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"Das sind Razzien"

Der Europa-Politiker Werner Schulz verurteilt, dass deutsche Nichtregierungsorganisationen in Russland durchsucht worden sind. Die Stiftungen sollten dadurch öffentlich diffamiert werden. "Ein astreiner Despot wie Putin hat hier ein Feindbild aufpoliert", sagt Schulz.

Werner Schulz im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 26.03.2013
    Tobias Armbrüster: Seit mehreren Tagen bekommen ausländische Organisationen in Russland Besuch von der Staatsanwaltschaft und von Sicherheitsbehörden. Wir haben es gerade in den Nachrichten gehört. Die Regierung in Moskau hatte erst vor wenigen Monaten ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Stiftungen aus dem Ausland generell als "ausländische Agenten", so wörtlich, bezeichnet. Viele sagen, die NGOs in Russland, die stehen unter Generalverdacht. Jetzt wurden russische Beamte auch in den Büros von zwei deutschen Organisationen vorstellig: bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert- und bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung.
    Am Telefon ist jetzt der Grünen-Politiker Werner Schulz, er ist stellvertretender Vorsitzender der Russland-Delegation des Europäischen Parlaments. Schönen guten Tag, Herr Schulz.

    Werner Schulz: Schönen guten Tag.

    Armbrüster: Herr Schulz, was sind die Informationen, die Sie von den deutschen Stiftungen in Russland bekommen?

    Schulz: Die gleichen, die Sie jetzt mitbekommen haben. Aber ich schätze das anders ein, als das in Ihrem Bericht jetzt der Fall gewesen ist. Das sind keine Routineüberprüfungen, sondern es sind Razzien. Es sind Razzien, die kurz nach einem Auftritt von Wladimir Putin vor Vertretern des russischen Inland-Geheimdienstes FSB durchgeführt werden. Also die Anordnung kommt direkt von oben. Dort hatte er die strikte Handhabung dieses neuen NGOs-Gesetzes gefordert und wörtlich gesagt: "Ich möchte betonen, dass niemand das Monopol hat, im Namen des ganzen russischen Volkes oder der Gesellschaft zu sprechen, erst recht nicht jene Organisationen, die vom Ausland aus geleitet und finanziert werden und die deshalb unvermeidlich fremden Interessen dienen." Also es geht nicht nur darum, dass sie Geld aus dem Ausland bekommen, sondern ihnen wird gleichzeitig unterstellt, sie werden gleichzeitig diffamiert, dass sie im Interesse ausländischer Organisationen handeln würden.

    Armbrüster: Was bezweckt die russische Führung damit?

    Schulz: Das ist ein aufpoliertes Feindbild. Putin hat sich offenbar vorgenommen, diese Kräfte, die sich um Demokratie und Zivilgesellschaft bemühen, zu zerstören. Das bedroht sein autokratisches System. Ein astreiner Despot wie Putin hat hier ein Feindbild aufpoliert. Er ist ja ein ehemaliger KGB-Offizier und seine Mittel, seine Instrumente sind die gleichen: Repression, Einschüchterung, Verbreitung von Angst und Schrecken, um solche Organisationen zu schwächen, oder sie letztendlich zu zerstören.

    Armbrüster: Kann es denn sein, Herr Schulz, dass sich die Vertreter dieser beiden Stiftungen tatsächlich etwas haben zuschulden kommen lassen?

    Schulz: Außer, dass sie sich für Demokratie und für politischen Dialog einsetzen, nichts. Sie haben überhaupt nichts getan, um Russland in irgendeiner Weise zu schaden. Ganz im Gegenteil! Sie sind bemüht, diese doch im Keim, im Ansatz vorhandene Demokratie in Russland und Zivilgesellschaft zu unterstützen: führen Veranstaltungen durch, vermitteln Kontakte und vermitteln Erfahrungsträger in dieses Land. Also das ist ungeheuerlich. Und vor allen Dingen: Man darf es ja nicht isoliert betrachten. Es sind ja Hunderte von russischen NGOs schikaniert worden und überprüft worden oder Razzien dort durchgeführt worden, die man als ausländische Agenten stigmatisiert oder brandmarkt, obwohl sie wirklich im eigenen Interesse arbeiten. Sehen Sie, die Gesellschaft "Memorial" bereitet die russische Geschichte auf, die Verbrechen des Stalinismus. Also das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass sie in irgendeiner Weise für ausländische Interessen arbeiten würden.

    Armbrüster: Das heißt, Sie können von hieraus, von Deutschland oder Europa aus ausschließen, dass tatsächlich bei diesen Organisationen irgendwelche Fehler gemacht wurden?

