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Das Schmelzen der weißen Flecken

Umwelt. - Seit im August 2000 Touristen und Wissenschaftler entsetzt über offenes Wasser direkt am Nordpol berichtet hatten und Forscher dem Phänomen nachgegangen waren, ist heute klar, dass es sich dabei nicht um eine Folge des Klimawandels handelt. Doch dabei wird es wohl nicht bleiben.

Von Monika Seynsche | 28.08.2006
    Peter Wadhams ist ein freundlicher Mann um die 60. Der Professor für Meeresphysik an der Universität Cambridge lächelt höflich, auch wenn das, was er zu sagen hat, eher dazu angetan ist, Sorgenfalten auf die Stirn zu zeichnen.

    "Wir gehen davon aus, dass das Meereis in der Arktis deutlich schneller verschwinden wird als die meisten Modelle vorhersagen. Denn die stützen sich bei ihren Aussagen auf die Ausdehnung des Eises. Und die nimmt nur langsam ab. Aber bevor das Eis sich noch weiter zurückzieht, wird es von unten einfach wegschmelzen. Und das könnte schon in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts passieren - nicht erst 2080, wie die Modelle ankündigen."

    Seine düstere Prognose stützt Peter Wadhams auf dreißig Jahre Erfahrung mit der Unterseite des arktischen Meereises. Seit Beginn der siebziger Jahre bis 1996 sind er und seine Kollegen regelmäßig von U-Booten der britischen Marine mit in die Arktis genommen worden und konnten dort mit Hilfe von aufwärts gerichteten Echoloten die Dicke des Eises bestimmen. Ihren Messungen zufolge ist das Eis Innerhalb von zwanzig Jahren um 40 Prozent dünner geworden. Wie es heute dort oben aussieht, darüber kann Peter Wadhams nur spekulieren, denn seit dem Ende des Kalten Krieges fahren immer seltener britische U-Boote in die Arktis. In den letzten neun Jahren gab es nur noch eine Messfahrt - 2004. Deren Daten werten die britischen Forscher gerade aus - die vorläufigen Ergebnisse sind allerdings verwirrend.

    "Die neuen Messungen von den U-Booten deuten darauf hin, dass das Eis plötzlich nur noch langsam dünner wird. Aber gleichzeitig melden uns die Eisbrecher, die gerade dort oben unterwegs sind, dass das Meereis immer schneller verschwindet."

    Um auch in Friedenszeiten regelmäßig messen zu können und unabhängiger von den Launen des Militärs zu werden, setzt seine Gruppe auf unbemannte Unterwasserfahrzeuge. Mit einem solchen ferngesteuerten Mini-U-Boot haben Peter Wadhams und seine Kollegen gerade das Eis vor der Nordostküste Grönlands untersucht.

    "Das Meereis in dieser Region war bisher immer das ganze Jahr über mit dem Festland verbunden und es war berühmt dafür, besonders dick zu werden. Aber in den letzten Jahren haben wir beobachtet, dass das Meereis in den Sommermonaten von der Küste abbricht. Und dadurch können die Gletscher im Nordosten Grönlands schneller ins Meer fließen, denn sie werden nicht mehr vom Eis blockiert. So trägt das dünnere und leichter aufbrechende Meereis dazu bei, dass der grönländische Eispanzer schneller schmilzt."

    Das arktische Meereis zieht sich zurück und es wird dünner. Darüber sind sich alle Forscher einig. Was dagegen im Eis vor der antarktischen Küste vor sich geht, das versteht niemand so genau. Auch nicht Tony Worby von der australischen Antarktisdivision an der Universität von Tasmanien in Hobart. Den Klimamodellen der IPCC zufolge, des zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimawandel der Vereinten Nationen, müsste man jetzt schon sehen können, wie sich auch dort das Meereis zurückzieht. Das tut es aber nur um die antarktische Halbinsel herum, also jene Landzunge, die nach Südamerika hinaufragt. Vor allen anderen Küsten dehnt sich das Eis immer noch genauso weit aus wie vor zwanzig, dreißig Jahren.

    "Die Ausdehnung des Eises können wir mit Satelliten sehr genau beobachten, aber was wir nicht wissen, ist, wie dick das Meereis ist. Es ist also gut möglich, dass das Meereis von unten wegschmilzt aber das können wir nicht beobachten, denn für die Antarktis haben wir keine Daten von U-Booten."

    Der internationale Vertrag zum Schutz der Antarktis verbietet jegliche militärische Operationen am Südpol, also auch U-Boote. Deswegen hoffen Tony Worby und seine Kollegen auf neue Messgeräte für Satelliten, die gerade von der NASA und der ESA entwickelt werden und die Dicke des Eises messen können. Aber auch mit denen wird er nur erkennen können, wie dick das Eis jetzt ist, nicht, wie dick es vor dreißig Jahren war.