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Das Versteck des Tuberkulose-Erregers

Mit jährlich mehr als zehn Millionen Erkrankungen gehört die Tuberkulose zu den häufigsten und gefährlichsten Infektionskrankheiten. Der Erreger kann sich im Knochenmark verstecken und ist dort nicht nur sicher vor Immunzellen, sondern kann auch Jahre später wieder ausbrechen.

Von Martin Winkelheide | 31.01.2013
    Solch eine Entdeckung macht ein Wissenschaftler höchstens einmal in seinem Forscherleben, davon ist Antonio Campos-Neto überzeugt.

    "I think it is a very nice breakthrough."

    Ein sehr schöner Durchbruch sei das, sagt der Brasilianer. Er forscht am renommierten Forsyth-Institute, das zur Harvard Universität in Boston gehört, an der Ostküste der USA. Was ihn begeistert, ist, dass sich viele der Rätsel plötzlich erklären lassen, die die Tuberkulose Wissenschaftler und Medizinern aufgibt. Vor allem, das kniffligste von allen:

    "Sie heilen die Tuberkulose, aber latent ist die Krankheit immer noch da für viele, viele Jahre. Ohne, dass es irgendwelche Symptome gibt. Es kommt oft vor, dass ein eigentlich geheilter Patient nach Jahren wiederkommt, weil die Tuberkulose erneut ausgebrochen ist."

    Vor der eigentlichen Entdeckung im Labor haben Campos-Neto und seine Kollegen viel diskutiert. Sie haben sich gefragt: Gibt es einen Ort im menschlichen Körper, an dem das Tuberkulose-Bakterium sicher ist für viele Jahre? Sicher vor den Angriffen des menschlichen Immunsystems und unerreichbar für Medikamente? Theoretisch, so das Ergebnis der Diskussionen, existiert ein solcher Ort: Im Knochenmark, im Innern von Stammzellen.

    Eine gewagte Hypothese – und der Beginn einer langen Serie von Experimenten. In Zellkultur-Versuchen zeigte sich: Der Tuberkulose-Erreger Mycobakterium tuberculosis kann tatsächlich in bestimmte Stammzellen eindringen, in sogenannte "CD 271 positive"-Stammzellen. Im Tierversuch machten die Forscher dann die Probe aufs Exempel. Über die Atemluft steckten sie Mäuse mit dem Erreger an.

    "Bereits drei oder vier Wochen, nachdem sich die Mäuse mit Tuberkulose infiziert hatten, waren die Bakterien nicht mehr nur in der Lunge nachweisbar sondern auch im Innern von Stammzellen im Knochenmark. Das bedeutet: Entweder sind die Stammzellen in der Lunge von dem Erreger befallen worden und dann ins Knochenmark gewandert. Oder die Bakterien sind von sich aus ins Knochenmark eingedrungen. Was genau passiert, das können wir noch nicht sicher sagen."

    Sicher aber ist: Nicht nur bei Mäusen, auch beim Menschen stellen die Stammzellen im Knochenmark einen Rückzugsort für den Tuberkulose-Erreger dar. Das belegen Gewebeproben von Patienten aus Indien.

    Klar ist auch, es ist ein ideales Versteck: Die Stammzellen können viele Jahre im Knochenmark in speziellen Nischen ruhen, ohne zu wandern. Sie sind dort für Immunzellen unsichtbar, und sie verfügen über molekulare Pumpen, mit denen sie Giftstoffe oder aber Medikamente aus der Zelle herauspumpen. Im Zellinnern können die Tuberkulose-Bakterien also auch eine monatelange Antibiotika-Behandlung schadlos überstehen.

    Die entscheidende Frage aber ist: Wie wird nach Jahren aus einem ruhenden Tb-Bakterium ein aktives, das sich wieder vermehrt und das krank macht? Diese Frage hat sich Antonio Campos-Neto auch schon gestellt.

    "Wie wird aus einer latenten eine aktive Tuberkulose? Offen gesagt: Das wissen wir noch nicht. Wir haben nicht den geringsten Schimmer, was da genau passiert."

    Gibt das Bakterium den Startschuss? Das ist möglich. Denkbar wäre aber auch, dass die Stammzelle das Signal bekommt, aktiv zu werden, um neue Blutzellen oder Immunzellen zu bilden. Und die plötzliche Aktivität der Stammzelle weckt – bildlich gesprochen - das Bakterium auf.

    Das ist alles andere als ein akademisches Problem. Denn es geht jetzt darum, die Tuberkulose-Behandlung zu verbessern. Konkret heißt das: Wie lassen sich die Tb-Erreger aus ihrem Versteck locken und angreifbar machen für Antibiotika? Und das möglichst, ohne großen Schaden im Körper anzurichten. Auch Antonio Campos-Neto vom Forsyth-Institute weiß: Nach einem Forschungsdurchbruch fängt für den Wissenschaftler die eigentliche Arbeit erst an.