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Das Studium – ein unbekanntes Wesen

Noch immer schrecken vor allem Kinder aus nichtakademischen Elternhäusern in Deutschland vor einem Studium zurück. Nur 23 Prozent gehen an eine Hochschule, während 83 Prozent der Akademikerkinder auch studieren. Versagt das System, wenn es um Bildungsgerechtigkeit geht?

Von Armin Himmelrath | 15.07.2012
    Die Hochschule Westfalen in Gelsenkirchen. Im Flur der Fachhochschule sitzen zahlreiche Studenten. Auf den Tischen stehen Kaffeebecher neben aufgeklappten Laptops. Engagiert wird über die Inhalte der letzten Vorlesung und der nächsten Klausur diskutiert. Mittendrin sind Dutzende Schülerinnen und Schüler unterwegs. Denn im Moment läuft hier an der Hochschule die Talent-Akademie Ruhr. Zwei Wochen lang können Neuntklässler aus dem Ruhrgebiet in den Ferien schauen, wie das denn so ist an einer Hochschule. In mehreren Projekten erproben sie ihre eigenen Fähigkeiten, gestalten eine Radiosendung, entwickeln Ideen für lebensrettende Produkte oder untersuchen Fischstäbchen. Wissenschaft zum Anfassen ist das für die Schülerinnen und Schüler. Und: Hilfe bei der Berufsfindung.

    "Ich würde gerne einen Studiengang Bachelor of Laws machen. Aber ist noch nicht sicher, ich gehe erst noch in die Oberstufe. Ich bin jetzt noch in der neunten."
    "Also ich möchte später mal Fremdsprachenkorrespondentin werden, weil ich halt sehr extrovertiert und auch gerne mit anderen Menschen rede und auch gerne auf anderen Sprachen spreche. Und deshalb hab ich mir das ausgesucht."
    "Ja, also, ich wollt eher so in die Richtung Event-Manager und Event-Kaufmann."
    "Ich will mein Abi fertig machen auf jeden Fall. Und dann will ich gucken, also da wird sich dann halt ergeben, was ich dann mache."
    "Also, ich möchte Lehrer werden im Fach Französisch und Geschichte. Also vielleicht will ich noch Sozialpädagoge oder so etwas werden."

    Zu den Organisatoren der Talent-Akademie gehört Suat Yilmaz. Der Sozialwissenschaftler hat einen in Deutschland wohl einzigartigen Job: Suat Yilmaz ist Talent-Scout der Fachhochschule Gelsenkirchen.

    "Also was ich mache, ist eigentlich, die Hochschule in die Realität der Schulen hineinzutragen. Das heißt, ich versuche, den Weg von der Schule in die Hochschule so angenehm wie möglich und so erfolgreich wie möglich für die jungen Menschen zu gestalten. Und um das so gut wie möglich zu machen, sind wir sehr oft in den Schulen unterwegs. Wir haben acht Partnerschulen, wo wir regelmäßig vor Ort sind, die Beratung machen."

    Einsteigen, durchsteigen, aufsteigen – so beschreibt Suat Yilmaz seinen Ansatz, Schülerinnen und Schülern neue Bildungswege aufzuzeigen. Denn noch immer schrecken vor allem Kinder aus nicht-akademischen Elternhäusern in Deutschland vor einem Studium zurück. Während von 100 Akademikerkindern 83 an die Hochschule gehen, sind es von 100 Kindern aus nichtakademischen Elternhäusern nur 23.

    Ein Ungleichgewicht, das auch in diesen Tagen wieder zu beobachten ist, wenn die Bewerbungen um Studienplätze für das kommende Wintersemester bei den Hochschulen einlaufen. Wenn der akademische Stallgeruch fehlt, neigen Lehrer und Eltern, aber auch die jungen Menschen selbst dazu, Bildungsgänge mit niedrigeren Qualifikationen anzustreben.

    "Wir sind in Gymnasien unterwegs, wir sind aber auch in Berufskollegs unterwegs. Die Berufskollegs sind wirklich ein Talent-Reservoir meiner Meinung nach, gar nicht so gesehen von der Bedeutung her nicht so wahrgenommen von dem Hochschulsystem, wir sind in Berufskollegs, in Gesamtschulen – wir haben da ‘ne Menge junger Menschen, die teilweise wirklich Potenzial haben und Talente haben, aber vielleicht ein Stück weit Motivation brauchen und auch eine Vision brauchen, wie es weitergeht."

