Freitag, 29. März 2024

Archiv


Das Rezept heißt Lobbyismus

Die angekündigten Zusatzbeiträge einiger Krankenkassen sind einkommensunabhängige Beiträge und als kleine Kopfpauschalen vielleicht ein Vorgeschmack auf die große Pauschale, die FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler anstrebt. Kritiker bezweifeln, dass seine Pläne im Sinne der Kassenpatienten sind und warnen vor ungesundem Lobbyismus.

Von Gerhard Schröder | 04.02.2010
    Zwölf Jahre lang hat Ellis Huber der Ärztekammer in Berlin vorgestanden. Er kennt das Geflecht von Beziehungen und Interessen in der Gesundheitsbranche. Seit der Bundestagswahl, so hat er beobachtet, ist die Stimmung auch bei den Standesvertretern wieder deutlich gestiegen.

    "Festzustellen ist, dass die Interessenvertreter der Ärzteschaft, der Apothekerschaft, der pharmazeutischen Industrie fröhlich feiern und glauben, sie haben die Welt des Gesundheitswesens wieder im Griff."

    Bislang hatten Ärzte, Apotheker und Arzneimittelhersteller wenig Grund, unzufrieden zu sein mit der neuen Regierung. Schon die Koalitionsvereinbarung las sich vielversprechend aus Sicht der wirtschaftlichen Interessengruppen, sagt auch Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale Bundesverband:

    "Das heißt natürlich, dass die Maßnahmen, die wir in der Vergangenheit unter mehr Wettbewerb eingeführt haben, nämlich dass Kassen sich Ärzte aussuchen können, dass wir zu den Ortsapotheken die Alternative des Versandhandels haben, das sind ja alles wettbewerbliche Elemente, die eher zurückgeschraubt werden."

    Verwunderlich ist das nicht, sagt Ellis Huber, schließlich gibt es traditionell enge Verflechtungen zwischen der FDP und wirtschaftlich potenten Interessengruppen im Gesundheitswesen:

    "Es gibt eine alte Beziehungslandschaft zwischen FDP und der pharmazeutischen Industrie. Frühere FDP-Bundestagsabgeordnete sind dann Geschäftsführer bei großen Pharmaverbänden geworden. Es sind Seilschaften, Führungskräfte, die sich gut kennen, die zusammen essen gehen, die eine gewisse Sicht der Dinge in dieser Welt haben. Man hat kein Verständnis mehr für die ärmeren Bürgerinnen und Bürger im Lande und glaubt dann das, was die Apotheken wollen, das, was die pharmazeutische Industrie sagt, dass das das richtige wäre und gestaltet entsprechend Politik."

    Zusätzlich befeuert wird der Verdacht, die neue Regierung achte zu wenig auf die Interessen der Patienten und ebne jenen allzu bereitwillig den Weg, die an der Gesundheit kräftig verdienten, durch die Absetzung von Peter Sawicki, Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen - kurz Iqwig. Ein Mann, der den großen Arzneimittelherstellern seit Langem auf die Nerven geht, weil er den Nutzen von neuen Präparaten kritisch bewertet und in Relation zum anvisierten Preis setzt. Schon als Wirtschaftsminister in Niedersachsen forderte Rösler Sawicki auf, mehr Rücksicht auf die ökonomischen Interessen der Branche zu nehmen. Nun wurde sein Vertrag nicht verlängert. Offizieller Grund: Er hat angeblich zu teure Dienstwagen angeschafft und bei den Spesenabrechnungen geschlampt. Tatsächlich sind die Preise für Medikamente in Deutschland so teuer wie in kaum einem anderen Land. Der Grund: Die Pharmakonzerne können die Preise für neue Arzneien weitgehend selbst festsetzen, die Krankenkassen haben nur wenig Möglichkeiten, dagegen vorzugehen - selbst wenn der medizinische Nutzen der Innovationen bescheiden ist. Die Absetzung Sawickis, so meint Karl Lauterbach, der Gesundheitsexperte der SPD, sei ein Versuch, das pharmakritische Institut zu disziplinieren. Und insofern ein fatales Signal für die Versicherten. Denn schließlich gehe es hier auch um ihre Beiträge. Stefan Etgeton von der Verbraucherzentrale sieht es ähnlich:

    "Deswegen ist das Signal, den Vertrag mit Herrn Sawicki nicht zu verlängern, ein fatales Signal, weil es im Grunde den Verdacht auslöst, dieses Institut, das er leitet, das er sehr gut geleitet hat, was auch alle sagen, dass er es gut geleitet hat, dieses Institut sei fachlich und auch politisch, das ist besonders brisant, nicht mehr unabhängig."

