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Das Rheingold
Eine elektronische Interpretation von Wagner

Am Hamburger Thalia Theater inszeniert Antú Romero Nunes Richard Wagners Rheingold. Das Team des Regisseurs halte sich stets eng an der Fabel – wie ein Fantasy-Fan von heute, der die Ur-Vorbilder endlich einmal wirklich kennen lernen möchte, meint unser Kritiker Michael Laages.

Von Michael Laages | 26.10.2014
    Weiß noch jemand, wer "Sigurd" war? Genau: Ein blonder, blauäugiger und nicht sehr kluger Ritter, ein ziemlich deutscher Held also, erfunden vor etwas mehr als sechs Jahrzehnten, keine zehn Jahre nach Kriegsende: als "Comic". "Schundhefte" nannten nicht nur Dorfschullehrer so etwas damals; Anschauen und Lesen war verboten auf dem Schulhof! Hätten all die kulturellen Moralwächter geahnt, in was für großen Wogen hellere und dunklere Ritter und Helden inzwischen wieder junge Leute überschwemmen; und im Kino tobt Thor mit den Action-Hammer!
    Sprache und Dramaturgie Richard Wagners, unstreitig des ersten bedeutenden Fantasy-Autors deutscher Zunge, rückt die Hamburger "Ring"-Version ins Zentrum – und verpackt all das (zumindest in der ersten halben Stunde, und zuweilen auch später immer mal wieder) in eine Art Comic-Ästhetik. Das liegt nahe - denn zu Beginn fehlt ja auch noch die Sprache. Wagners Wagala-weia, der Urgesang, ist hier eindeutig eine Unterrichtsstunde in ersten Worten, die Obergott Wotan bei Erda nimmt, der allwissenden, alles weissagenden Urmutter von allen und allem.
    Fricka als Preis gesetzt
    Aber es hilft ja alles nichts. Die Götter-Familie Lemming zieht zielstrebig in den Untergang – der Wille zum Werk treibt Wotan zum Burgenbau, den normalerweise zwei Riesen erledigen; hier ohne ersichtlichen Grund nur einer, der (wieder wie im Comic) ans Werk geht mit reichlich Zack-bumm-zisch-Lautmalerei. Dummerweise hat Wotan hier als Preis die eigene Gattin Fricka gesetzt; und bevor er die nicht in Gold aufwiegt, bekommt er sie auch nicht wieder. Gold gibt's bei Alberich, dem Nachtalben- oder Nibelung-Zwerg am Grunde des Rheins – der zu Beginn eigentlich viel lieber die schmucken Rheintöchter befummeln (oder besser "minnen") würde ...
    Alberichs Gold wird geraubt, auch der Ring, der Allmacht verleiht – und von jetzt an Fluch für die Götter werden muss.
    Eins gelingt allemal und unbedingt an diesem Abend – die Fabel wird klar wie vermutlich nie zuvor erzählt in diesem Versuch, Wagners Text pur sprechen zu lassen, zuzüglich einiger –wie das Programmheft sagt- "Altväter", also Wagners Quellentexten. Die Story wird nirgends überwölbt von der grandiosen Emotionalität von Wagners Musik; nur einige der dramaturgischen Höhepunkte sind mit Orchester vom Band unterlegt und gelegentlich werden Götter- und Riesen-, Zwergen- und Rheinnixen-Volk auch zum sanft-atmosphärischen Chor, etwa zu Alberichs ewigem Liebes-Verzicht.
    Und auch dies markiert ja eher Ironie, wenn da der Chor wie im akustischen Nichts versickert. Derlei Ironie dem großen, groben Stoff aber wird durchaus nicht zum zentralen Motiv der Bemühung; was ja zu befürchten gewesen wäre. Das Team des Regisseurs hält sich stets eng an der Fabel – wie ein Fantasy-Fan von heute, der die Ur-Vorbilder endlich mal wirklich kennenlernen möchte. Ausstatter Matthias Koch hat nicht viel Brimborium dazu erfunden – mitten auf der Bühne bleibt beinahe abendfüllend sehr viel Sand präsent; als selbst geschüttetes Grab der weisen Erda zunächst, in das hinein selbst Wotan immer wieder zu flüchten versucht, und im zweiten Teil als Ahnung jenes Feuerkranzes, in den hinein Brünnhild, Wotans Lieblings-Walküre, verbannt werden wird, weil sie dem Gott widersprach und eine Zukunft für "Siegfried" eröffnete.
    Nunes hat den enormen Wortschwall dieser drei Stunden ganz dem Schauspiel-Ensemble überlassen, das sich schließlich auch kollektiv dem Beifall stellt. Ein in Fragen der Textzugänglichkeit weit radikalerer Regisseur bliebe dem Abend zuweilen zu wünschen – aber auf der Spur vom Mythos sind wir nun.
    Auch ohne Musik.