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Das Verschwinden der Bilder

Denkmäler von Dichtern, Gelehrten und Freiheitskämpfern - sie verschwinden aus dem Stadtbild Teherans. Die iranische Kunsthistorikerin Schoole Mostafawy vermutet, dass die Standbilder im Auftrag der iranischen Regierung demontiert werden. Dadurch solle das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft ausgelöscht und der Einflussbereich des Westens verringert werden.

Schoole Mostafawy im Gespräch mit Kathrin Hondl | 13.05.2010
    Kathrin Hondl: Seit knapp einem Jahr, seit der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad, scheint im Iran nichts mehr, wie es war. Auf große Demonstrationen folgten Repression und Verhaftungen, Hunderte Studenten, Journalisten, Intellektuelle und andere Regierungsgegner verschwanden in den Gefängnissen des Landes.

    Seit ein paar Wochen nun wundern sich die Teheraner über das Verschwinden weiterer Zeitzeugen des Landes. Aus den Straßen und Parks von Teheran verschwinden nämlich Skulpturen und Denkmäler, und niemand weiß oder möchte wissen, wer hinter dieser mysteriösen Kunstdemontage steckt.

    Am Telefon ist jetzt Schoole Mostafawy, iranische Kunsthistorikerin am Badischen Landesmuseum in Karlsruhe. Frau Mostafawy, was sind das genau für Skulpturen, die da auf so geheimnisvolle Art und Weise in Teheran verschwinden?

    Schoole Mostafawy: Es handelt sich insgesamt um Denkmäler aus dem öffentlichen Raum, zumeist aus Teheran selber, und es sind Skulpturen, die im Grunde genommen historische Personen wiedergeben, wie Philosophen, Dichter, Gelehrte, Freiheitskämpfer - zum Beispiel aus der Zeit der konstitutionellen Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts -, aber auch wichtige Persönlichkeiten wie Ali Schariati, das war einer der einflussreichsten iranischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, der zugleich die ideologische Grundlage für die islamische Revolution von 1979 geschaffen hat.

    Hondl: Also, das sind wichtige, historische Gestalten der iranischen Geschichte?

    Mostafawy: Ganz genau, es sind Nationalhelden, es sind Personen gewesen, mit denen sich die iranische Identität verbindet.

    Hondl: Nun ist es ja wirklich schwierig, sich vorzustellen, dass so große Bronzeskulpturen tatsächlich unbemerkt abmontiert werden können, also, solche Statuen wiegen ja manchmal mehrere 100 Kilo und, na ja, Teheran ist ja auch eine Stadt, wo Polizei und islamische Revolutionswächter rund um die Uhr unterwegs sind. Was meinen Sie, kann es trotzdem sein, dass da, wie die Stadtverwaltung von Teheran ja vermutet, eine Kunsträuberbande am Werk ist?

    Mostafawy: Sie gehen sogar weiter und sagen, es wären die Engländer gewesen, die die Skulpturen geklaut hätten. Also, damit soll auch in der Öffentlichkeit vertreten werden, es handele sich um eine ausländische Angelegenheit, ähnlich wie früher nationale, archäologische Kulturgüter aus dem Land entfernt wurden.

    Aber Sie haben einen wichtigen Punkt angesprochen: Die Polizei, die Bassidschi sind überall vertreten und man kann sich kaum vorstellen, dass 200 Kilo schwere Stücke, die normalerweise ohne den Kran gar nicht angebracht werden können und meist auch im Boden tief verankert sind, einfach von der Bildfläche verschwinden.

    Hondl: Also, Sie meinen, dass da die Regierung, das Regime, zumindest davon wissen muss?

    Mostafawy: Auf jeden Fall.

    Hondl: Und warum sollten sich Präsident Ahmadinedschad und die iranische Regierung auf einmal für Kunst interessieren?

    Mostafawy: Man muss bedenken, dass schon im 19. Jahrhundert im Zuge der Modernisierung der Städte des Orients ein Wandel der städtischen Struktur, das heißt, eine Neugliederung des urbanen Raumes stattgefunden hat und zwar konkret nach dem Vorbild des Westens.

    Das heißt: Sämtliche Elemente, die den modernen Städtebau auszeichnen - wie etwa Parks, Verwaltungsgebäude, aber auch Denkmäler -, wurden grundsätzlich nach dem Vorbild des Westens übernommen. Im Iran ist das seit der Dynastie der Pahlavi, also zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeitgleich mit der Türkei ungefähr der Fall. Also, wir haben Denkmäler überall in der Stadt verteilt. Das verwundert einen umso mehr, wenn plötzlich das ein Stein des Anstoßes sein sollte für den Staat unter jetzt der Regierung von Ahmadinedschad, und das lässt natürlich weitreichende Gedanken zu.

    Hondl: Heißt das also, dass Ahmadinedschad eben diese westlichen Spuren in Form von Skulpturen tilgen will?

    Mostafawy: Ganz genau. Sie müssen bedenken, dass die Dreidimensionalität von Kunstwerken - die ja in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Götzendienst im Islam gebracht wird - vor allem seit der Frühzeit von den religiösen Autoritäten stark kritisiert wurde.

    Und wir kennen nun, wie gesagt, diese Denkmäler seit dem Ersten Weltkrieg im öffentlichen Raum des kompletten Orients, und gerade im Iran in seiner schiitischen Ausrichtung sind Andachtsbilder, auch Denkmäler, keineswegs jetzt eine Neuigkeit, ein Novum. Was kann man dann daraus vermuten? Es ist im Grunde genommen, um es auf einen Punkt zu bringen, die Loslösung vom Einfluss des Westens, die, wie ich meine, dahintersteckt. Es ist die Hinwendung zur reinen Lehre des Islam.

    Hondl: Zum Bilderverbot des Islam.

    Mostafawy: Ganz genau, wobei dieses Bilderverbot im schiitischen Islam nie geherrscht hat, also, wir kennen das schon seit dem 17. Jahrhundert und früher. Das betraf zwar nicht die Skulpturen, aber im weitesten Sinne … Die Bilder, die gab es als Wandgemälde und so weiter durchaus im Iran.

    Hondl: Gab es denn schon vorher Hinweise, also vor diesem mysteriösen Skulpturenverschwinden, Hinweise darauf, dass sich da etwas verändert im Iran, was den Umgang mit Kunst, mit Skulpturen und Bildern angeht?

    Mostafawy: Ich meine ja. Vor gut zwei Jahren, als ich das letzte Mal im Iran war auf der Suche nach Andachtsbildern für eine künftige Ausstellung, ist mir aufgefallen, dass die Poster, die es seit der Mitte des 20. Jahrhunderts über schiitische Heilige im Basar zu kaufen gab, verschwunden waren. Und auf meine Nachfrage hin hieß es, das sei auf staatlichen Dekret hin geschehen.

    Hondl: Das hört sich fast an, als ob da so eine Art Kulturrevolution im Gange wäre im Iran?

    Mostafawy: Ich würde sagen, es ist vor allem das systematische Ziel einer Auslöschung des kulturellen Gedächtnisses einer Gesellschaft, das heißt: Hier soll ein Prozess stattfinden, der unterschwellig den Einflussbereich des Westens verringert.

    Hondl: … sagt Schoole Mostafawy, iranische Kunsthistorikerin in Karlsruhe, über die Demontage von historischen Denkmälern in Teheran.