Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Das Risiko der IS-Rückkehrer
Einmal gewaltbereiter Islamismus und zurück

Syrien-Rückkehrer - bei diesem Wort zucken viele Menschen zusammen. Spätestens seit den Terroranschlägen von Paris verbinden sie damit Gewalt und die Angst vor Anschlägen hier in Deutschland. Joseph Röhmel hat einen jungen Deutschen, der sich dem Salafismus zugewandt hatte, getroffen und mit ihm über seine Erfahrungen und Motive gesprochen.

Von Joseph Röhmel | 19.11.2015
    Mit einem Plakaten auf dem Rücken versuchen Teilnehmer der von Salafisten organisierten Koran-Verteilaktion "Lies" auf der Zeil in Frankfurt am Main die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
    Über die von Salafisten organisierte Koran-Verteilaktion "Lies" sind einige junge Leute in den gewaltbereiten Islamismus abgerutscht und später nach Syrien gekommen. (dpa / Boris Roessler)
    Den Glauben leben - Andreas und Sabine tun das. Sie sind evangelisch. Auch ihr Sohn Andreas war einmal evangelisch - früher. Vor drei, vier Jahren hat sich aber etwas verändert in seinem Leben. Damals hat er Max kennengelernt.
    "Ich hab mir den Koran dann auch durchgelesen und mich speziell informiert - vor allem über die naturwissenschaftlichen Fakten im Koran, die dort drin stehen. Und dann kam ich an den Punkt, wo für mich klar war, dass das, was im Koran steht, nicht von menschlichem Wissen kommen kann. Dass, das irgendeine übernatürliche Intelligenz dem Mohamed gegeben haben muss."
    Zum Islam konvertiert
    Was ihn und Max genau an den Botschaften fasziniert hat, das kann Andreas gar nicht mehr sagen. Er und sein Kumpel hätten sich magisch angezogen gefühlt, sagt er. Beide konvertierten schließlich zum Islam, beteten fünfmal am Tag. Sie wollten den neuen Glauben so gut wie möglich leben.
    "Als dann halt der Krieg in Syrien angefangen hat, da haben wir halt mitbekommen, dass Muslime getötet werden. Und da haben wir so eine Verbundenheit gespürt, dass wir da irgendwie helfen müssen den Menschen, die dort gefoltert werden und alles mögliche."
    Selbstmordattentäter oder Kämpfer?
    Andreas und sein Kumpel hörten die Worte radikaler salafistischer Prediger, dass es ihre Pflicht sei, den Glauben zu verteidigen. Dann der Entschluss: Sie reisten aus – nach Syrien, zum Islamischen Staat. Andreas kommt das alles im Nachhinein vollkommen absurd vor. Er erinnert sich, wie sie in Dscharablus, in Syrien nahe der türkischen Grenze ankamen. Sie seien in einem Gebäude, wohl eine alte Schule untergekommen, hätten dort gebetet, Propagandavideos geschaut.
    "Da wurden wir gefragt, wie wir kämpfen wollen, ob wir Selbstmordattentäter sein wollen, wie wir an der Front mitkämpfen wollen, ob wir an der Front mit Sprengstoffgürteln mitkämpfen wollen. Da war ich schon völlig verwirrt, durcheinander und wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich hab gesagt, ich will halt nur hier leben. Seitdem wusste ich, das ist eine Kampftruppe, das eine Mördertruppe. Da musst du weg."
    Der Moment, an dem sich die Wege der Freunde trennen. Max blieb, er wollte kämpfen. Andreas wollte weg, fand einen Vorwand. Über den möchte er allerdings nicht sprechen. Er fürchtet, dass er andere damit in Gefahr bringen könnte.
