Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Das rechtliche Ideal des Steuerrechts ist die Gleichheit"

Angesichts der jüngsten Fälle von Steuerflucht nach Liechtenstein hat sich der Finanz-Experte Paul Kirchhof für ein radikal anderes Steuersystem ausgesprochen. Das heutige System schaffe bloß Anreize, der gesetzlichen Steuerlast auszuweichen. Und damit schwinde bei den Bürgern die Einsicht, dass in einem freiheitlichen Staat Steuern gezahlt werden müssten: "Die Medaille, wo oben aufgeprägt ist Freiheit, da muss unten aufgeprägt sein Steuern, sonst funktioniert das System nicht."

Moderation: Jochen Spengler | 20.02.2008
    Jochen Spengler: Es gibt viele Erklärungen dafür, warum nicht nur Ex-Postchef Klaus Zumwinkel, sondern noch Hunderte andere begüterter Landsleute getrickst und Milliarden Euro vor dem deutschen Fiskus in vermeintlich liechtensteinische Sicherheit gebracht haben. Eine Erklärung dafür ist die Gier. Eine andere ist es, dass unser unübersichtliches, kompliziertes Steuersystem dazu verführe, legale und vielleicht auch illegale Steuerschlupflöcher zu suchen und zu finden. Einer, der seit Langem für ein radikal anderes Steuersystem eintritt, ist der ehemalige Verfassungsrichter und Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg, Professor Paul Kirchhof. Guten Morgen, Herr Professor Kirchhof!

    Paul Kirchhof: Schönen guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: Liechtenstein wehrt sich, und der Erbprinz hat gestern gesagt, Deutschland sollte seine Steuergelder besser dafür einsetzen, sein Steuersystem in den Griff zu bekommen, als Millionenbeträge für Daten auszugeben, deren rechtliche Verwertbarkeit zweifelhaft ist. Hat der Fürst recht?

    Kirchhof: Der Fürst hat in einer Teilwahrheit recht. Er müsste zunächst einmal sich bereit erklären, durch ein Amtshilfeabkommen daran mitzuwirken, dass alle Staaten gemeinsam gegen jede Form von Betrügereien vorgehen. Das sollte in einem offenen Markt eine Selbstverständlichkeit sein, ist aber bisher nicht selbstverständlich geworden.

    Spengler: Also kein Verständnis für Liechtenstein?

    Kirchhof: Wenig Verständnis für Liechtenstein, allerdings ist der Kern seiner Aussage berechtigt, dass der deutsche Gesetzgeber etwas tun muss, weil das geltende Recht so unübersichtlich ist, so unverständlich ist, so widersprüchlich ist, dass sich ein verlässliches Rechtsbewusstsein gegenüber der Steuerpflicht bisher nicht gebildet hat.

    Spengler: Lassen Sie uns dabei bleiben. Inwiefern verführt unser Steuersystem zur Steuerhinterziehung?

    Kirchhof: Unser Steuersystem schafft Anreize, wie man der Steuerlast, die im Gesetz steht, ausweichen kann. Es gibt legale Angebote, etwas früher die Investitionen in den Schiffsbau, in die Filme, in die Denkmäler, oder wie es letztes Jahr in der Rechtsprechung geheißen hat, in die Schrottimmobilie.

    Spengler: Aber die sind doch jetzt fast alle weg, diese Möglichkeiten?

    Kirchhof: Die sind nicht alle weg. Es gibt mehr als 500 Ausnahmen, Unschärfen, Vermeidungstechniken. Das rechtliche Ideal des Steuerrechts ist die Gleichheit. Jeder kann die Steuerlast ertragen, wenn er weiß, sein Nachbar muss bei gleichem Einkommen das Gleiche bezahlen. Wenn er aber das Gefühl hat, wenn ich clever bin, wenn ich elegant auf diesem Klavier des Steuerrechts zu spielen vermag, kann ich ihm die heiteren Töne individueller Steuerersparnis entlocken, dann wird jeder Steuerbescheid zum intellektuellen Selbstvorwurf. Er hat nicht mehr das Gefühl, er muss bezahlen, weil er erfolgreich war. Das wäre ja eigentlich sogar fast ein schönes Gefühl. Sondern er muss bezahlen, weil er nicht pfiffig genug war, und das ist verheerend.

    Spengler: Und es profitieren davon diejenigen, die sich arm rechnen können?

    Kirchhof Sicherlich, wer da geschickt vorgeht, das Steuerrecht ist teilweise wie ein Schachspiel. Ich muss gegenüber dem Finanzamt nur die besten Züge machen, dann habe ich einen Gewinn. Und die Prämie des Gewinns ist die Steuerersparnis. Selbstverständlich, das darf man nicht übersehen, ist nach diesem Steuerrecht die Grenze zwischen legal und illegal deutlich definiert. Aber es gibt kein Recht in Deutschland und auch in der Welt, dem die Menschen so begegnen mit so großer Deutlichkeit, zunächst erst mal zu fragen, wie kann ich dem Recht ausweichen. Normalerweise sage ich, das Gesetz hat etwas angeordnet, also werde ich es befolgen. Und hier sagt der Steuerpflichtige, was kann ich tun, um die gesetzlich angeordnete Folge zu vermeiden.