    Angeheizt wird der Streit durch die aktuelle Finanzlage der Kassen. Weil das Geld nicht reicht, müssen viele in diesem Jahr Zusatzbeiträge erheben. Größter Kostentreiber dabei: die steigenden Ausgaben für Arzneien und die höheren Honorare für Ärzte. Hier müsste die Regierung ansetzen, fordert auch Eckhard Fiedler vom Institut für Gesundheitsökonomie in Köln:

    "Das, was eigentlich hier wirklich angepackt werden müsste, sind die ausufernden Arzneimittelausgaben, auch im Krankenhaus haben wir Ausgabenschübe in diesem Jahr über sieben Prozent, wird erwartet, die nicht zu rechtfertigen sind, denn im internationalen Vergleich haben wir viel zu viele Krankenhausbetten, fast doppelt so viel wie in unseren Nachbarländern. Also hier gibt es durchaus Ansätze für mehr Wirtschaftlichkeit, und da müsste angepackt werden, nicht beim Geld des Versicherten oder des Mitglieds."

    Auch eine zweite Personalie nährt den Verdacht, die FDP kümmere sich allzu stark um die Interessen der eigenen Klientel. Kaum zwei Monate im Amt holte Gesundheitsminister Philipp Rösler den stellvertretenden Direktor des Verbands der privaten Krankenversicherungen, PKV, Christian Weber, ins Haus. Er leitet nun das Grundsatzreferat und ist federführend mit der anstehenden Neuordnung des Gesundheitssystems betraut. Noch einmal Eckhard Fiedler:

    "Auch das ist ein Punkt, der zu offensichtlich ist, zu ungeschickt. Der passt in das Gesamtbild dieses Fehlstarts der Koalition, und von daher lässt das vor der ganz schwierigen Reform, vor der sie jetzt stehen, nicht Gutes ahnen."

    Rösler will das Gesundheitssystem grundlegend neu ordnen, will eine einheitliche Kopfpauschale einführen, die jeder bezahlt, unabhängig von seinem Einkommen, was ihm viel Kritik eingebracht hat. Die SPD-Gesundheitspolitikerin Elke Ferner:

    "Das heißt im Klartext, sie wollen die gesetzliche Krankenversicherung abschaffen, und sie wollen, dass die, die in der gesetzlichen Krankenversicherung oder in einem Mindestversorgungssystem zurückbleiben, dann würde ich Minimalstmedizin bekommen, während diejenigen, die es sich leisten können, dann Medizin auf dem Stand der Technik bekommen."

    Rösler verteidigt seine Reform. Durch einen steuerfinanzierten Sozialausgleich werde sichergestellt, dass sich auch in Zukunft alle eine ausreichende medizinische Versorgung leisten könnten. Auch Stefan Etgeton findet die Idee nicht grundsätzlich schlecht, aber woher soll das Geld kommen, wenn gleichzeitig die Steuern gesenkt werden. Darauf habe der Gesundheitsminister bislang keine Antwort gegeben. Und auch das Kräfteverhältnis zwischen privaten und gesetzlichen Kassen sei noch nicht geklärt. Da könnte die Reform durchaus überraschende Ergebnisse bringen, sagt Etgeton:

    "Denn wenn künftig die Gutverdienenden nur noch 150 Euro ihrer Versicherung zahlen, dann macht es für sie keinen Sinn mehr, sich privat versichern zu lassen, weil das viel teuerer ist. Und insofern, wenn er diese Linie durchziehen will im Namen der Bundesregierung, dann wird es die Interessen der privaten Krankenversicherer vermutlich nicht befördern können."

    Das allerdings gäbe dann der Berufung des PKV-Managers Christian Weber eine ganz neue, überraschende Wendung.