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Das spanische Netzwerk

Hinter Doping im Hochleistungssport steckt organisierte Kriminalität mit zahllosen Helfern und Mitwissern. Diese Netze zu zerreißen, ist schwer. Ein erneuter Versuch beginnt am 28. Januar in Madrid, wenn der Prozess gegen den Arzt Eufemiano Fuentes und vier Mitangeklagte eröffnet wird.

Von Philipp May und Jürgen Kalwa | 27.01.2013
    "Na gut. Das einzige, was ich sagen kann, ist, dass ich geschockt bin. Dass ich nach wie vor nichts mit diesen Sachen zu tun habe. Dass ich Opfer jetzt bin, einfach. Dass ich dieses Jahr mich vorbereitet habe wie noch nie, eine Bombenform habe."

    Es ist der 30. Juni 2006, an dem für Jan Ullrich eine Welt zusammenbricht. Ausgeschlossen von der Tour de France, steht er am Teambus vor dem Hotel seiner T-Mobile-Mannschaft außerhalb von Straßburg und bemüht sich um eine Erklärung. Im Jahr eins nach der Ära Armstrong ist er als der große Favorit auf den Sieg angereist. Nun muss er einen Tag vor Beginn der Tour wieder nach Hause fahren. Suspendiert wegen des Verdachts auf Doping.

    "Ich bin absolut unter Schock und werde ein paar Tage für mich brauchen und werde dann mit meinem Anwalt versuchen, meine Unschuld zu beweisen."

    Der Auslöser für den Schock sind Informationen aus dem fernen Spanien. Am 29. Juni, zwei Tage vor dem Start der Tour de France, berichten spanische Medien über einen Dopingskandal, in den vor allem der internationale Profi-Radsport, aber auch Sportarten wie Tennis und Fußball verwickelt sind. Hauptfigur ist ein Gynäkologe, der damalige Teamarzt der Radsportmannschaft Liberty Seguros, Dr. Eufemiano Fuentes. Im Rahmen einer groß angelegten Razzia der spanischen Polizei Guardia Civil, der sogenannten "Operación Puerto”, wurden in den Praxisräumen von Dr. Fuentes Blutbeutel, Dopingmittel und eine Liste mit vermuteten Codenamen von Sportlern beschlagnahmt und tags darauf 58 Namen, die auf der Liste standen, veröffentlicht. Einer der Namen: Jan Ullrich.

    Es dauert nicht lange, und die Staatsanwaltschaft Bonn bestätigt mit einem DNA-Test den Verdacht, dass Ullrich der Öffentlichkeit etwas vormacht. Der zuständige Oberstaatsanwalt Fred Apostel teilt nach Abschluss erster Untersuchungen mit:

    "Es steht zweifelsfrei fest, dass dieses Blut von der DNA her identisch ist mit der Speichelprobe von Herrn Ullrich."

    Es nicht die einzige Erkenntnis, die sich im Sommer 2006 zu einem Mosaik des organisierten Sportbetrugs zusammenfügt. Als das Bundeskriminalamt den Computer des Ullrich-Beraters Rudy Pevenage beschlagnahmt, findet es entscheidende Informationen, mit denen sich das Dopingprogramm nachzeichnen lässt: die vielen Besuche in Madrid, die 80.000 Euro, die an Honorar gezahlt wurden. Für eine Anklage nach dem deutschen Strafgesetzbuch reicht das allerdings nicht. Im April 2008 stellt die Bonner Staatsanwaltschaft ihr Ermittlungsverfahren ein, nachdem man sich mit Ullrich darauf einigt, dass er eine Spende über 250.000 Euro an einen gemeinnützigen Zweck abführt.

    Fälle wie diese – mit großen Sportstars im Mittelpunkt – produzieren jedes Mal ein beachtliches Medienspektakel. Was typisch ist für die Berichterstattung über Doping. Man hat sie hochgejubelt. Nun werden sie demontiert. Doch diese Zuspitzung erzeugt ein komplett falsches Bild. Im Doping sind keine Einzeltäter am Werk, die ihren moralischen Kompass verloren haben. Doping im Hochleistungssport ist organisierte Kriminalität mit zahllosen Helfern und Mitwissern.

    "Der Sportler ist austauschbar. Es gibt ganz viele junge Radfahrer, die Radprofis werden wollen. Und die wechseln durch. Einer ist positiv, es kommt der nächste, es wird der nächste verpflichtet."