    Spengler: Ja. Es gibt eine neue Studie, von der ist in den letzten Tagen in den Medien die Rede gewesen, nach der das deutsche Steuersystem das weltweit schlechteste sei. Stimmen Sie dem zu?

    Kirchhof: Ja, es gibt einen Vergleich der 102 Industriestaaten der Welt, und da steht Deutschland an der Position 102. Ich hab jetzt nicht diese Zahl nachgeprüft, weil man so viel Staaten seriös nicht vergleichen kann. Aber die Grundeinschätzung, dass wir in dem Steuerrecht einen deutlichen Nachteil haben im Weltvergleich, dass dieses Steuerrecht die Menschen veranlasst, in die ökonomische Unvernunft zu gehen, etwas zu tun, das sie aus eigener Vernunft nicht täten, das ist offensichtlich, das ist täglich mit Händen greifbar. Und das Kernproblem ist, es wächst nicht das Bewusstsein, dass in einem freiheitlichen Staat Steuern sein müssen. Es gibt andere Staaten, die haben alle Unternehmen verstaatlicht. Da ist der Staat der Herrscher über Löhne und Preise, der braucht keine Steuern. Aber ein freier Staat, der das Wirtschaftsleben in freier Hand lässt, dem Arbeitnehmer Freiheit lässt, dem Unternehmer erlaubt, Unternehmen zu gründen und so zu gestalten, wie er will, der muss sich finanzieren durch steuerliche Teilhabe am Erfolg privaten Wirtschaftens. Die Medaille, wo oben aufgeprägt ist Freiheit, da muss unten aufgeprägt sein Steuern, sonst funktioniert das System nicht.

    Spengler: Professor Kirchhof, als Sie vor zweieinhalb Jahren im Kompetenzteam von Angela Merkel waren, da haben Sie für einen einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent auf alle Einnahmen plädiert, egal ob Löhne, Gewinne, Zinsen. Hinzu kamen hohe Freibeträge pro Person, 10.000 Euro beziehungsweise 8.000 Euro pro Kinder. Trotzdem ist das in der Bevölkerung als ungerecht angekommen. Wieso sollte ein Millionär nicht prozentual mehr zahlen müssen als ein Arbeiter?

    Kirchhof: Wir hätten schon viel erreicht, wenn er wirklich 25 Prozent bezahlt. Und da ist es wiederum das Problem, dass wir Rechtsbewusstsein bilden müssen. Wenn Sie heute fragen, wie viel Steuern müssen Sie zahlen, weiß das keiner, weil da im Gesetz eine mathematische Formel steht, die keiner lesen kann. Wenn dort aber stünde, Sie müssen den biblischen Zehnten zahlen, oder Sie müssen ein Viertel zahlen, das ist in Deutschland so für die nächsten 20, 30, 40 Jahre, dann prägt sich das ein als eine Bürgerpflicht. Der Bürger hat trotzdem keine Freude am Steuern zahlen, aber er weiß, in diesem freiheitlichen System ist das der Preis der Freiheit, ein Viertel für den Staat, drei Viertel für mich, natürlich bei hohen Freibeträgen, Sie haben es gesagt. Die kleinen Einkommen müssen ganz entlastet werden, Freibetrag 10.000, und dann muss man stufen mit 15, 20, 25 Prozent.

    Spengler: Aber inzwischen würden Sie doch stufen? Der, der mehr verdient ...

    Kirchhof: Habe ich von Anfang. Mein System, das ist ja veröffentlicht worden 2003, zwei Jahre vorm Wahlkampf. Es war immer ein Stufensystem. Das ist damals in der Aufgeregtheit des Wahlkampfes ein bisschen anders dargestellt worden.

    Spengler: Vor der Bundestagswahl haben viele Politiker von Steuervereinfachung geredet, auch wenn nicht immer Ihr Modell gemeint war. Heute redet jetzt niemand mehr davon. Ist das Thema tot?

    Kirchhof: Ich glaube, das Thema fängt wieder dramatisch an, bewusst zu werden, und es ist nicht tot. Denn der Gesetzgeber hat ja für nächstes Jahr die Abgeltungssteuer, für Einkünfte aus Kapitalvermögen die Abgeltungssteuer von 25 Prozent für alle eingeführt, und damit wird sich natürlich die Frage stellen, wenn für Kapitalerträge 25 Prozent reichen, was ich für richtig erachte, ob ich dann für Arbeitserträge noch 45 Prozent in der Spitze erheben darf. Die politische Vernunft und der Gleichheitssatz weisen uns hier den richtigen Weg.

    Spengler: Danke für das Gespräch, Professor Paul Kirchhof!