    Genau diese Visionen will Talentscout Suat Yilmaz befördern – auch aus eigener Erfahrung: Als Gastarbeiterkind wurde er auf die Hauptschule durchgereicht. Dort erkannte ein besonders engagierter Rektor das Potenzial des Jungen und sorgte für dessen Rückkehr auf’s Gymnasium. Ein Weg, den Kinder mit Migrationshintergrund viel zu selten gehen.

    "Es fehlen die Vorbilder einfach. Und wenn ich ein junger Mensch bin, 16, 17, 18 – ich hab dann natürlich einen bestimmten Horizont, auch eine bestimmte Informationsstruktur. Und diese Informationsdefizite führen nicht nur dazu, dass sie oft dort landen, wo sie nicht hingehören und wo sie auch ihre Potenziale nicht ausschöpfen können, sondern sie haben einfach Angst und sagen dann: Ich geh dann doch nicht. Ich mach dann was ganz anderes."

    Die Suche nach potenziellen Studenten, sagt Suat Yilmaz, dürfe deshalb nicht erst in der Oberstufe erfolgen. Da seien zu viele Bildungsentscheidungen längst gefallen, und im Zweifelsfall seien gute Talente dann schon lange in eine Berufsausbildung abgewandert. Die Talentsuche müsse früher beginnen – und deshalb richtet sich die gerade laufende Talent-Akademie auch schon an Neuntklässler. Für den Bildungsforscher Horst Weishaupt vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt belegen solche Schilderungen ein strukturelles Problem – die fehlende Bildungsgerechtigkeit. Denn längst nicht jeder hat die gleichen Bildungs-Möglichkeiten.

    "Das ist ein zentrales Thema. Gerade im Hinblick auf die individuelle Entfaltung der einzelnen Personen, dass sie eben auch gleiche Chancen und gleiche Bildungsmöglichkeiten haben, weil sie eine ganz wichtige Grundlage für die gesellschaftliche Integration darstellen."

    Diese Integration aber, so Horst Weishaupt, gelingt in Deutschland derzeit nicht. Denn wenn es um Bildungsgerechtigkeit geht, versagt das System. Ein Befund, der auch von anderen Forschern bestätigt wird, etwa in den regelmäßigen PISA-Untersuchungen der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Und ein Befund, den Talent-Scout Suat Yilmaz nicht mehr hinnehmen will.

    "Ich glaube, dass die Hochschulen viel, viel stärker mit den Schulen zusammenarbeiten müssen. Die Schulen sind unsere Zulieferer. Und wir müssen viel stärker mit unseren Zulieferern sprechen. Wir müssen schauen, woran hakt es, warum klappt es nicht so gut. Oder, wenn es gut klappt: Wie können wir das übertragen auf andere Schulen? Und wir als Hochschule müssen uns auch umstellen und uns weiter ins Umfeld rein bewegen. Wir müssen auch stärker als Bildungsakteur auftreten. Und das machen wir auch. Ein Grund, warum das auch sehr gut klappt, ist, dass die Hochschulleitung dahinter steht."

    Die Hochschule Westfalen gehört zu den fortschrittlichsten deutschen Hochschulen, was die Umsetzung von Bildungsgerechtigkeit angeht. Zum einen versucht sie auf diese Weise, ihre eigene Zukunft zu sichern, indem schon heute massiv um die Studenten von morgen geworben wird. Darüber hinaus nennt Präsident Bernd Kriegesmann dafür aber auch historische Gründe.

    "Wir haben ja hier im Ruhrgebiet seit gut 50 Jahren überhaupt erst eine akademische Landschaft mit Universitäten und Fachhochschulen, die damals gegründet wurden mit dem Ziel, hochschulferne Schichten in auch akademische Karrieren zu integrieren. Und das Thema ist noch nicht abgeschlossen. Wir haben heute noch viele Talente, die wirklich auch ihren akademischen Weg, unter anderem an unserer Hochschule, gehen könnten - und würden eigentlich nie, wenn wir uns nicht aktiv um diese jungen Menschen bemühen würden, würden nie den Weg in die Hochschule finden."

    Dabei ist die Hochschule schon relativ weit gekommen: Von den in Gelsenkirchen eingeschriebenen Studenten hat gerade noch ein Drittel den klassischen Weg über das Abitur am Gymnasium hinter sich – zwei Drittel dagegen kommen auf anderen Wegen an die Hochschule. Sie sind erst von der Haupt- oder Realschule in eine gymnasiale Oberstufe gewechselt, kommen von Berufskollegs, bringen eine Lehre mit oder haben ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg erworben. Und trotzdem, sagt Hochschulpräsident Bernd Kriegesmann, gebe es immer noch zu viele Schüler, die aus falschem Respekt einen großen Bogen um seine Hochschule machten.

