutin Dr. Ruchama Marton verfolgt in ihrem Haus in einem Vorort von Tel Aviv die stets feindseliger werdende Stimmung in Politik und Öffentlichkeit gegenüber der israelischen Menschenrechtsbewegung mit einer Mischung aus Sorge und Ohnmacht. Die renommierte Medizinerin, eine Dame von Anfang 70 mit weißen, sehr kurz geschnittenen Haaren, ist Gründungsmutter der Organisation "Ärzte für Menschenrechte-Israel". Sie beobachtet - seit dem Gazakrieg und dem anschließenden Goldstone-Bericht - eine politisch-publizistische Hetzkampagne in den Medien gegen die Arbeit derjenigen NGO's in Israel, die als "links" und demnach "anti-israelisch" abgestempelt würden:

    "Das Fernsehen ist - ob es nun offiziell ist oder nicht - regierungsnah. Alle Kanäle sind regierungsnah. Und sie verbreiten diese Ideen, dass Menschenrechtler Verräter sind und eine große Gefahr für Israel darstellen und so weiter."
    "Es gibt immer mehr Israelis, die uns zusammen mit anderen Organisationen als extrem links einstufen - und die glauben, dass man Linken nicht mehr zuhören soll."

    Professor Zvi Bentwich, einer der führenden israelischen Immunologen, ist Vorsitzender der "Ärzte für Menschenrechte Israel", einer Organisation, in der - ehrenamtlich - rund 1000 israelische Mediziner mitarbeiten und sozial Schwache in Israel ebenso kostenlos versorgen, wie Palästinenser in den besetzten Gebieten. Dass ein Großteil der israelischen Bevölkerung im Verlauf der vergangenen zehn Jahre ins rechtsnationale Lager übergelaufen ist und dort vermutlich auch dauerhaft bleiben wird, erklärt sich Professor Bentwich so:

    "Ich glaube, es hat viel mit der Zweiten Intifada zu tun, mit dem Anstieg des Terrors, der Hamas - den Extremisten auf der anderen Seite - viel mit Baraks sehr berühmtem Ausspruch, dass es auf der anderen Seite niemanden gebe, mit dem man reden könne. Und ein Großteil der Bevölkerung ist von Oslo enttäuscht."

    Die parteipolitischen Optionen, die den israelischen Wählern zur Verfügung stehen und mit denen sie die für ein Friedensabkommen erforderliche Räumung von mindestens rund 100.000 der 300.000 Siedler in der Westbank bewirken könnten, die außerhalb der großen Siedlungsblöcke leben, sind überschaubar: Netanjahus Likud bildet das politisch-ideologische Schwergewicht in der Parteienlandschaft, das jüngsten Umfragen zufolge am meisten Stimmen bei den nächsten Knesset-Wahlen erhalten würde. die Kadima, die derzeit größte Oppositionspartei, ist eine vom damaligen Regierungschef Scharon vollzogene Abspaltung des Likud - ein Großteil des Kadima-Führungspersonals wird von Ex-Likud-Politikern gestellt, die sich in allen wesentlichen sicherheits- und innenpolitischen Fragen nicht wahrnehmbar vom Likud unterscheiden.

    Die ultranationale russische Einwandererpartei Israel Beiteinu unter ihrem Vorsitzenden Avigdor Lieberman, der aus der Likud-Studentenbewegung stammt und seine Karriere als Büroleiter des Likud-Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu im Jahr 1996 begann, positioniert sich erfolgreich noch rechts vom Likud; die ultraorthodoxen Parteien Shas und Vereinigtes Torajudentum verfolgen inzwischen beide einen klaren rechtsnationalen Kurs in der Sicherheits- und Siedlungspolitik. Zusammen mit den beiden rechtsnationalen Splitterparteien Nationalunion und Unser Jüdisches Haus werden - so die Umfrage der Tageszeitung "Ma'ariv" von Ende Mai - die eben genannten Parteien mit nahezu 100 Sitzen der 120 Sitze umfassenden Knesset rechnen können.

    Vor diesem Hintergrund analysiert der israelische Philosoph und Friedensaktivist Avishai Margalit die Erfolgsaussichten für den Abschluss eines Friedensabkommens mit der palästinensischen Autonomiebehörde äußerst skeptisch:

    "Sehe ich in absehbarer Zukunft eine Regierung in Israel?! Die bereit ist, sagen wir 100.000 Siedler zu evakuieren - denn das ist es im Wesentlichen, was das Land an den Rand eines Bürgerkrieges führen würde. Nein, die sehe ich nicht. Ich sehe keinen Anführer und ich sehe keine bedeutende politische Kraft, die das tun wird."