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Das Schwellenländer-Argument ist "abstrakt"

Strauss-Kahn ist zurückgetreten, das Nachfolgegerangel in vollem Gange - auch Indien und Brasilien erheben Ansprüche. Grundsätzlich denkbar, sagt Volker Wissing, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, aber zurzeit brauche es jemanden, "der europäische Abstimmungsprozesse nicht erst lernen muss".

Volker Wissing im Gespräch mit Jasper Barenberg | 19.05.2011
    Jasper Barenberg: Wie die strafrechtlichen Ermittlungen in New York gegen Dominique Strauss-Kahn weitergehen, ist noch unklar, auch ob Anklage gegen ihn erhoben wird, steht noch nicht fest. Politisch aber scheint das Urteil über ihn schon seit einigen Tagen gefällt, jedenfalls ist die Debatte um seine Nachfolge bereits in vollem Gange. Jetzt erhält sie eine neue Dringlichkeit, denn Dominique Strauss-Kahn tritt von seinem Posten beim IWF zurück, mit sofortiger Wirkung.

    Am Telefon jetzt Volker Wissing, der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Schönen guten Morgen, Herr Wissing.

    Volker Wissing: Ich grüße Sie! Guten Morgen!

    Barenberg: Herr Wissing, hat Sie die Nachricht von heute Morgen überrascht, oder haben Sie den Schritt erwartet?

    Wissing: Ich habe damit gerechnet, dass Strauss-Kahn schnell entscheidet, denn der IWF muss handlungsfähig sein und kann sich keine Hängepartie in der Spitze leisten.

    Barenberg: Nun hat es ja in den vergangenen Tagen von Seiten des IWF immer geheißen, man sei voll handlungsfähig, und das haben die Politiker auch immer gesagt. War es trotzdem jetzt die richtige Entscheidung?

    Wissing: Ich denke, es war richtig, denn es sind sehr große Entscheidungen zu treffen, sehr weitreichende Entscheidungen und sehr schwierige Entscheidungen, und es ist – das weiß jeder – für einen Stellvertreter immer schwer, wenn man schwierige Dinge in Abwesenheit des Chefs auf den Weg bringen soll.

    Barenberg: Wie wichtig ist also die Entscheidung, wer jetzt an die Spitze des IWF tritt?

    Wissing: Man sollte das in Anerkennung der gegenwärtigen Probleme des IWF und der Aufgaben des IWF beantworten. Wir haben eine große Aktion im Rahmen der Euro-Stabilisierung in den letzten Monaten erlebt, es stehen große Aufgaben hier in Europa an, deswegen habe ich persönlich großes Verständnis für die Bundeskanzlerin, die sagt, es macht Sinn, dass weiterhin ein Europäer an der Spitze des IWF steht.

    Barenberg: Auf der anderen Seite, Herr Wissing, positionieren sich Schwellenländer wie Brasilien, wie Indien. Sie erheben Ansprüche, weil sie sagen, die Gewichte in der Weltwirtschaft global gesehen haben sich inzwischen verschoben und so sei es keineswegs mehr ganz natürlich, dass die Europäer diesen Posten für sich reklamieren können. Wie viel Verständnis haben Sie für diese Haltung?

    Wissing: Ich habe Verständnis für diese Haltung. Das sind aber abstrakte Argumente. Die Argumente der Bundeskanzlerin sind konkrete. In den nächsten Monaten stehen wichtige Entscheidungen des IWF in Bezug auf die Euro-Zone an, da sollte jemand an der Spitze stehen, der die Abstimmungsprozesse in Europa bestens kennt und auch die Situation in der Euro-Zone kennt. Abstrakte Argumente wie "man sollte grundsätzlich auch die Schwellenländer" überwiegen in der gegenwärtigen Situation nicht die konkreten Argumente der Europäer.

    Barenberg: Das heißt, Sie trauen einem Inder, Sie trauen jemandem aus Brasilien nicht zu, dass er die Probleme ordentlich beurteilen kann, die uns in Europa beschäftigen?

    Wissing: Das will ich damit nicht sagen. Wichtig ist aber, dass jemand an der Spitze des IWF steht, der europäische Abstimmungsprozesse nicht erst lernen muss, nicht erst Erfahrungen damit sammeln muss, sondern der sie schon kennt.

    Barenberg: Nun ist der IWF getragen von sehr vielen Staaten und sie alle tragen dazu bei, auch Europa zu helfen in diesem Prozess. In vielen Ländern allerdings hat der IWF Vertrauen verloren in der letzten Zeit. Wäre es nicht eine Chance für einen neuen Chef außerhalb Europas, dass er dieses Vertrauen zurückgewinnen kann?

    Wissing: Auch das sind Argumente, die man ernst nehmen muss, das sind wichtige Argumente, aber sie sind abstrakt. Und die Argumente der Bundeskanzlerin, die beziehen sich konkret auf die Situation der Euro-Zone.

    Barenberg: Die besten Chancen werden im Moment der französischen Finanzministerin Christine Lagarde eingeräumt. Wäre das aus Ihrer Sicht eine gute Wahl?

    Wissing: Ich glaube, jeder, der sich als Finanzminister oder auch an anderer verantwortlicher Stelle mit der Stabilisierung der Euro-Zone und der Dimension der gegenwärtigen Finanzkrise auseinandergesetzt hat, kommt für diese Aufgabe in Betracht.

    Barenberg: Wie schnell muss jetzt entschieden werden?

    Wissing: Es sollte zügig entschieden werden. Es macht keinen Sinn, jetzt lange Personaldiskussionen zu führen, sondern die Handlungsfähigkeit des IWF muss zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein. Wir befinden uns nicht in normalen Zeiten, sondern wir haben nach wie vor Krisenzeiten.

    Barenberg: Volker Wissing, FDP-Politiker und Vorsitzender des Finanzausschusses des Bundestages, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.