    "Wir merken, dass gerade viele junge Menschen sich diesen Weg selbst zum offenen Tag, selbst die Hochschule mal nur anschauen, ohne direkten Kontakt, dass diese Barriere für viele noch viel zu groß ist. Und wir sprechen mit jungen Menschen, arbeiten sehr eng mit Schulen zusammen, die uns auch sagen: Hier, da hat jemand das Potenzial, aber zum Beispiel vom Elternhaus darf der gar nicht oder die nicht studieren. Und dann sagen wir: Diese Talente, die wollen wir gerne haben und an die Hochschule holen."

    Doch warum sind für manche Familien die Hürden so hoch? Woher kommt die Scheu davor, die eigenen Kinder auf eine Fachhochschule oder Universität zu schicken und ihnen damit ganz neue Bildungswege zu eröffnen?

    "Das hat natürlich zum Teil finanzielle Gründe. Das hat aber auch den Grund, dass man in seinem familiären Hintergrund, in seinem sozialen Umfeld überhaupt niemanden hat, der einmal sagen kann: Das ist Hochschule, das fühlt sich so an. Das kann man schaffen! Und genau diese weichen Faktoren haben ganz harte Konsequenzen für viele junge Menschen."

    Dass Kinder aus Nichtakademikerfamilien noch immer relativ selten studieren, das wissen mittlerweile auch Bildungspolitiker. Ties Rabe ist Senator für Schule und Berufsbildung in Hamburg und amtierender Präsident der Kultusministerkonferenz. Im Selbstverständnis der Schulen, meint der SPD-Politiker, sei die Berufsorientierung und damit auch der Blick auf ein mögliches Studium erst eine ziemlich junge Errungenschaft.

    "Es war lange Zeit im deutschen Schulwesen so nicht üblich, da endete die Schule mit dem Abschluss und dann musste jeder sehen, wie er weiterkam. Hier gibt es einen Wandel, aber der muss noch weiter ausgebaut werden."

    Besonders schwer falle dieser Wandel da, wo die ausgetretenen Pfade verlassen werden. Also etwa dann, wenn es darum geht, auch einmal an einer Realschule oder gar Hauptschule über die Option Studium nachzudenken.

    "Natürlich ist es dann auch zeitlich alles sehr schwer zu organisieren. Da müssen Lehrerinnen und Lehrer Kontakt mit Hochschulen aufnehmen, da muss es ein Austauschprogramm geben und das alles unter natürlich auch einer Zeiteffizienz. Das ist etwas mühsam, da können allerdings auch Kultusministerien helfen, indem sie eine Art Blaupause liefern für so eine Zusammenarbeit."

    Eine Zusammenarbeit, bei der auch die Eltern mit einbezogen werden müssen. Denn auch dieser Faktor ist entscheidend: Können sich die Eltern überhaupt vorstellen, dass ihr Kind studiert? Der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe.

    "Der Rückenwind der Familie entscheidet im Großen und Ganzen darüber, was die Schülerinnen und Schüler nach der Schule machen. Und wenn es eine Familie ist, die mit Studium noch nie etwas zu tun gehabt hat und das als fremde Welt begreift - übrigens muss man da nicht nur an Menschen mit Migrationshintergrund denken, sondern auch an ganz viele andere Familien - dann ist so viel Skepsis in der Familie, dass man sich als Schüler mit einem guten Abschluss schon mächtig trauen muss, um diesen Weg dann trotzdem zu gehen."

    Ein Befund, den auch der Frankfurter Bildungsforscher Horst Weishaupt bestätigt.

    "Das ist natürlich vor allem deshalb schwierig, weil auch die ökonomische Lage dieser Familien natürlich schwierig ist und sie Vorbehalte haben dagegen, langfristige Bildungserfordernisse dann auch finanzieren zu müssen. Diese ökonomischen Restriktionen sind da natürlich ganz stark."

    Nach Zahlen des Deutschen Studentenwerks braucht ein Student in Deutschland knapp 800 Euro pro Monat, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. In den Bundesländern, die Studiengebühren erheben, sind es noch einmal 83 Euro mehr.

    "Dann gibt es natürlich auch kulturelle Distanzen, die da als Hindernisse wirksam werden. Und das ist ja eben gerade ein zentrales Problem, das wir gesellschaftlich haben, dass wir auf die Erziehungsleistung der Familien gesellschaftspolitisch kaum einen direkten Einfluss haben. Deshalb konzentriert sich die Bildungspolitik natürlich auch auf Maßnahmen, die innerhalb der Bildungseinrichtungen getroffen werden. Oder man versucht die Jugendlichen eben auch in Bildungseinrichtungen zu bekommen."