    Auch von Jörg Jaksche wurden Blutbeutel bei Dr. Fuentes gefunden. Ein Jahr lang stritt er, wie Jan Ullrich, hartnäckig alles ab. 2007 entschied er sich dann, auszupacken, nannte Ärzte und Hintermänner. Als Kronzeuge erhielt Jaksche nur eine kurze Einjahressperre. Es sollte ihm nichts nützen. Er hatte das Schweigegelübte des Radsports, die Omertá, gebrochen. Kein Team wollte einen Nestbeschmutzer verpflichten.

    "Und da ist das Problem, dass das Dopingsystem nur einseitig hart ist, nämlich gegen die Radfahrer, aber gegen andere Leute kaum irgendwelche Maßnahmen."

    Die Netzwerke zu zerreißen, ist schwer. Weshalb sich die Verantwortlichen in den Antidopingagenturen darüber ärgern, wie lange sich das Verfahren in Spanien bereits hinschleppt. Man hätte im Laufe der letzten sieben Jahre gerne seinen Teil geleistet, sagte David Howman, Geschäftsführer der Weltantidopingagentur WADA, vor ein paar Tagen. "Wir sind mit unseren Köpfen gegen eine Wand gerannt. Es bedeutet, dass viele Sportler, die vielleicht Dreck am Stecken haben, weiter an den Start gehen konnten." Warum? Die Kämpfer für den sauberen Sport – sie erhalten keinen Einblick in die Ermittlungsunterlagen. Erst am Montag, wenn in Madrid der Prozess gegen Eufemiano Fuentes und vier Mitangeklagte eröffnet wird, kommen die Akten offiziell auf den Tisch. Offiziell geht es aber gar nicht um Doping, sondern um einen besonderen Straftatbestand im spanischen Gesetzbuch: Gefährdung der öffentlichen Gesundheit.

    Jedes Land feiert seine Athleten. Vor allem, wenn sie gewinnen. Dies ist die spanische Variante, finanziert vom größten Sportausrüster der Welt. Eine Kampagne, die stolz ist. Und chauvinistisch: "Scheine. Erleuchte dein Land.”

    Im spanischen Sport leuchtet seit den Olympischen Spielen von Barcelona 1992 eine oft zitierte goldene Generation. Mit scheinbar unbesiegbaren Fußballern, mit Weltmeistern im Basketball, dem Tennis-Giganten Rafael Nadal, dem Tour-de-France-Sieger Alberto Contador. Sie haben sich in der Leichtathletik durchgesetzt und in der Formel 1.

    Im Hintergrund: zahllose Mediziner, die sich untereinander gut kennen. Und die, nach allem, was inzwischen bekannt ist, mitverantwortlich sind für die Leistungsexplosion. Dies nachzuweisen, ist schwer. Man braucht Hausdurchsuchungsbefehle und Beschlagnahmeverfügungen und Dechiffrierexperten, wie der offizielle Bericht der Staatsanwaltschaft zur Operación Puerto nahelegt:

    "Anhand der sichergestellten Dokumente lässt sich feststellen, dass es ein Programm für die Entnahme und Reinfusion der Blutproben in Abstimmung mit dem Medikationsplan gegeben hat... E in einem Doppelkreis bedeutet 'Sibirien', womit das Appartement in der Calle Caidos de la División Azul gemeint ist, da es als Vorratsraum für die tief gefrorenen Erythozyten- und Plasmaproben dient."

    Die Fahnder der Guardia Civil gehen bei Fuentes sehr gründlich vor: Sie entschlüsseln tatsächlich das System. Fuentes liebt es, mit Ziffern und Codenamen zu arbeiten. Vertuschen gehört zum Geschäftsprinzip. Doch nach ein paar Wochen weiß man, wer zum Beispiel die Nummer 1 auf einer Liste ist, hinter der die drei Buchstaben J-A-N stehen. Sie stehen für Jan. Jan Ullrich. Den Radfahrer, der sich so gerne zum Opfer stilisieren würde.

