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Das Venus-Spiel

Der Klappentext behauptet, Das Venus-Spiel erinnere "nicht wenig" an Shakespeares Sommernachtstraum. Hieße es: "ein wenig", man würde diesen kühnen Vergleich wohl achselzuckend durchgehen lassen; aber "nicht wenig"? Nein, dann doch eher im Gegenteil "wenig" oder "kaum". Sicher hat dem amerikanischen Schriftsteller ein erotisches Verwirrspiel vorgeschwebt, eine Sex-Komödie, wie man seit Woody Allen gern sagt, vielleicht auch ein Edel-Porno für Literaturkenner: Die Hauptperson, -figur oder -gestalt, wie auch immer, ist das Sexualorgan des Ich-Erzählers Ben, eines Werbetexters, der, obwohl jung und gesund, an einer illegalen Versuchsreihe teilnimmt und eine Sexpille einwirft, an deren unerhörter Wirkung die schmale Fabel des Romans sich mutwillig entzünden darf.

Martin Krumbholz | 30.09.2002
    Dass der 1924 geborene Charles Simmons nicht nur ein ausgewiesener Literaturkenner, sondern überdies ein begnadeter Erzähler ist, weiß man ja, seit hierzulande vor einigen Jahren die Novelle Salzwasser erschien, eine in den siebziger Jahren entstandene Adaption der Turgenjewschen "Ersten Liebe". Ein hinreißendes Buch ist dem früheren Literaturkritiker damals gelungen, ein erotischer Thriller sozusagen, einfühlsam, subtil, spektakulär, aber überhaupt nicht spekulativ. Auch der autobiographische Band "Lebensfalten" mit seinen pointierten Miniaturen wusste durch Authentizität und Witz zu überzeugen. Für beide Bücher sind wir Leser dem Autor dankbar, sie haben uns bereichert. Das Venus-Spiel aber möchten wir am liebsten in die Ecke feuern. Und das keineswegs - so hoffen wir doch - aus Prüderie. Sondern weil wir uns langweilen. Weil wir uns beim Lesen mächtig nach einer Leselust-Pille sehnen, man könnte sie ja "Merkur" nennen, nach einer Droge, die unsere Neugier auf die von Natur aus flache Geschichte magisch steigert. Aber die gibt es so wenig wie in Wirklichkeit Dr. Winkle's Sexpille, die Bens Genital in einer Weise verändert, dass es fortan in Kurven, um nicht zu sagen in Hyperbeln und Parabeln wächst und beispielsweise beim Dinner seinen Weg in die sich willig öffnende Vagina einer reizenden Tischnachbarin sucht und findet. So lernt Ben die schöne Cynthia kennen - eine Eheanbahnung der buchstäblichsten Art.

    Auch Shakespeare war nicht prüde, auch er bringt eine Art Sexdroge zum Einsatz, aber sein "Sommernachtstraum" handelt vom Widerspruch zwischen romantischen Projektionen und der schlichten materiellen Wirklichkeit des Triebes, während Simmons in seiner Geschichte beides umstandslos versöhnt. Hier kommt bei aller Sexualdrastik eine sentimentale Ader zum Vorschein, die in einer Sexburleske nichts verloren hat: Bens romantische Neigung und sein künstlich verstärkter Trieb zielen in die gleiche Richtung, auf die schöne Cynthia nämlich, und das Resultat ist nicht Verirrung und Verwirrung, sondern Konformismus und Langeweile. Das Venus-Spiel ist eine herkömmliche Liebesgeschichte mit ein paar kriminologischen Zutaten, deren Sprache sich herausfordernd gebärdet wie die eines Pubertierenden - oder eben eines älteren Herren. Man hört förmlich den Verleger raunen: "Mr. Simmons, schreiben Sie doch mal eine gepfefferte Geschichte im Stil von, naja, Henry Miller vielleicht..." Daraus kann nichts werden, wenn der Autor im Grunde ganz anders tickt.

    Der Höhepunkt der Handlung ist auf Seite 74 erreicht, wo der Held buchstäblich durch die Vagina im Inneren seiner Geliebten verschwindet. "Langsam schob sie mich hinein, die Arme und den Oberkörper, die Hüften und Beine und Füße, dann schloss sie sich wieder. (...) Sie hatte Venus genommen." Fortan gilt Ben als verschollen, während er die Welt durch Cynthias Augen wahrnimmt. Auf Seite 128 kommt er wieder heraus, wie ein Neugeborenes, und Cynthia gibt ihm die Brust. Das ist offenbar Charles Simmons' Traum: die Geliebte zur Mutter machen. In ihr verschwinden, durch sie neu geboren werden. Rührend, aber auch ein bisschen platt. Wie die anatomischen Wunder, die die Verschmelzung der beiden inzwischen ermöglicht hat: der Penis, der sich keck aus der Vagina schiebt statt in sie hinein, der sich zurückbiegt und gegen die Klitoris drückt. "Als wir erwachten", heißt es, "streckte sie sich - Cynthia nämlich -, setzte sich auf und sah das Ejakulat auf dem Laken. Sie berührte es mit dem Finger und prüfte den Geschmack. Ihren Gesichtsausdruck konnte ich nicht sehen."

    Wie auch immer: Der Geschmack dieses Romans ist nicht bitter und nicht süß; seine Konsistenz dünnflüssig und überhaupt kein wenig sämig. Keine geringe Enttäuschung.