    Letztlich, sagt Bildungssenator Ties Rabe, müssten er und seine Kollegen in den Schul- und Wissenschaftsministerien schon deutlich früher ansetzen. Wer den Anteil von Arbeiterkindern an den Hochschulen steigern möchte, müsse bereits früh genug beginnen.

    "Dazu zählt beispielsweise der Ausbau der Plätze in den Kindertagesstätten, dazu zählt der Ausbau der Ganztagsangebote, und dazu zählen spezielle Förderangebote, die gerade diese Schülerinnen und Schüler brauchen. Ich sage mal als Stichwort: Sprachförderung und weitere Angebote. Ich glaube, das ist ein Portfolio von Maßnahmen, an denen auch auf jeden Fall weitergearbeitet werden muss, um am Ende eben dafür zu sorgen, dass es nicht mehr so viele Bildungsverlierer gibt."

    Doch auch bei einem verbesserten Schul- und Bildungssystem bleibt die Familie das prägende Element für die eigenen Bildungswege – so hat das auch Christin Gerber aus Bochum erlebt. Zwar hatte ein Großonkel mal studiert, doch das war der einzige Verwandte mit akademischem Abschluss. Und als die heute 23-Jährige ihren Eltern zum Ende der Schulzeit verkündete, sie wolle Medizin studieren, mussten die erst einmal schlucken.

    "Begeisterung habe ich nicht damit ausgelöst. Das ist einfach auch schwierig zu verstehen, überhaupt so dieses ganze Uni-Umfeld, dass man auch von so einem Tag in der Uni müde sein kann und angestrengt, auch wenn man nicht richtig gearbeitet hat, in Anführungsstrichen. Das war schon ziemlich schwierig, und eben weil auch niemand was mit diesem medizinischen Kram anfangen kann, war da eigentlich sehr viel, ja, nicht Ablehnung, aber, es wäre schon schöner gewesen, wenn ich etwas anderes gemacht hätte. Bevorzugt eine Ausbildung, mit der ich direkt Geld bekommen hätte und so."

    Heute ist Christin Gerber im sechsten Semester ihres Medizinstudiums an der Ruhr-Universität in Bochum. Die Skepsis ihrer Eltern hat sich etwas gelegt, auch wenn sie noch nicht ganz verschwunden ist. Auch sie selbst habe eine ganze Zeit lang gebraucht, bis sie sich in der fremden akademischen Welt der Universität zurecht gefunden habe, sagt die 23-Jährige.

    "Wenn ich mich daran zurückerinnere, als ich angefangen habe zu studieren, war einfach schon dieser große Campus und all die Leute, die halt total zielstrebig genau zu wissen scheinen, was sie machen wollen und wo sie hin müssen. Und ich bin da so das kleine Licht, was gar nicht genau weiß, wo es jetzt eigentlich lang geht."

    Aus solchen Erfahrungen heraus entschied sich Christin Gerber für ihr Engagement bei der Initiative arbeiterkind.de. Die wurde vor vier Jahren von einer Berliner Studentin gegründet, die als Nicht-Akademikerkind Ähnliches erlebt hatte. arbeiterkind.de versucht, mit ehrenamtlichen Mentoren vor Ort vor allem die Informationshürden vor einem Studium abzubauen und Kinder, die als erste in ihrer Familie ein Studium aufnehmen wollen, zu unterstützen. Christin Gerber ist mittlerweile selbst als Mentorin für arbeiterkind.de in Bochum aktiv.

    "Das sieht so aus, dass wir Schulveranstaltungen machen in den weiterführenden Schulen in den Oberstufen, dass wir Präsentationen vor den Klassen halten und sagen: Warum lohnt es sich zu studieren? Was kann ich studieren? Wie finanziere ich das? Weil das einfach so die größten Punkte sind, die den Schülern Sorgen machen. Und was auch noch ein ganz wichtiger Punkt ist: Per E-Mail kriegen wir ganz, ganz viele Anfragen zu den unterschiedlichsten Themen teilweise auch schon sehr spezielle Sachen: Ich möchte mich für ein Stipendium bewerben, und ich weiß nicht, was ein Motivationsschreiben ist – solche Sachen. Das ist ganz vielseitig."

    Auch Elke Völmicke berät Schülerinnen und Schüler bei solchen Fragen. Sie ist Geschäftsführerin bei bildung & begabung, einer bundesweiten Initiative zur Talent- und Begabungsförderung, die auch vom Bund unterstützt wird. Dabei steht die individuelle Förderung des einzelnen Schülers und seiner ganz persönlichen Talente im Fokus. Deswegen unterstützt die Initiative auch die Talent-Akademie an der Hochschule Westfalen. Diese könne wichtige Impulse liefern, sagt Elke Völmicke.