    Opfer? Das sind in der Welt von Fuentes ganz andere. Sie sehen aus wie Alberto León. Der ehemalige Mountainbike-Fahrer gerät 2006 in den Verdacht, Fuentes als Doping-Kurier assistiert und sogar Transfusionen vorgenommen zu haben. Im Rahmen einer weiteren Polizeiaktion, der Operación Galgo, fällt er 2010 erneut auf. León sieht jedoch nur diesen Ausweg: Im Januar 2011 findet man ihn erhängt in seinem Haus. Selbstmord.

    Opfer - das sind auch Männer wie Jesús Manzano.

    Dies nachzuweisen, ist schwer. Tour de France 2003, die erste schwere Bergankunft. Manzano, ein ambitionierter Fahrer aus dem Kelme-Team, soll in der Spitzengruppe mitfahren. Am Morgen vor der Etappe bekommt er ein neues Mittel gespritzt, das ihn stark machen soll. Aus der Tiermedizin: Hämoglobin von Hunden. Der verantwortliche Teamarzt? Dr. Eufemiano Fuentes.

    Was die Kommentatoren des niederländischen Fernsehens lakonisch mit "schwarz vor den Augen" einordnen, ist für Manzano lebensbedrohlich. Ein Komaschock, wohl verursacht durch das Hundehämoglobin.

    "Die Finger waren eingeschlafen, es fiel mir sogar schwer, zu schalten, dann kam die Bergankunft. Und der Teamchef fing an rumzubrüllen. Dies und das, was ist den da los? Du hast keine Eier! Los Manzano, dreh endlich auf, hau ab, mit Cojones! Ich also da hoch, zur Bergankunft, schnell, ganz gut, aber mir war schwindelig, mir war kalt, irgendwie übel und es ging mir ganz schlecht, schlecht, schlecht. Dann fing ich an, langsamer zu werden, ich verlor die Geschwindigkeit, und dann bin ich hingefallen, habe das Bewusstsein verloren und erst wieder erlangt, als ich im Krankenwagen lag. Dann kamen wir im Krankenhaus an, und der Manager vom Team ist mitgekommen und er hat mir gesagt: Sag' nichts von dem, was du genommen hast, sag' überhaupt nichts."

    Manzano schwieg nur eine Weile. Nachdem er bei Kelme entlassen wurde, gab er im April 2004 der spanischen Sportzeitung Marca ein Interview. Die Guardia Civil warb ihn als Informanten an. Die Operacion Puerto rollte an.

    Das ist die Titelmusik der populären Sportsendung "El larguero” beim Radiosender Cadena Ser. Am 5. Juli 2006, fünf Tage nach dem Tour-Ausschluss von Jan Ullrich und vielen anderen gibt Eufemiano Fuentes dort ein Interview. Erst kurz zuvor ist er gegen die Zahlung von 120.000 Euro Kaution aus der Untersuchungshaft freigekommen. Fuentes stellt sich den Fragen des Journalisten José Ramón de la Morena. Ist er, der Dopingdoktor, der Täter, der einen Sportbetrug am Laufen hält auf Kosten der Gesundheit der Sportler, seiner Patienten?

    Bei Cadena Ser präsentiert Fuentes eine andere, seine Wahrheit.

    "Ich bin Arzt, und wie jeder professionelle Mediziner will ich die Gesundheit meiner Patienten, Kunden, Sportler schützen. In keinem Moment meiner Karriere habe ich deren Gesundheit geschädigt, ganz im Gegenteil. Das ist meine oberste Priorität. Der professionelle Leistungssport verlangt Anstrengungen, die den menschlichen Organismus überfordern, und das ist, was die Gesundheit schädigt. Professioneller Leistungssport ist nicht gesund."

    Moderator:

    "Aber ist es nicht, dass der Sport deswegen nicht gesund ist, weil Leute wie Sie den Sportlern Dopingmittel spritzen?"

    Fuentes:

    "Nein. Ich habe eine andere Theorie. Ich bin überzeugt, dass der Schaden vorher verursacht wird. Zuerst trainiert der Sportler, er kasteit sich geradezu, treibt seinen Organismus an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Und auf die Dauer treibt ihn das in die Arztpraxis. Und auf dieser Basis stärkt sich der Sportler mit dem, was er wirklich braucht, Medikamenten, die dafür da sind, diese Beeinträchtigungen zu kompensieren. Das kann auch EPO sein."

