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"Das soziale Grundrecht auf Wohnen wurde zur Handelsware deklariert"

"Eine weniger dramatische Steigerung" der Mieten in Nordrhein-Westfalen mehr kann NRW-Bauminister Michael Groschek (SPD) nicht versprechen. Ein runder Tisch mit Mieterbund und Wohnungsbauunternehmen soll dabei helfen. Den "Immobilienhaien" droht der Minister mit einem "Polizeiknüppel".

Michael Groschek im Gespräch mit Sandra Schulz | 28.11.2012
    Schulz: […] Rund die Hälfte ihres Einkommens müssen Geringverdiener für die Miete ihrer Wohnung aufbringen, wir haben es gerade gehört. Die teuersten Wohnungen gibt es in Bayern und Baden-Württemberg, aber auch in Nordrhein-Westfalen ist das eigene Zuhause deutlich teurer geworden. Den SPD-Politiker Michael Groschek, in NRW ist er Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr, habe ich gefragt, wie besorgt er über diese Entwicklung sei.

    Michael Groschek: Wir sind in Nordrhein-Westfalen sehr besorgt und wir versuchen auch, mit Macht gegenzusteuern. Alleine im nächsten Jahr werden wir über 800 Millionen Euro Kreditmittel zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus zur Verfügung stellen, und das ist ein deutliches Zeichen, wie ernst wir das Problem nehmen.

    Schulz: Jetzt ist Rot-Grün ja schon seit einiger Zeit an der Macht in Nordrhein-Westfalen. In Köln sind die Mietpreise im Schnitt – jetzt schauen wir mal auf die vergangenen fünf Jahre – um gut zehn Prozent gestiegen. In Düsseldorf war es noch ein bisschen rasanter. Warum sind Ihre Bemühungen denn so wenig erfolgreich?

    Groschek: Nein, die sind schon erfolgreich. Sozialen Mietwohnungsbau muss man auch kommunalpolitisch wollen, und die Städte, die dies wollen, werden auch optimal vom Land unterstützt. In Köln und Münster kann man das positiv ablesen, in Düsseldorf leider negativ. In Düsseldorf gibt es eine gewisse Abwehrhaltung gegenüber der Förderung von sozialem Wohnungsbau, man stürzt sich eher auf andere Wohnungssuchende, und deshalb gibt es im Lande ganz unterschiedliche Entwicklungen.

    Schulz: In Köln gibt es ja eine rot-grüne Regierung. Sie sagen uns hiermit also das Absinken von Mieten in den nächsten Jahren zu, wenn Sie Ihre Politik erfolgreich nennen?

    Groschek: Nein, aber eine weniger dramatische Steigerung. Das Problem ist, dass in den 80er- und 90er-Jahren große Wohnungsbestände privatisiert wurden. Das soziale Grundrecht auf Wohnen wurde zur reinen Ware, zur Handelsware deklariert und damit zum Teil eben auch zur Ramschware. Wer aus dem sozialen Grundrecht für Wohnen ein privates Wareneigentum macht, der darf sich nicht wundern, wenn so viel schief läuft. Deshalb muss man jetzt korrigieren, was damals leider in die falsche Richtung organisiert wurde, und wir versuchen mit Macht, sozialen Wohnungsbau zu fördern, damit die marktfähigen Mieten von zehn Euro und mehr nicht alleine das bestimmende Signal sind.

    Schulz: Aber die Erfahrung zeigt ja auch - das ist jetzt wieder ein Beispiel aus Köln -, dass da Mittel bereitgestellt werden, die dann aber nicht abgerufen werden. Was läuft da falsch?

    Groschek: In Köln ist das in den letzten drei Jahren vorbildlich abgerufen worden. Im Moment gibt es eine abwartende Haltung, weil wir in einem historischen Niedrigzinstal sind und weil damit gerechnet wird, dass die Förderbedingungen des Landes im nächsten Jahr noch bessere sein werden. Es gibt in allen Städten auch ein Grundstücksproblem, und da ist mein Appell an die Kommunen, bei allen Grundstücksvergaben und vor allen Dingen bei allen kommunalen Planungsvorhaben darauf zu achten, dass eine deutliche Quote an sozialem Wohnungsbau mit gebaut werden muss. Es kann nicht sein, dass Städte ohne Planungsvorgaben Grundstücke meistbietend veräußern, sondern es muss schon geplant werden eine 20- bis 30-Prozent-Quote an sozialem Wohnungsbau, wenn ich als öffentliche Hand ein Grundstück verkaufe.

