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"Das sollte uns auch ein bisschen beunruhigen"

Der Ausstieg aus dem Atomausstieg scheint besiegelt. Doch was bedeuten die verlängerten Laufzeiten der AKWs für deren Sicherheit? Stefan Kurth vom Öko-Institut in Darmstadt gibt zu bedenken, dass die älteren Anlagen bereits über 30 Jahre alt sind.

Stefan Kurth im Gespräch mit Sandra Schulz | 08.09.2010
    Sandra Schulz: Am Telefon begrüße ich Stefan Kurth vom Öko-Institut in Darmstadt. Guten Tag!

    Stefan Kurth: Guten Tag, Frau Schulz.

    Schulz: Den Kürzeren gezogen hat Norbert Röttgen ja mit seinen Vorstellungen für die Nachrüstungen bei der Sicherheit. Wie nervös sollte uns das machen?

    Kurth: Na ja, es gibt ja noch andere Aspekte, die wir anschauen müssen. Dazu gehört ganz sicher auch die Sicherheit dieser Reaktoren, die jetzt länger laufen dürfen, und das sollte uns auch ein bisschen beunruhigen.

    Schulz: Können Sie das konkreter machen?

    Kurth: Naja, die Kraftwerke, die in Deutschland laufen, das sind ja keine neuen Anlagen. Im günstigsten Fall sind die 20 Jahre alt, die ältesten Anlagen über 30 Jahre alt und entsprechen so auch nicht mehr dem neuesten Stand. Ich würde erwarten, wenn wir die Laufzeiten doch erheblich verlängern, dass wir dann auch einiges für die Sicherheit tun müssten.

    Schulz: Der Atomkonsens, der damals von Rot-Grün ausgehandelt wurde, der hatte ja auf Nachforderungen bei der Nachrüstung und bei der Sicherheit auf weite Strecken verzichtet, eben mit Blick auf das Auslaufen. Das muss jetzt nachgeholt werden?

    Kurth: Das war in der Tat ein Bestandteil dieser Vereinbarung zwischen Betreiber und Bund, dass man darauf verzichtet hat, das Sicherheitsniveau oder Sicherheitsstandards erheblich zu ändern. Das heißt, die letzten zehn Jahre ist auch darauf nicht mehr so interessiert geschaut worden, was eigentlich machbar wäre im Hinblick auf Sicherheit, auf mehr Sicherheit. Auch da ist die Zeit ja nicht stehen geblieben und wenn man da weiter schaut, dann wird man bestimmt Sachen entdecken, die einfach zu verbessern sind. Darüber hinaus kommt ja auch noch die große Zeitspanne zwischen den Kraftwerken, das heißt alten und neuen Kraftwerken. Auch da ist einiges passiert. Das heißt, die alten Anlagen sind in der Regel auch noch mal schlechter als die neueren.

    Schulz: Was sind das für Dinge? Sie sagen, Sachen, die verbessert werden müssen. Was muss denn besser werden?

    Kurth: Das sind natürlich Sachen, die mit der Zeit zusammenhängen. Das heißt, man wird ja schlauer mit der Zeit, macht Erfahrungen, und die sind in den Neuentwicklungen der Anlagen, der neueren Anlagen eingeflossen. Ein ganz einfaches Beispiel, was ja immer auch in der Presse ist, ist die Frage der Auslegung gegen Flugzeugabsturz. Da ist es einfach so, dass die neueren Anlagen dickere Betonhüllen haben als die älteren, das heißt in der Hinsicht einen größeren Schutz aufweisen. Aber auch innen drin, das heißt die technischen Systeme sind eben in den alten Anlagen zu einer gewissen Weise auch veraltet.

    Schulz: Also es gibt Atomkraftwerke in Deutschland, die einen Flugzeugabsturz nicht unbeschadet – unbeschadet ist natürlich ein großes Wort -, oder nicht so überstehen würden, dass es nicht zur Katastrophe käme?

    Kurth: Da sind einfach Unterschiede. Die einen sind besser oder schlechter gegen solche Einwirkungen geschützt. Nun kann man sich natürlich trefflich überlegen, welches Flugzeug man annehmen muss, und da muss man irgendeine Konvention treffen. Aber Fakt ist, dass eben allein von der technischen Vorkehrung, oder von der Auslegung her Unterschiede bestehen zwischen den Anlagen.

    Schulz: Es waren ja auch mal Nebelwerfer im Gespräch, damit Flugzeugentführer gegebenenfalls ihr Ziel verfehlen. Was ist daraus denn geworden?

    Kurth: Daran muss man dann auch glauben. Dagegen gehalten wird ja, dass im Zeitalter moderner elektronischer Navigiersysteme solche Nebelsysteme ja nicht beliebig gut wirken können. Also das ist auch nur eine Ersatzlösung.

    Schulz: Sie haben es gerade schon angedeutet: der Flugzeugabsturz ist natürlich nicht das einzige Szenario, das gefährlich werden kann. Was kann die Sicherheit noch beeinträchtigen?

    Kurth: Na ja, vielleicht auch noch ein Beispiel wäre: In den Kraftwerken sind ja Sicherheitssysteme nicht nur einmal da, sondern mehrfach, in sogenannten Redundanzen, damit eben ein System wieder ausfallen kann und immer noch genug Sicherheit oder Einrichtung vorhanden ist. Das hilft aber nur, wenn diese verschiedenen Redundanzen nicht nebeneinander liegen und gemeinsam ausfallen können, und da sind eben genau diese Schwächen bei einigen älteren Anlagen, dass Redundanzen nebeneinander stehen, nebeneinander geführt werden. Das heißt, bei Überschwemmungen oder auch Bränden oder so können eben verschiedene Funktionen auch wirklich übergreifend ausfallen, und dann steht eben diese Funktion nicht mehr zur Verfügung.

    Schulz: Das was Sie schildern klingt jetzt alles in allem nicht gerade beruhigend. Wie muss das Prozedere denn laufen? Brauchen wir neue Vorschriften, die dann umgesetzt werden müssen, oder muss jeder Atomkraftbetreiber einfach noch mal genau das Regularium anschauen?

    Kurth: Zunächst mal könnte jeder Atomkraftbetreiber ja von sich aus etwas machen und entsprechende Verbesserungen beantragen. Aber es zeigt natürlich die Erfahrung, dass nur etwas gemacht wird, wenn dann auch eine entsprechende Anforderung da ist. Bis jetzt gibt es keine Anforderung, dass eben Neuerungen oder auch aktueller Stand der Technik, der Sicherheitstechnik verbindend eingehalten werden müsste.

    Schulz: Das waren Einschätzungen von Stefan Kurth vom Öko-Institut in Darmstadt, heute in den "Informationen am Mittag" hier im Deutschlandfunk. Danke Ihnen!

    Kurth: Bitte sehr.