    Das Psychogramm eines erfolgreichen Sportarztes hat viele Facetten. Viele von denen findet man in der Biografie von Eufemiano Fuentes wieder. Helfersyndrom, Verschleierungstaktik, das Selbstbild der verfolgten Unschuld. Die fehlende Fähigkeit, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Und die seltsame Haltung gegenüber dem althergebrachten Ehrenkodex der Medizin.

    Manuel Pascua Piqueras war einst der Hürden-Trainer von Fuentes an der Universität in Pamplona. Ihre Wege kreuzten sich später noch oft.

    "Er war ein sehr intelligenter Junge, sehr gebildet. Er hat seine Karriere als Mediziner mit Auszeichnung in der prestigeträchtigen Universität von Navarra begonnen. Er studierte dann weiter in Deutschland. Er war in der Schweiz und vielen anderen Ländern. Sein Vater war sehr reich. Der Vater, der Onkel, die ganze Familie, die waren reich. Deshalb konnte er auch in Navarra studieren und in einigen anderen Ländern. Ich erinnere mich, als noch niemand ein Auto hatte, hatte Eufemiano schon einen Sportwagen. Er war ein Kid damals, er hat nichts verdient. Aber es war sein Vater, der das kaufte."

    Fuentes steht danach bald auf eigenen Beinen. Mit 29 wird er Betreuer der spanischen Olympiamannschaft in Los Angeles und anschließend vom spanischen Leichtathletikverband auf Bildungsreise durch halb Europa geschickt. Er besucht Ärzte und Einrichtungen in Polen, Frankreich, Italien und in Halle und Leipzig in der damaligen DDR. Auch an der Sporthochschule Köln macht er Station. Es ist der Anfang einer langsamen, aber zielsicheren Entwicklung hin zu einer intensiven Beschäftigung mit dem Leistungskitzel.

    "Mir scheint, er ist nicht nur Freund von Ferrari. Er war es auch mit ConconiDa wurde Conconi vor das italienische Parlament geladen, 1981 oder so, weil er Skilangläufer mit Bluttransfusionen gedopt hat. Conconi hat das damals gar nicht abgestritten, sondern gesagt, das ist gut für die Athleten. Es sei sogar ganz logisch."

    Ferrari - das ist nicht die Automarke. Das ist der Nachname von Michele Ferrari, Dottore EPO genannt. Lance Armstrongs Dopingdokor. Fuentes findet aber auch Kontakt zu Trainern. Zu den erfolgreichen, was ihm dabei sehr von Nutzen ist:
    "Er hatte ein sehr gutes Gedächtnis. Es gab da eine Zeit, da war er der bestinformierte Arzt aus ganz Europa."

    In einschlägigen Kreisen spricht sich das herum. Und so landet Tyler Hamilton in Madrid, der amerikanische Radrennfahrer, der schon hinreichend Erfahrungen mit Doping hat – als Domestike von Lance Armstrong im US Postal Team. Als er wechselt, bekommt er in seinem neuen Rennstall CSC vom Sportlichen Direktor Bjarne Riis die Telefonnummer von Fuentes.

    "Ich glaube, wir trafen uns irgendwo am Straßenrand zum ersten Mal, haben uns die Hand gegeben und für eine halbe Stunde oder 45 Minuten miteinander geredet. Im März 2002 habe ich ihn das erste Mal aufgesucht. Da war ich drei, vier Stunden und er hat mir zwischen 450 und 500 Kubik Blut abgenommen. Danach bin ich alle vier Wochen nach Madrid."

    Es wird zur Routine. Eine teure Routine.

    "Fuentes kostete Geld. Ich glaube, das waren typischerweise 25.000 Euro im Jahr. Die Dopingmittel kosteten noch mal 10.000 Euro. Schwer zu sagen."

    Fuentes will das Geld in bar und wirkt in der Abwicklung wie ein pingeliger Buchhalter.

    "Jedes Mal, wenn ich ihn besucht habe, habe ich etwas mitgebracht. Bargeld. Er führte Buch darüber, wieviel ich ihm bezahlt hatte. Dann hat er das abgehakt. "Tyler hat 5.000 Euro gebracht.” Oder er hat mich daran erinnert, wenn ich ihn von meinem Geheimtelefon aus angerufen habe. "Vergiss nicht das Geld."