    Hohe Dunkelziffer
    Inzwischen ist Andreas zurück froh, wieder zu Hause in Deutschland zu sein. Er will sich auf sein Studium konzentrieren. Momentan ist noch offen, ob es zu einem Prozess kommt. Nicht jeder Syrien-Rückkehrer landet vor Gericht. Mehr als 200 von ihnen leben in Deutschland. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Eine Verhaftung ist nur möglich, wenn man ihnen eine Straftat nachweisen kann, sagt ARD-Terrorexperte Michael Götschenber:
    "Die Dschihadisten aus Deutschland haben natürlich auch gelernt. Die haben verstanden, dass das, was sie beispielsweise in sozialen Netzwerken veröffentlichen, Bilder mit Gewehren oder was auch immer, dass das natürlich von den deutschen Behörden registriert wird und gegen sie verwendet wird. Insofern haben die auch ihr Kommunikationsverhalten geändert und es wird immer schwieriger, ihnen strafbare Handlungen nachzuweisen."
    Es gibt keinen Plan
    Es braucht Fakten. Aber niemand kann nach Syrien fahren, dort vor Ort ermitteln, Zeugen beschaffen. Richter sind auf Videos und Fotos angewiesen, die beweisen, dass jemand eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, also an der Waffe ausgebildet wurde, konkret an Kämpfen beteiligt war und deshalb hierzulande ein Sicherheitsrisiko darstellt.
    Eine juristische Herausforderung. Auch der mutmaßliche Drahtzieher der Pariser Terrorattacken Abdelhamid Abaaoud war ein Rückkehrer. Sicherheitsbehörden sind alarmiert, Gerichte überfordert. Michael Götschenberg:
    "Wir haben eine große Zahl an Rückkehrern. Wir haben eine große Zahl an Ausgereisten, die man alle irgendwie im Visier haben muss und die man gegebenenfalls strafrechtlich verfolgen muss. Für die Staatsanwaltschaften ist das in jedem Fall ein sehr großer Ermittlungsaufwand. Die Prozesse dauern in der Regel sehr lange, sodass die Justiz da schon jetzt an ihre Grenzen stößt."
    Nicht nur die Syrien-Rückkehrer sind ein Risiko. Aktuell geht das Bundeskriminalamt von über 400 gewaltbereiten Extremisten aus. Eine Rundumüberwachung ist überhaupt nicht möglich. Das betonte gestern auch Gerhart Baum in der ARD. Er war Innenminister, als die RAF in Deutschland Terror und Schrecken verbreitete:
    "Wir müssen die Wahrheit sagen: Wir müssen sagen, dass wir nicht hinreichend geschützt sind. Das geht gar nicht. Wenn ein Selbstmordattentäter in ein Konzerthaus geht, wer soll dann noch geschützt werden. Man kann präventiv tätig werden. Wir müssen der Bevölkerung sagen: Wir können euch nicht hinreichend schützen."
    Niemand kann in Menschen hineinschauen
    Präventiv tätig werden: Das ist nicht leicht. Oft wissen die Eltern gar nicht, dass sich ihr Kind radikalisiert. Die Eltern von Andreas bemerkten zwar seine Hinwendung zum Islam, immer wieder diskutierten sie mit ihm. Doch der Sohn habe vernünftig gewirkt, sagen sie. Umso größer dann der Schock, als Andreas plötzlich weg war. Mutter Sabine und Vater Franz erinnern sich:
    "In dieser Zeit kam ne Mail, dass er halt unter den besten Menschen der Welt ist und nicht mehr zurückkommen wird und da leben will. Das war für uns ein Schock. Wir waren wie gelähmt. Wir wussten gar nicht, wie es weitergeht. Man ist kopflos und traurig. Man kann nicht richtig reden. Man ist wie schockiert."
    Jetzt ist Andreas wieder zurück. Mit seinen Eltern sitzt er zusammen im Wohnzimmer und erzählt seine Geschichte. Die blonden Haare hat er sauber zur Seite gescheitelt. Er trägt einen Dreitagebart, ist groß, kräftig. Sein Studium der Sportwissenschaften hat er wieder aufgenommen. So wie er auftritt, scheint es unvorstellbar, dass er sich jemals wieder dem radikalen Islam zuwenden und möglicherweise Anschläge verüben könnte. Man würde Andreas Unrecht tun, wenn man aus ihm einen prototypischen Terroristen macht. Aber niemand kann in Menschen hineinschauen.