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Das Scheitern von '68

Bücher von Kindern der 68er, in denen diese ihre Eltern anklagen, gab es bereits einige. Die den Eltern intellektuelle Arroganz, Besserwisserei, Menschenunkenntnis vorwarfen, Ignoranz und Intoleranz. Sophie Dannenbergs Buch ist anders. Es ist all das - und noch mehr! Denn für die Autorin haben auch die 68er eine Vorgeschichte. Die so gründlich kritisierten Eltern waren selbst einmal Kinder. Das Scheitern von 68 begann, so meint die Autorin, 1945.

Von Oliver Seppelfricke | 17.11.2004
    Sophie Dannenberg greift in ihrem Buch über drei Generationen hinweg. Um das Scheitern und das Schicksal von 1968 ff. faßbar zu machen. In wechselnden Perspektiven schreitet sie die Geschichte ihrer Protagonisten ab. Da ist die Erzählerin Kitty, Kind von 68ern. Ihr Vater ist Anwalt, der auch Terroristen vertritt, mit dessen Namen Borsalino von Baguette spielt die Autorin auf Klaus von Croissant an. Und zugleich (wie man am Borsalino-Hut unschwer erkennt) an die kritisierte Neigung der 68er, selbst bürgerlich zu werden. Das so heftig Abgelehnte war stets die heimliche Anziehung, so meint die Erzählerin.

    Kittys Mutter ist eine überspannte 68erin, die ihre hochfliegenden und geplatzten Revolutionsträume nun auf eine reale Stadt als Planerin niedergehen läßt, sie baut Siedlungen. "Schließlich sind da alle gleich", darin wohnen möchte sie allerdings nicht. Einmal mehr die Kluft zwischen Anspruch und Praxis... Kittys Großeltern sind Kriegsgewinnler, wenn auch unter großem Leiden, und Kitty selbst ist ein anpassungswilliges Mädchen. Zu sehr, nach dem Geschmack ihrer Mutter. "Du machst jetzt, was ich will, Du mußt endlich selbständig werden", sagt die Mutter einmal in einem paradoxen Befehl, der das ganze Drama der 68er Erziehung auf den Punkt bringen soll.

    Da Kittys Mutter ihre revolutionären Träume nicht verwirklichen konnte, da ihr Kind nicht nach ihrem antiautoritären Gusto gerät, da sie selbst "nur" Mutter ist, ist sie frustriert. Später zieht die Familie aufs Land und lebt in einem Bauernhof. Merke: Schon in einem Bauernhaus hatte sich Kittys Großmutter erhängt, das Schicksal setzt sich fort, keiner entgeht den ungelösten Problemen der Vorfahren. Von den kleinsten Regungen des Gemüts bis hin zu diesen großen Schicksalslinien, über alles wird man ausführlich in Erzählpassagen und Dialogen informiert.

    Eine zweite, parallel verlaufende Handlung siedelt Sophie Dannenberg im Hochschulmilieu mit Beginn 1968 an. Sie verfolgt die Geschichte von Professor Wisent (für den unschwer zu erkennen Theodor Wiesengrund Adorno Pate stand), und von dessen Lieblingsschüler Arber. Dem eine Allianz zweier Kollegen (hinter denen kaum verborgen Jürgen Habermas steht) die Karriere verleidet. Der zweite Focus ist also die Hochschule, das Laboratorium der Ideen der 68er.

    "Der Weg der Hoffnung ist mit Tretminen gepflastert und mit Stacheldraht gezäunt", sagt Wisent über die Utopien der Nazis und der Sowjetkommunisten, und auch die radikalen Ideen und Taten der sich gerade formierenden APO und der RAF lehnt er (wie Adorno auch) ab. Am Schluß gibt es den Busenanschlag auf Wisent-Adorno, und noch krasser als in der Wirklichkeit erliegt Wisent dann einem Attentat. Sophie Dannenberg zitiert ausführlich aus den Flugblättern und Manifesten der Kommune 1 und der RAF. Und auch die Vorlesungen von Wisent-Adorno oder Arber klingen authentisch.

    Sophie Dannbergs revolutionäre Studenten sind zwar ganz auf der Höhe der Zeit, aber die, so meint wohl auch die Autorin, war voll daneben. Bei ihr sind die Spontis von damals nichts als große Kinder, die Revolution spielen. Die ihre eigenen Frustrationen und Wünsche verleugnen und nach außen hin verkehren in überzogene Ideale. Die Kommunarden sind bei ihr dumme Jungs, Kinder, eine Karikatur. Den "patriarchalischen Vaterschoß" kann einer von ihnen schon einmal mit dem "patriarchalischen Mutterschoß" verwechseln, und schnell wird klar, dass Sophie Dannenbergs Erzählerin meint, viele, oder die meisten der damaligen Revolutionäre hätten das meiste von dem, was sie sagten, gar nicht verstanden.

    Und noch andere menschliche Verwerfungen kritisiert die Erzählerin. Und mit ihr wohl auch die Autorin. Wenn "das Private das Politische ist" und "die Revolution" vorgeht, dann kann man zum Abendessen mit anschließendem Tête-â-tête nicht kommen, weil man im "Vietnam-Volksfront-Koordinierungsausschuß" sitzt, und als der Kinderhaufen von Revolutionären nach Berlin zur Schah-Demo fährt, ist man gleich deshalb ein Revolutionär, wenn man nachts ohne Licht fährt. Und ein Konterrevolutionär, wenn man das kritisiert.

    Ob das nicht alles zu klischeehaft ist? Zu wirklichkeitsfern? Zu voreingenommen? Voll jener "Fehler", die Sophie Dannenberg den 68ern selbst so ankreidet? Ob sie nicht die Ignoranz und Intoleranz der Väter, die sie anklagt, bei der Abrechnung mit dieser Epoche selbst ausübt?! Holzschnittartig und klischeehaft ist der Roman. Alles ist so deutlich und überspitzt dargestellt, dass man es eigentlich nur als Groteske oder Satire verstehen kann. Als Parodie. Man kann den Roman eigentlich nicht ganz ernst nehmen. Wenn dem nicht der Ernst der Autorin widersprechen würde. Aber vielleicht kann man dieser Zeit, die ja selbst Ernst und Spaß vereinen wollte, Ideologie und freies Leben, nur auf diese Art begegnen.

    Sophie Dannenberg
    Das bleiche Herz der Revolution
    (DVA, 303 S., EUR 19,90