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Das Silber der Meere
Nachwuchssorgen beim Hering

Der Hering ist ein beliebter Speisefisch, ob als Fisch aus der Dose oder als Matjes im Brötchen. Doch der Hering hat mit den Umweltveränderungen zu kämpfen. Im Greifswalder Bodden, der als wichtigstes Laich- und Aufzuchtsgebiet des Ostseeherings gilt, zeichnet sich seit einigen Jahren ein Besorgnis erregender Trend ab.

Von Tomma Schröder | 13.04.2017
    Junge Heringe schwimmen in Kristianopel (Gemeinde Karlskrona) in der Provinz Blekinge in Schweden.
    Heringe in der Ostsee (dpa / picture alliance / Wolfram Steinberg)
    "So, ist achtern alles fest?" – "Alles fest achtern!"
    Die "Clupea" legt im Hafen von Lauterbach an. Nur ein paar Möwen drehen ihre Kreise über den dümpelnden Fischerbooten. Ansonsten herrscht Stille an diesem späten Nachmittag. Auch die Crew des Forschungsschiffes wird sich bald in die Kajüten zurückziehen. Schließlich werden morgen um halb acht die Leinen wieder losgemacht. Denn für den Rügener Heringslarvensurvey fährt das Schiff von März bis Juni über 30 Mal auf den Bodden hinaus, erklärt Patrick Polte, Fahrtenleiter und Wissenschaftler des Thünen-Instiuts für Ostseefischerei:
    "Die Fische, die stehen hier draußen im Greifswalder Bodden und warten, bis die Temperaturen stimmen und dann strömen die alle rein und kleben ihre Eier überall ran. Und dann schlüpfen die meistens in so Wellen. Davon gibt es meistens mehrere über das Frühjahr."
    Diese Wellen versuchen die Wissenschaftler mit ihren Forschungsfängen an 36 festgelegten Stationen im Bodden zu erfassen. Denn die Zahl der Heringslarven liefert wertvolle Daten für den Bestand der Fische.
    Extrem kleiner Larvenjahrgang wird erwartet
    "Der Greifswalder Bodden wird als eines der Haupt-Laich- und Aufwuchsgebiete eingeschätzt, weil die Larvenproduktion aus diesem Gebiet immer sehr stark korreliert mit dem, was dann an einjährigen Jungfischen in der westlichen Ostsee im Herbst gefunden wird. Hier beim Hering kann man also im Prinzip schon drei Jahre vorher sagen: Ok, die Produktion an Jungtieren ist gut oder schlecht, und das wird in Zukunft in den Bestand reinwachsen."
    Zu Hochzeiten hatten die Forscher bis zu 40.000 Larven in einem Netzen. Heute ist die Ausbeute der Crew allerdings eher mau.
    "Hier ist jetzt schon mal gar nichts drin, nur ein paar Wasserpflanzen."
    Das ist für einen Fangtag Ende März nicht ungewöhnlich. Die meisten Larven schlüpfen erst später, wenn das Wasser wärmer ist. Doch in den vergangenen Jahren sind die Netze der Wissenschaftler das ganze Frühjahr über leerer geblieben. Für dieses Jahr gibt es zwar noch keine genauen Auswertungen, doch den Beobachtungen nach dürfte der Larvenjahrgang erneut extrem klein sein, schätzt Patrick Polte.
    Auswirkungen auf den internationalen Fischbestand
    "Es gibt diesen generellen Abwärtstrend. In den letzten drei, vier Jahren sehen wir wirklich Rekordtiefs in der Heringslarvenproduktion. Für mich sieht es im Moment so aus, als würden diese warmen Winter diese gesamte jahreszeitliche Abfolge verschieben. Und das zusammen mit der hohen Nährstoffbelastung führt einfach zu einer sehr hohen Sterblichkeit."
    Durch die Klimaänderung und den Nährstoffeintrag verändert sich das Ökosystem im Bodden in vielfacher Hinsicht. Das fängt bereits bei den Eiern an: Vermehrt auftretende toxische Algen vergiften sie und die Wasserpflanzen, auf denen die Eier abgelegt werden, werden immer weniger. Die Larven wiederum finden teilweise zu wenig zu fressen oder werden selbst gefressen – durch eine zunehmende Zahl von Stichlingen.
    "Das, was hier in den inneren Küstengewässern passiert, das kann sich dann wiederum auf einen internationalen Fischbestand auswirken. Deswegen glaube ich, dass so ein regionales Gebietsmanagement ganz wichtig ist und nicht nur ein Fischereimanagement, das dann passiert, wenn die Fische so groß sind, dass sie in den Bestand reingewachsen sind."
    Denn menschliche Eingriffe in den Kinderstuben der Heringe, wie etwa hohe Nährstoffeinträge durch die Landwirtschaft, können sich schnell auf die Larvenproduktion und damit auf den Bestand der gesamten westlichen Ostsee auswirken. Dieser Zusammenhang müsste mehr ins öffentliche Bewusstsein rücken, meint Polte.