    "Wir nennen das ja: Stärkung der Selbstkompetenz. Das Selbstbewusstsein, den Anspruch zu haben: Ich will mich weiterentwickeln, das ist oft nicht da. Also, das war ganz schön, ein Absolvent der ersten Akademie sagte am Ende: Ich lasse mir jetzt nie mehr sagen, dass ich etwas nicht kann! Und diesen Impuls zu geben, dass jemand mit dem Selbstbewusstsein dann weitermacht – ja, das ist genau unser Ziel."

    Aktivitäten wie die der Hochschule Westfalen in Gelsenkirchen könnten dabei aber nur ein Anfang sein, sagt Elke Völmicke. Entscheidend sei letztlich ein Umdenken bei allen, die an den Entscheidungen über Bildungswege von Kindern und Jugendlichen beteiligt seien.

    "Und ich glaube, das Bildungssystem muss auch dahin kommen, sozusagen ressourcenstärkend zu fördern. Das heißt: Nicht zu gucken, ich habe ein Ziel und da gibt es viele Defizite bei den Jugendlichen, die müssen wir kompensieren, sondern mehr das, was jeder mitbringt, stark zu machen, das Selbstbewusstsein zu stärken, Instrumente an die Hand zu geben, um dann eigenständig einen Weg zu entwickeln."

    Dass bei der aktuellen Talent-Akademie 30 Schüler aller Schularten freiwillig zwei Wochen ihrer Ferienzeit nutzen, um an der Hochschule in Gelsenkirchen zu forschen und zu lernen, sei da ein tolles Signal, meint Völmicke – und ein Modell dafür, wie auch andere Hochschulen Brücken bauen könnten. Und es gibt weitere Aktivitäten – etwa die Vorbilder-Akademie, die bildung & begabung im vergangenen Jahr zum ersten Mal in Bayern durchgeführt hat, mit einem noch stärkeren Fokus auf eine ganz bestimmte Zielgruppe.

    "Es geht darum, junge Migranten zusammenzubringen und sie bekannt zu machen mit Vorbildern in dem Sinne, dass wir hier Menschen haben, die auch eine Einwanderungsgeschichte haben, sich aber schon sehr erfolgreich eine Bildungsbiografie entwickelt haben. Diese Menschen bringen wir mit den Jugendlichen ins Gespräch, die Jugendlichen werden in der Akademie selber zu Vorbildern, präsentierten also: Was können sie besonders gut? Und vor allen Dingen haben sie die Möglichkeit, viel darüber zu erfahren: Wie funktioniert das Bildungssystem? Wie kann ich mich bewerben? Was sind auch Entwicklungsmöglichkeiten im Beruf, in der Universität?"

    Wenn sie als Medizinstudentin zur Beratung an eine Schule fahre, dann sei sie für viele Schüler schon so etwas wie eine Botschafterin aus einer anderen Welt, erzählt Christin Gerber von arbeiterkind.de.

    "Da geht’s gar nicht mal so sehr darum, wirklich denen zu erklären, was ist BAföG und wie läuft das alles, sondern mehr: Es gibt Möglichkeiten, Ihr könnt das machen. Und dass wir selber als Mentoren als Vorbilder am Ende vorne stehen und eben sagen: Wir haben das gemacht. Wir sind ein Beispiel dafür, dass es geht. Und wenn irgendwann noch einmal etwas ist, dann könnt ihr euch bei uns melden."

    Eine Offerte, die vielen Schülern Sicherheit gibt. Natürlich, sagt Christin Gerber, seien Aktivitäten wie ihre eigene Arbeit als Mentorin von arbeiterkind.de nur kleine Schritte auf einem Weg zu einer besseren Bildungsbeteiligung. Aber im Netzwerk mit anderen Initiativen gebe es doch erste sichtbare Erfolge in Sachen Bildungsgerechtigkeit. Und vor allem gebe es Mut machende Erlebnisse.

    "Wenn man von den Schülern und Studentinnen dann mal ein Feedback kriegt, die melden sich nicht immer... aber wenn sie sich dann melden: Bevor wir mit euch gesprochen haben, hatten wir keine Ahnung, und jetzt studieren wir, oder: Ohne euch hätte ich das Motivationsschreiben gar nicht so gut hingekriegt - das ist schon toll, und das sind eigentlich auch die besten Momente. Wenn man eben diese Rückmeldung kriegt, dass es irgendetwas nützt, was wir machen."