    Schulz: Aber das entspricht im Moment ja überhaupt nicht der Praxis. Wenn neu gebaut wird, dann sind das oft Luxusresidenzen, das sind Eigentumswohnungen. Was wollen Sie denn tun, abgesehen von dem Appell, dass das auch Praxis wird?

    Groschek: Ja wir werden eine Menge tun. Es gibt gute Beispiele aus München und Hamburg. Deshalb werden wir auch in Nordrhein-Westfalen ein Bündnis für preiswertes und gutes Wohnen schließen mit den Wohnungsbauverbänden und den großen Wohnungsunternehmen sowie dem Mieterbund. Dazu habe ich eingeladen, es gibt positive Rückäußerungen. Wir werden außerdem die Wohnungsaufsichtsinstrumente, also das Ordnungsrecht verschärfen, damit diejenigen, die Mieter ausbeuten wollen, gewiss sein können, dass die öffentliche Hand als Schutzmann für soziales Wohnen auftreten kann. Wir werden also den Kommunen einen Polizeiknüppel, wenn Sie so wollen, in die Hand geben, damit nicht nur Glacéhandschuhe im Umgang mit Immobilienhaien an der Tagesordnung sind.

    Schulz: Den Knüppel, den haben wir wörtlich zu verstehen?

    Groschek: Den hat man schon fast wörtlich zu verstehen, weil viele Immobilienhaie, weil viele Heuschrecken nur die Sprache des Ordnungsrechtes, das aufs Portemonnaie drückt, verstehen. Nur wenn Bilanzverluste drohen, bewegen sich leider Gottes viele von diesen Heuschreckenunternehmen, die über den deutschen Wohnungsmarkt hergefallen sind. Deshalb müssen wir das Ordnungsrecht im Mietbereich so verschärfen, dass Reparaturvernachlässigungen, dass Instandhaltungsvernachlässigungen sofort geahndet werden können, und zwar mit Geldstrafe geahndet werden können. Das ist die einzige Sprache, die leider Gottes einige von diesen Wohnungsbauunternehmen verstehen.

    Schulz: Wieso fehlen überhaupt so viele Wohnungen in den Städten?

    Groschek: Es gibt einen neuen Trend zu mehr kleinen Wohnungen. Es gibt einen Trend weg vom Land, hin zur Stadt. Das hängt auch mit dem demographischen Wandel zusammen. Eine älter werdende Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die sich nach Quartier, nach Stadtviertel sehnt, die sich nach Infrastruktur, nach Pflegeeinrichtungen, Betreuung sehnt und die sich auf dem Land oft allein gelassen fühlt, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Deshalb ist ein erheblicher Druck in den Städten, der verstärkt wird durch anwachsende Studentenzahlen in den großen Universitätsstädten, sodass von zwei Seiten Druck auf den Wohnungsmarkt ausgeübt wird. Dazu kommen viele internationale Anbieter und Anleger, die sagen, wir wollen in Stein und Wohnungen investieren statt in riskante Aktiengeschäfte. Das macht Eigentumswohnungen eben sehr teuer, das macht auch Mietwohnungen teurer, weil viele ohne Rücksicht auf Verluste horrende Kaufpreise bezahlen, die sie dann über die Mieter refinanziert haben wollen.

    Schulz: Jetzt steigen die Kaufpreise für Eigentumswohnungen ja teilweise noch drastisch stärker als auf dem Mietmarkt. Mit Immobilienblasen haben in vielen Ländern die Krisen angefangen. Ist die Blase schon da?

    Groschek: Ich glaube, dass wir noch nicht ganz so weit sind. Aber es gibt Tendenzen, wo man warnend sagen muss, die Preisspirale dreht durch und deckt in Wirklichkeit nicht mehr die realen Werte ab, sondern nur noch spekulative Werte. Deshalb ist es wichtig, solide Wohnungen als Neubaumaßnahmen da zu bauen, wo ein Nachfrageüberhang ist, und da, wo wie im Ruhrgebiet ein Angebotsüberhang ist, müssen wir eher über Abriss nachdenken.

    Schulz: Im Interview mit dem Deutschlandfunk war das Michael Groschek (SPD), in Nordrhein-Westfalen Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr.


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