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Das treibende Floß. Kubanische Kulturpassagen

Das Treffen mit Iván de la Nuez fand in einem hochherrschaftlichen Palast statt - dem Palacio de la Virreina, einem klassizistischen Museum mit wunderschönem Patio an den Ramblas von Barcelona. De la Nuez ist seit einiger Zeit Direktor dieses Museums, das im letzten Jahr eine beachtliche Ausstellung über die Erotik in den Weltkulturen veranstaltete. Schon zu Beginn unseres Gesprächs verdeutlichen sich die intellektuellen Interessen des Exilkubaners. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Buch von Peter Sloterdijk. Das mag verwundern, bedenkt man, dass in den karg ausgestatteten Buchläden in Havanna kaum mehr als die Reden Castros und die Schriften von Che Guevara und José Martí zu finden sind. Iván de Nuez erzählt, wie er die westeuropäische Philosophie entdeckt hat:

Klaus Englert | 07.03.2002
    Nachdem die gesamte Kulturbewegung zerschlagen wurde, gingen viele ins Exil, aber auch ins innere Exil. Mit befreundeten Künstlern wanderte ich zunächst nach Mexiko aus, später nach Barcelona, um mich an der Philosophischen Fakultät mit der lateinamerikanischen Moderne und Postmoderne zu beschäftigen. In meinen Aufsätzen ging es mir unter anderem darum, Michel Foucault auf Kuba bekannt zu machen. Aber der strenge Stalinismus hat dies bis heute verhindert.

    Wer denkt, die Postmoderne sei ausschließlich auf Westeuropa und Nordamerika anwendbar, täuscht sich. In seinem Buch Das treibende Floß beschreibt Iván de la Nuez den kubanischen Sozialismus als die verblichene Utopie altgewordener Stalinisten. Als die fixe Idee von Parteiideologen, die nicht wahrhaben wollen, dass ihr Kuba vom Strudel der Globalisierung fortgerissen wurde - nicht nur von der "Dollarisierung der Kultur". Im Gespräch erwähnt de la Nuez, dass es ihm um die Analyse dieser Situation gegangen sei. Und dass er sich deswegen die Philosophie eines Michel Foucault, Gilles Deleuze und Roland Barthes, aber auch die Theorie eines Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas angeeignet habe.

    Mich interessiert, welche Auswirkungen der Fall der Berliner Mauer, der Postkommunismus und die Widersprüche der Globalisierung auf Kuba haben. Diese Themen haben mit der Postmoderne zu tun. Die Frage ist also: Wie verhält sich Kuba dazu?

    In seinem Buch Das treibende Floß mit dem Untertitel Kubanische Kulturpassagen beschreibt Iván de la Nuez seine einstige Heimat als eines der Länder mit dem höchsten Anteil an Exilierten: Knapp ein Fünftel der Bevölkerung - zum großen Teil Künstler und Intellektuelle - lebt im Exil. De la Nuez beschreibt diese Menschen als die wahren Globalisierungskünstler: Sie haben Heimat und Nation verloren, um sich wie einst die Juden in der Diaspora einzurichten. Sie folgen allesamt den Heroen des lateinamerikanischen Kontinents, die das Reich ihrer Utopien erschlossen hatten: Kolumbus, Alexander von Humboldt und Fitzcarraldo. Also jenen Kartographen, die neue Länder entdeckten und alte Grenzen verschoben. Die - um mit dem Philosophen Gilles Deleuze zu sprechen - der Fluchtlinie der Deterritorialisierung gefolgt sind. Für Iván de la Nuez sind die Exilkubaner die wahren Erben dieser Heroen. Folgerichtig spricht er von der "Transterritorialität der kubanischen Kultur". Dies will besagen: Die nationale Kultur ist nicht mehr auf das Staatsgebiet beschränkt. Das Zentrum ist verlorengegangen. Deswegen beschreibt Das treibende Floß etwas, was man die Zerstreuung der cubanidad nennen könnte: Die Verlagerung der kubanischen Kultur weg vom Zentrum, ihre Ausbreitung auf die verschiedenen Kontinente.

    Natürlich geht Iván de la Nuez in seinem Buch auch auf Miami - die Insel des Anticastrismus und "letzte Festung des kalten Krieges" (135) - ein. Als wolle man die Auflösung der kubanischen Kultur aufhalten, haben sich in Miami - ähnlich wie im offiziellen Kuba - die wahren Verteidiger der Nation versammelt:

    In Miami vereinigt der kubanische Nationalismus Revolutionäre und Konservative. Sie ähneln sich in ihren Werten und in ihrem Verständnis von der kubanischen Nation.

