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Das Riff, der Sand und der Tod

Umwelt. - Der globale Klimawandel wird seine ersten Opfer unter den Bewohnern des Pazifik fordern. Zu ihnen gehören auch die Riffe, die zu den größten und vielgestaltigsten Ökosystemen der Welt gehören. Auf der Meeresforschungstagung der US-amerikanischen Geophysikalischen Union in Hawaii.

Von Dagmar Röhrlich | 24.02.2006
    Korallen sind temperaturempfindliche Tiere. In den tropischen Riffen haben sie es am liebsten gleichmäßig warm zwischen 25 und 29 Grad. Die Obergrenze wird an vielen Riffstandorten heute schon regelmäßig erreicht oder überschritten, und ein weiterer Anstieg der Meerestemperaturen bringt die Flachwasserriffe also schnell in Schwierigkeiten. Das gilt besonders, wenn die zarten Polypen auch noch an anderen Fronten unter Druck geraten.

    "Es gibt Schätzungen, nach denen 30 bis 40 Prozent der Riffe unter Stress stehen und sterben. Sie sind gleich einer ganzen Reihe von Bedrohungen ausgesetzt. Wissenschaftler aus Florida sehen, dass der Eintrag von Nährstoffen aus Landwirtschaft und Abwässern die Riffe der Florida Keys beeinträchtigt. Australische Forscher zeigen, dass der Rückzug der Korallen mit einer Zunahme der Sedimentfracht zusammenfällt, die vom Kontinent in die Riffe gespült wird. Veränderte Landnutzung und die damit verbundene Bodenerosion, Weidewirtschaft und die Entwicklung der Infrastruktur führen in Australien schon seit der Ankunft der Europäer zu einer Abnahme der Korallengemeinschaften."

    Curt Storlazzi ist Geologe beim Geologischen Dienst der USA im kalifornischen Santa Cruz. Sein Hauptarbeitsgebiet sind die Saumriffe, die dicht vor den Küsten von Hawaii wachsen:

    "Wir schauen uns an, wie sich ein möglicher Anstieg des Meeresspiegels auf diese Korallenriffe auswirken wird. Wir haben einen Anstieg von einem halben Meter bis zum Jahr 2100 angenommen und uns in unseren Modellen nur die physikalischen Effekte angeschaut, also wie der Pegelanstieg die Strömung beeinflusst und welche Einwirkung die Strömung auf die Riffe hat."

    Mehr Wasser bedeutet größere Wellen. Die wiederum lassen die Korallenäste leichter abbrechen. Gleichzeitig werden auch die Strömungen intensiver, und sie mobilisieren dann an den Stränden mehr Sand und Schwebstoffe, die wiederum wie ein Sandstrahlgebläse die Korallenriffe abschmirgeln. Wo der Sand zur Ruhe kommt, deckt er die Riffe mit einer Sedimentschicht einfach zu. Keine guten Aussichten für die Korallenpolypen und ihre Algensymbionten. Storlazzi:

    "Unsere Modellierungen zeigen, ja, dass es wahrscheinlich schlechter wird."

    Dabei können Korallen durchaus mit wechselnden Bedingungen umgehen. Das haben sie in der Vergangenheit oft genug bewiesen. Wird das Wasser wärmer, wandern die Polypen in kältere Regionen in Richtung der Pole. Wenn der Wasserspiegel sinkt, sterben die oberen Bereiche ab und die Polypen siedeln sich weiter unten an. Steigt der Wasserspiegel, wachsen die Riffe stärker in die Höhe.

    "Zu den weniger bekannten Tatsachen gehört, dass das Meeresniveau im Pazifik zwischen 3000 und 5000 Jahren vor heute um ein bis zwei Meter höher war als heute. Die Korallen haben einfach mit dem Meeresspiegelanstieg mitgehalten und sind höher gewachsen. Vor 3000, 4000, 5000 Jahren haben sie das geschafft."

    Doch jetzt könnte die Vielzahl an Änderungen zuviel sein.

    "Ich weiß nicht, ob die Riffe jemals jemandem wie uns begegnet sind, mit unserer Fähigkeit nährstoffreiche Abwässer zu konzentrieren und die Landschaft zu formen."

    Für die Riffe könnte eine große Krise heraufdämmern, wie schon öfter in der Erdgeschichte. Riffe gehören seit Hunderten von Millionen Jahren zu den beliebtesten, aber auch empfindlichsten Lebensräumen. Immer wieder verschwanden sie durch Störungen in der Umwelt komplett, um dann von anderen Organismen neu erfunden zu werden. Passierte so etwas heute, bliebe das nicht ohne Folgen für uns. Denn die Korallen gehören zu den Kohlenstoffspeichern.