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Das Suchen und Finden der Liebe

Enttäuscht von ihrer neunjährigen Beziehung zu Leo, kehrt Rosalynn Barry in ihre Heimat Irland zurück und taucht in die Vergangenheit ein.

Von Imogen Reisner | 03.03.2011
    Die irische Journalistin, Schriftstellerin und Kolumnistin Nuala O'Faolain wurde in Dublin geboren und wuchs in einer kinderreichen, bitterarmen Familie auf. Sie war das zweite von neun Kindern, Tochter eines Lokaljournalisten und einer leidenschaftlich lesenden Mutter. Die Eltern waren mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert und verbrachten die meiste Zeit in den Pubs, anstatt sich um ihren Nachwuchs zu kümmern. Der Treibstoff ihres Alltags war Alkohol, der auch das Leben der aufgeweckten Tochter von Anbeginn begleitet. Doch während Nuala es schafft, sich mit ihrer Energie, einer akademischen Ausbildung und mit Unterstützung von außen aus ihrem Milieu zu befreien, erholen sich einige ihrer acht Geschwister nie mehr im Leben von der tiefen Vernachlässigung, die sie in ihrem Elternhaus erfahren haben.

    Das sind Wurzeln, die man nicht einfach abschütteln kann. Und die man als Leser kennen sollte, um Nuala O'Faolains Schreiben zu verstehen. Denn das eigene Leben, die autobiografische Selbstvergewisserung, war das lebenslange Projekt der irischen Autorin. Themen ihrer Romane und Selbstbetrachtungen sind die freudlose Kindheit, Alkoholprobleme, Liebes- und Leidensgeschichten, die Einsamkeit und das Älterwerden in einer Gesellschaft, die Frauen ab Fünfzig unter dem Gesichtspunkt körperlicher Anziehung aus dem Sortiment gestrichen hat. Nuala O'Faolain, eine moderne, weit gereiste Frau, die zeitlebens gegen die erzkonservativ geprägte Frauenrolle ihrer irischen Heimat rebelliert, leidet unter dem Ansehensverlust sexueller Attraktivität als älterer Frau. In ihren Büchern spricht sie darüber - deutlich, konkret und ungeschminkt. Das ist ihr Markenzeichen: ihre direkte, lebendige Darstellungsweise, vor allem ihre schonungslose Aufrichtigkeit und die selbstkritische Unbedingtheit, mit der sie ihre Erlebnisse und Erfahrungen beim Namen nennt.

    Auf dem deutschen Buchmarkt wurde O'Faolain mit ihren Büchern Nur nicht unsichtbar werden und Ein alter Traum von Liebe einem breiten Publikum bekannt. Als die zwischen der Alten und der Neuen Welt, zwischen New York und der irischen Provinz, pendelnde Autorin erfährt, dass sie Krebs hat, der sich bereits in andere Organe abgesiedelt hat, lehnt sie eine chemotherapeutische Behandlung ab. Sie lege keinen Wert auf die Zeit, die sie mit einer solchen Therapie gewinnen würde, bekennt sie in einem Interview kurz vor ihrem Tod. Seitdem sie erfahren habe, dass sie bald sterben müsse, sei das Beste aus ihrem Leben verschwunden. Es ist die einem Leben ohne Todesdatum innewohnende essentielle Qualität. Als Beispiel nennt sie den Zauber, den ihr die Lektüre Marcel Prousts verschafft habe: der sei ihr nun für immer abhanden gekommen.

    Am 9. Mai 2008 stirbt Nuala O'Faolain mit 68 Jahren in ihrer Geburtsstadt Dublin.

    Ihr letzter Roman, 2009 posthum in London erschienen, trägt im englischen Original den Titel Best love, Rosie. Es ist die Schlussfloskel, mit der die Protagonistin Rosie ihre E-Mail-Korrespondenz mit ihrem Freund Mark endgültig beendet.