    Für Iván de la Nuez ist dieser Nationalismus immer mit dem Glauben an die Einzigartigkeit der eigenen Nation verbunden. Ebenso mit der Überzeugung, dass sich ein Volk durch die Errichtung der Nation allererst als etwas Identisches hervorbringt. In unserem Fall meint dies die Unabhängigkeit, die Kuba 1897 von Spanien erlangt hatte.

    Für Kuba war das 20. Jahrhundert sehr autoritär. Dies gilt sowohl für das offizielle Kuba als auch für Miami. Stets ging man - gleichgültig ob Liberale, Konservative oder Marxisten - von einem rigiden Nationalismus-Verständnis aus. Dagegen setze ich meine Kritik des Nationalismus - als einer konstruierten, fiktiven Identität, die nur vorgibt substantiell und essentiell zu sein. In Wirklichkeit ist diese Nationalkultur nichts weiter als eine politische Manipulation.

    Iván de la Nuez beschreibt Miami als multi-ethnisch, aber rassistisch. Währenddes-sen wird auf Kuba immer wieder der Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien beschworen. Natürlich sieht Iván de la Nuez in diesem verbissenen Nationalismus keinen Ausweg. Gegenüber den festgefahrenen Identitäten setzt er die Fragmentierung der Territorien und des Ich. Und wie sieht er sich als Exilkubaner?

    Mein Leben ist zerstreut in verschiedenen Städten, Plätzen und Erfahrungen. Ich bin Kubaner, aber neben vielem anderen.

    In dieser Fragmentierung sieht Iván de la Nuez keineswegs eine Gefahr. Ganz im Gegenteil. So sollten sich die Linken endgültig von der liebgewordenen Vorstellung verabschieden, es gäbe so etwas wie eine lateinamerikanische Identität - eine von Nordamerika genau abgegrenzte kulturelle und ideologische Topographie. Nein, im Zeitalter von Postmoderne und Globalisierung gilt es, diesen heiligen Tempel, der einst von Simón Bolívar und José Martí errichtet wurde, aufzugeben. Selbst die Hispanität gilt heute unter den Lateiname-rikanern nicht mehr als allgemeines Identitätsmerkmal. So berichtet de la Nuez von dem Exilkubaner Oscar Hijuelos, der in seinem Roman Die Mambo Kings spielen Songs der Liebe eine durch und durch lateinamerikanische Geschichte auf Englisch erzählt. Ein anderes Beispiel ist die Künstlerin Ana Mendieta, die mit dem Bildhauer Carl André im New Yorker Exil lebte, bis sie ihrem Leben ein dramatisches Ende setzte. Über Mendietas Werk, das deutliche Bezüge zur earth art aufweist, schreibt de la Nuez, es schwanke zwischen der ursprünglichen Welt und der Moderne, zwischen dem Lateinamerikanischen und dem Nordamerikanischen, zwischen Unsterblichkeit und Tod, zwischen Kunst und Leben. Dieses Aufeinandertreffen verschiedener Welten interpretiert er als Signum der Postmoderne. Und als Chance im Zeitalter der Globalisierung:

    Mir geht es um die Öffnung der Horizonte. Als ich noch im Kommunismus lebte, war für mich die Metapher des Ortes bestimmend: der geschützte, bewachte und sichere Ort. Seitdem ich die Erfahrung des Exils mache, ist mein Verhältnis zum Ort von Wechselfällen geprägt. Ich empfinde dies aber nicht nur als Verlust, sondern auch als Gewinn - als Gewinn von Möglichkeiten.

    Und warum heißt der Titel des Buches Das treibende Floß ? Der deutsche Leser müsste wissen, dass der Originaltitel La balsa perpetua heißt: "Balsas" sind selbstgezimmerte Flöße, mit denen die Kubaner an der Küste herumschippern, um durch den Fischfang ihren Lebensunterhalt zu verbessern. Mit diesen "balsas" unternehmen sie aber auch ihre gefährlichen Fluchten über die Meeresenge von Florida. Welchen Stellenwert nimmt nun die "balsa" in dem Buch ein?

    "Die ‚ewige balsa" - die balsa perpetua - ist eine Metapher für Kuba, für die Kubaner, und für die kulturellen Widersprüche Kubas und der westlichen Welt."

    Der Exilant, der Navigator, der "balsero". Man kennt diese Verherrlichung der Ströme, der Meerespassagen und des Nomadentums aus den Schriften von Michel Serres. Iván de la Nuez wendet diese Begriffe ins Politische. Am Schluss seines Buches sagt er dann über seine Landsleute, die mit ihm das Exil teilen:

    Die Kubaner, die das Territorium des Exodus und der Reise bewohnen, werden wie Argonauten eines anderen kulturellen, kubanischen und postnationalen, insularen und transterritorialen Systems übers Meer fahren, deren Kunst darin bestünde, die Flucht zu betreiben als eine andere Art zu leben.