    Das Blut führt ihm Fuentes gewöhnlich während der Ruhetage von wichtigen Rennen selbst zu. Aber es kommt immer wieder zu Patzern. So wird Hamilton 2004 gleich zweimal bei Tests erwischt. Natürlich streitet er ab. Jahrelang. Aber schließlich – unter dem Druck der Ermittlungen der amerikanischen Staatsanwaltschaft gegen Lance Armstrong – gibt er unter Eid alles zu und wird zum Kronzeugen. Auch dafür, wie Fuentes die Gesundheit von Sportlern aufs Spiel setzt.

    Einen so kenntnisreichen Zeugen wie Hamilton hätte die Staatsanwaltschaft in Göttingen sicher gerne gehabt, als sie im Sommer 2006 durch die Ermittlungen in Madrid auf den Namen eines Arztes in Bad Sachsa stößt, auf den Anästhesisten Dr. Markus Choina. Der Anfangsverdacht lautet auf schwere Körperverletzung. Er soll Fuentes mit Arzneimitteln beliefert haben. Oberstaatsanwalt Andreas Buick:

    "Wir haben eine Wohnungsdurchsuchung durchgeführt, bei der auch der Sohn von Herrn Fuentes zufällig vor Ort anwesend war. Auch das für uns ein Anzeichen, dass es also hier Verbindungen gab. Wir haben dann durch die spanischen Ermittlungsbehörden auch Radfdahrer vernehmen lassen. Wir haben von diesen Radfahrern aber nichts erfahren, was im Sinne eines Tatverdachts sinnvoll gewesen wäre."

    Beim Versuch, entscheidende Informationen aus einem beschlagnahmten Fuentes-Computer zu erhalten, laufen die Göttinger jedoch auf:

    "Der spanische Ermittlungsrichter hat das abgelehnt und hat uns diese Daten nicht zur Verfügung gestellt. Da sind wir gescheitert."

    2010, vier Jahre nach Eröffnung des Verfahrens, werden die Ermittlungen eingestellt. Gegen eine Geldauflage von 5000 Euro. Auch das Verfahren in Madrid droht immer wieder in den Mühlen der spanischen Justiz zu versanden. 2007 das erste Mal. Dagegen protestierten Radfahrer zu Beginn des Rennens Paris-Nizza. 2009 besagen Zeitungsmeldungen: Es kommt zum Prozess. Doch wieder wird verschoben. Es dauert bis 2012, ehe ein Termin anberaumt wird. Der zuständige Staatsanwalt Eduardo Esteban hängt etwaige Erwartungen vorsichtshalber sehr niedrig.

    "Die spanische Justiz ist nicht schnell, aber so lange hätte es nicht unbedingt dauern müssen. Es geht hier nicht um die Sauberkeit des spanischen Sports oder des Sports generell. Die müssen schon andere untersuchen, der Sport selbst oder die Medien, nicht die Justiz."

    Das klingt, als sei man in Madrid überfordert, mit dem massiven Sportbetrug im eigenen Land fertig zu werden. Oder ist die schleppende Aufklärung trotz der Ermittlungserfolge der Guardia Civil politisch gewollt? Zumindest teilweise, sagt der langjährige Madrid-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Javier Cáceres. Aber nicht nur: Das spanische Justizsystem zeichne sich durch besondere Trägheit aus. Viele Fälle würden in Spanien regelrecht verrotten.

    "Es ist der Bereich der spanischen Gesellschaft, der nach der Franco-Zeit, also nach dem Umbruch zur Demokratie, eigentlich unberührt geblieben ist. Das ist das eine Problem. Und zum anderen hat man einen Justizapparat, der für die Verfolgung dieser Vergehen keinerlei Handlungsrichtlinien hatte."

    An das Geschehen im Gericht von Madrid knüpfen sich denn auch keine besonderen Erwartungen. Erst recht nicht im Vergleich zum Armstrong-Geständnis und der Arbeit der amerikanischen Anti-Dopingagentur, die bestätigen, was man nur ahnen konnte, als die Guardia Civil 2006 in Aktion trat. Immerhin: Die mehr als 30 geladenen Zeugen könnten einen wichtigen Teil der konspirativen Arbeit hinter den Kulissen des Sports leisten und vor allem die Rolle der Ärzte deutlich machen. In einem solchen Fall hätte die Operación Puerto zumindest etwas erreicht: eine weitere Tür ins Dunkel aufgestoßen.