    In der deutschen Übersetzung heißt Nuala O'Faolains literarisches Vermächtnis Dunkle Tage, helles Leben. Es erzählt die Geschichte von Rosaleen Barry, einer Frau Ende Fünfzig, die in den vorausgegangenen Jahren ein abwechslungsreiches berufliches Leben geführt und auf wechselnden Kontinenten gelebt und geliebt hat. Nun findet sich Rosie, wie sie von ihren Freunden genannt wird, in den Niederungen der irischen Provinz wieder. Die Ereignislosigkeit und die Melancholie ihrer Heimat, konfrontieren sie nun unausweichlich mit ihrer Vergangenheit, der sie stets aus dem Wege gegangen ist. Hinzu kommen Frustration und Einsamkeit, Tribute an das Alter, die Rosies soziales Leben auf Sparflamme setzen.

    Während sie allein an einem alten Küchentisch sitzt, lediglich in Gesellschaft der mürrischen schwarzen Katze ihrer Tante, und ihr Leben Revue passieren lässt, macht sie sich weis, sie sei aus Gründen der Fürsorge für ihre alte Tante Min nach Irland zurückgekehrt, die allein ist und Hilfe braucht.

    Dieser Gedanke entpuppt sich schnell als schlecht kaschierter Selbstbetrug, denn Min, die Rosie großgezogen hat, verfolgt ganz andere Pläne. Sie, die ein Leben lang aus Verantwortung für die anvertraute Nicht auf die Erfüllung eigener Bedürfnisse verzichtet hat, will nun endlich ihre Träume verwirklichen. Von Rosie kurzzeitig in ein Altersheim abgeschoben, setzt Min auf äußerst eigenwillige Weise durch, dass sie mit dem nächsten Flieger nach New York entschwinden kann.

    So kehren sich unvermutet die wahren Lebensverhältnisse um, denn die alte Min wird aus New York nicht mehr zurückkehren, um ihrer Nichte beizustehen. Rosie muss nun die Herausforderungen der eigenen Geschichte allein meistern.

    In fünf großen Kapiteln, die sich in wechselnde Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart gliedern, erzählt Dunkle Tage, helles Leben von den Auswirkungen der unterschiedlichen kulturellen Prägungen in der Neuen und der Alten Welt und von den Erfahrungen, die die Weltenbummlerin Rosie alias Nuala O'Faolain als Pendlerin zwischen den beiden Welten gesammelt hat.
    In der Einleitung heißt es dazu:

    Was tut die Neue Welt mit einer Frau und für eine Frau, die von der Alten Welt geprägt ist?
    In Irland hat eine kinderlose, alternde Frau keine Funktion mehr in der "Stammeskultur" und muss sich selbst Rechtfertigungen ausdenken.


    Von neuen Gründen des Glücks, von Schmerzen auch, von den Chancen des Sich-Wandelns bis zum letzten Atemzug und von den vielfachen Schattierungen zwischen Schwarz und Weiß, die das Leben zu bieten hat, handelt das literarische Vermächtnis O'Faolains. Es ist ein barocker Reigen von Erinnerungen: schwelgerisch, melancholisch, selbstironisch, illusionslos. Eine lange Geschichte über das Unterwegssein, bis das Innehalten unausweichlich wird.

    Im Gespräch mit ihrem alten Schulkameraden Mark stellt Rosie fest:

    Die Phase des Lebens, in der man sich selbst noch als jung empfindet, während alle anderen das schon längst komplett anders sehen, hat nichts Witziges, wenn der eigene Tod immer näher rückt. Zu den Dingen, die ich lernen will, gehört auch, wie man sich von der Welt verabschiedet.

    Mit ihren lebhaften Schilderungen vom hellen Leben in dunklen Tagen hat sich Nuala O'Faolain in einer ihr angemessenen Weise von der Welt und ihren Lesern und Leserinnen verabschiedet: schmerzhaft ehrlich und mit ungebremster Leidenschaft für das Leben.

    Nuala O'Faolain: Dunkle Tage, helles Leben. Roman
    Aus dem Englischen von Adelheid Zöfel, Diana Verlag, München 2010
    464 Seiten, 19,95 Euro