Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


"Das System 2/Unter Eis"

Drei Männer sitzen hinter einem hochglänzend lackierten schwarzen Konferenztisch, einer Tafel, die so glatt ist, dass jedes Papier, das mit nonchalantem Elan auf die Fläche lanciert würde, in unaufhaltsamen Segelflug über den Rand gleiten und auf den Boden abstürzen müsste, eine Tafel, auf der eigentlich nichts Bestand hat, kein Vertrag vereinbart werden könnte. Sie ist eher so etwas wie ein Altar, auf dem jeder den anderen am liebsten als Opfertier schlachten würde, als Verlierer des Kampfes jeder gegen jeden.

Von Eberhard Spreng | 16.04.2004
    Tatsächlich lässt der inszenierende Autor den jüngsten der Männer auf Eiswürfeln über den Tisch rutschen, als wäre der eine Robbe auf einem glattpolierten Felsen. Der Mann hat sich, als Tagtraum im harten Alltag einer Beraterfirma, das Leben einer Robbe vorgestellt, die verloren in den Weltmeeren, eines Tages heimkehrt in den Schoß einer Gruppe, einer Firma, die ihn voller Sympathie in sich aufnähme, in einen Schutzzusammenhang. Aber das ist nur eine der kitschigen und musicalberauschten Tiergeschichten, die sich die Herren zur naiven Rettung ihrer gequälten Seelen in ihrer kurzen Freizeit ausdenken. Denn ihr eigentliches verschleißintensives Berufsleben setzt sich aus Performance, Creativity, Case-Study, Pressure-Handling, Businesslounge und Bonusmeilen zusammen, und ihre Arbeit besteht im Wesentlichen darin, möglichst viel und schnell Personal wegzurationalisieren, bis sie sich selbst, quasi als dem letztem Mitarbeiter, als dem letztem zu lösenden Problem gegenüber stehen.

    Falk Richters Stück "Unter Eis" ist ein Stück über das Verschwinden, das Erstarren in Eisschichten, über die Agonie in der Kälte. Und seine etwas angestrengte Grundmetapher hierfür ist der Fall einer Katze, die aus einem hohen Gebäude geschleudert einer zufrierenden Wasserfläche entgegenfällt, bevor sie in ewiger Erstarrung fossilisiert. Am Ende der Aufführung sehen wir Nachtbilder einer modernen Stadtlandschaft, und hören wie vom Gespräch der Waren die Rede ist, von Fernsehern und Autos, die in einer nunmehr menschenleeren Welt ihr Kreise drehen oder ihre schönen Bilder zeigen.

    Ein in die Apsis der Schaubühne projiziertes Panorama einer gläsernen Passage, in die man wie mit einem Zoom langsam hineinzufahren scheint, ohne je irgendwo anzukommen, gehört zu den schönsten Bildern des existentiellen Elends, das die neue Schaubühne seit ihrem Neuanfang vor wenigen Jahren vorgeführt hat. Falk Richter denkt, lakonisch und böse ironisch, die Logik zuende, mit der eine modische Horde von smarten Schwätzern, in ihrer merkwürdigen Mischung aus Psychologie, BWL, New Age, und krudem Darwinismus auf gewachsene Erwerbsgesellschaften losgeht.

    Was sich, als parasitärer Alibilieferant für Entlassungswellen, als Pseudo-Überbau, als Ersatz-Philosophie in der Administration der kapitalistischen Gesellschaften breit gemacht hat, könnte man als die späte Rache der Wirtschaftsfakultäten für die lange politische Vorherrschaft der linken Theorie in den Philosophie und Sozialwissenschaften vergangener Jahrzehnte begreifen; konsequenterweise nennt der Autor die Szene mit der Flammrede seines 35-Jährigen Consulters Karl Sonnenschein in zynischer Anlehnung an einen alten linken Spruch "Eine andere Welt ist möglich".

    Sonnenschein, der aggressive Apologet, steht im Alter zwischen dem kindlich-verspielten Aurelius Glasenapp und dem mit über vierzig schon zum alten Eisen gehörenden Paul Niemand, der von Thomas Thieme verkörpert wird. Mit diesen drei Männern hat Falk Richter ziemlich genau Schattierungen in der Generationenfolge erfasst, deren Biopower derzeit an den High-Speed-Arbeitsplätzen verschlissen wird. Vor allem ist ihm, nach den Jahren der popigen Verblendung und Verdrängung auf dem Theater ein gutes, böses, witziges und trauriges Stück Ideologiekritik gelungen.