    Schulz: Nein. Also ich lege da meine Hand ins Feuer. Im Übrigen werden diese Organisationen schon seit langer Zeit sehr, sehr restriktiv kontrolliert, überwacht. Es geht um die Offenlegung sämtlicher Vorgänge und Finanzen. Also die sind schon ohnedies im Fadenkreuz der Steuerbehörden gewesen. Aber jetzt geht es wirklich darum, sie zu diffamieren, sie in der Öffentlichkeit zu brandmarken. Fernsehkamerateams sind ja mit den Steuerbeamten und der Staatsanwaltschaft gleich mit auf dem Weg, um in diesen Büros auch den entsprechenden Eindruck zu zeigen. Ich finde nur, wir sollten davon wegkommen, hier nur zu protestieren und …

    Armbrüster: Ja diese Frage hätte ich gerne. Was muss Europa oder was muss Deutschland tun? Ich meine, es geht hier um zwei deutsche Stiftungen.

    Schulz: Ja. Es kann wie gesagt nicht sein, dass wir nur dagegen protestieren, so wie der Außenminister Westerwelle sagt, das Vorgehen ist inakzeptabel, der Menschenrechtsbeauftragte Löning der Bundesregierung sagt, das sei ein willkürliches Vorgehen, sondern wir müssen dafür sorgen, dass gerade diejenigen, die diese Razzien jetzt durchführen, nicht dieses Visa-Privileg bekommen, dass sie ohne ein Visa künftig in die EU einreisen dürfen. Es ist ja jetzt am vergangenen Wochenende verhandelt worden, dass sogenannte Dienstpassinhaber, etwa 18.000 russische Beamte, künftig ohne Visa in die EU einreisen dürfen. Das muss auf Eis gelegt werden, das kann nicht sein, dass diejenigen, die sich an diesen Razzien beteiligen, die sie durchführen, nun noch mit einem Privileg ausgestattet werden. Ich bin für die Visafreiheit für sämtliche russischen Bürger. Ich befürchte sogar, wenn diese Beamten dieses Privileg bekommen, dann sind ihre Interessen erfüllt, dann werden sie sich selber gar nicht mehr darum bemühen, dass die übrigen Bürger in Russland künftig mal Visafreiheit bekommen. Und dass hier inkriminierte und an der Schikanierung und an den Repressionen beteiligte Beamte in die EU einreisen dürfen können, ist ein Skandal, das dürfen wir nicht zulassen.

    Armbrüster: Sendet denn die russische Führung mit diesen Razzien, so wie Sie es nennen, auch ein Signal aus an die Bundesregierung oder an die Europäische Kommission?

    Schulz: Also es ist zumindest das Signal, dass hier ein astreiner Despot durchgreifen will, dass er seine Macht verteidigt, dass er offensichtlich diese Demonstrationen von Hunderttausenden auflösen möchte. Das wird ihm wenig gelingen, weil das Protestpotenzial ist halt vorhanden. Er sollte es lieber nutzen, um gegen die Leute vorzugehen, die ihr Geld in Zypern gebunkert haben und die es zu spekulativen Zwecken einsetzen. Es wäre besser, sie würden ihr Geld in die russische Zivilgesellschaft investieren, als in ihre dunklen Geschäfte, die sie überall betreiben, das ist eigentlich die Sache, und gegen Korruption vorzugehen. Da hätte er genug zu tun, als gegen diese Leute vorzugehen, die sich um den Aufbau einer wirklichen Bürgergesellschaft einsetzen in Russland.

    Armbrüster: Ist es denn inzwischen ein gefährlicher Job, für eine ausländische Organisation, für eine Stiftung in Russland zu arbeiten?

    Schulz: Es ist eine Machtprobe im Moment. Die ausländischen Gesellschaften, glaube ich, sind weniger bedroht als die russischen NGOs. Aber etliche russische NGOs wie Golos oder die Helsinki-Gruppe von Ludmilla Aleksejeva haben ja bereits betont, dass sie sich niemals als ausländische Agenten bezeichnen werden. Sie sind keine Spione, sie arbeiten nicht für das Ausland, sondern sie arbeiten im Interesse der russischen Gesellschaft, zumindest für einen großen Teil, der aufgewacht ist seit diesen gefälschten Duma-Wahlen. Insofern wird es spannend werden, wer sich hier durchsetzt, ob Putin mit diesen brutalen Methoden Erfolg hat und ob es ihm gelingt, ein weiteres Mal diese im Keim befindliche Demokratie zu zerstören.

    Armbrüster: …, sagt der grüne Europaabgeordnete und Russland-Kenner Werner Schulz heute live hier in den "Informationen am Mittag". Vielen Dank, Herr Schulz, für das Gespräch.

    Schulz: Bitte schön.


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