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"Das verstößt einfach gegen das Prinzip der Kooperation, der Kollegialität"

In der hitzigen Diskussion um den Stabilitätspakt stehen sich heute beim EU-Gipfel Deutschland und Frankreich auf der einen, und fast alle anderen 25 EU-Staaten auf der anderen Seite gegenüber. "Ohne deutsch-französische Achse geht nix", sagt Reinhard Bütikofer, stellvertretender Fraktionschef der Grünen im Europäischen Parlament, "aber man muss auch auf die kleineren Staaten zugehen".

Reinhard Bütikofer im Gespräch mit Gerd Breker | 28.10.2010
    Gerd Breker: Am Telefon bin ich nun verbunden mit Reinhard Bütikofer, er ist der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Guten Tag, Herr Bütikofer.

    Reinhard Bütikofer: Ich grüße Sie, Herr Breker.

    Breker: In der Sache, im Ziel geben Sie doch sicherlich der Bundeskanzlerin Recht: Es darf einfach nicht sein, dass ein notorischer Defizitsünder unsere Währung, den Euro so ins Wanken bringt wie weiland Griechenland?

    Bütikofer: Ich würde ja der Bundeskanzlerin unheimlich gerne recht geben, wenn ich genau wüsste, was für Ziele sie eigentlich hat. Jetzt so zu tun, als hätte die Bundeskanzlerin den Krisenmechanismus erfunden, oder wäre auf die Idee gekommen, dass es einen bräuchte, ist ja Geschichtsklitterung. Deutschland hat sich ja mit dieser Bundesregierung extrem lange dagegen gewehrt, dass es überhaupt einen geben soll. Und ich habe auch bei Frau Merkel leider den Eindruck, dass sie weniger von Zielen bewegt wird als von Ängsten, was wohl der Herr Gauweiler in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht vielleicht erklagen könnte und so weiter.
    Ich finde, es braucht einen dauerhaften Krisenmechanismus über 2013 hinaus, und dafür braucht es neue Regeln. Aber das, was die Kanzlerin mit dem französischen Staatspräsidenten Sarkozy da verabredet hat, dieses Duovirat, oder wie sagt man da, wenn eine Frau dabei ist, also dieses komische Tandem, das ist eben an verschiedenen Stellen irgendwie schief zusammengeschustert. Da fehlt manches und da ist auch manches einfach, was nicht funktioniert.

    Breker: Bleiben wir noch bei der Sache kurz. Ein Automatismus, Herr Bütikofer, wäre aus Ihrer Sicht die beste Lösung gewesen, automatische Sanktionen bei Verstößen gegen die Defizitkriterien?

    Bütikofer: Renate Künast hat im Bundestag in der Debatte gesagt, ja, wir sind für einen Automatismus. Ich würde das mit cum grano salis nehmen. Einen vollständigen Automatismus halte ich noch nicht mal für die beste Lösung. Aber es bräuchte einen höheren Druck, als Merkel und Sarkozy jetzt verabredet haben. Jetzt ist es so: Damit das Ganze Verfahren überhaupt in Gang kommen soll, sagen Merkel und Sarkozy, muss eine qualifizierte Mehrheit, also eine Zwei-Drittel-Mehrheit, der Stimmen im Rat dafür sein. Besser wäre es, man dreht es herum, so wie Herr Juncker von Luxemburg das vorgeschlagen hat und viele andere auch und auch viele Ökonomen, und sagt: Um zu verhindern, dass was gemacht wird, muss eine Zwei-Drittel-Mehrheit dagegen stehen. Da wäre der Druck schon wesentlich besser.
    Und zweitens: Es geht nicht nur darum, dass man irgendwann mal mit Schritten anfängt, sondern es geht darum, dass man möglichst früh Maßnahmen ergreift, wenn man sieht, das kommt auf die schiefe Bahn, und nicht erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.

    Breker: Diese Argumentation von der Bundeskanzlerin, das Stimmrecht zu entziehen, wenn einer notorisch gegen die Kriterien verstößt, ist das aus Ihrer Sicht ein Versuch, Druck zu erzeugen, oder ist das ernsthaft gemeint?

    Bütikofer: Ich habe ja gehört, dass Sie gerade ein bisschen darüber spekuliert haben, ob das ein Schachzug ist. Ich spiele Schach und mit solchen Schachzügen kann man meines Erachtens nur die Partie verlieren. Bei dem Großmeister Nimzowitsch gibt es die Figur der Funktionsüberlastung der Dame. Ich glaube, Frau Merkel ist gerade kurz davor, eine solche Funktionsüberlastung zu erleiden. Das heißt, dass sie ihre verschiedenen Ziele und Ängste nicht mehr unter einen Hut kriegt, und das heißt, nichts mehr hinkriegt.
    Dieses Ziel ist einfach unsinnig, weil ich setze doch nicht darauf, diejenigen, die ich viel zu lange habe auf die schiefe Bahn geraten lasse, dann damit zu bestrafen, dass ich sage, so und jetzt regeln wir für euch, wie es geregelt werden soll, ihr kriegt jetzt kein Stimmrecht mehr. Man muss sich mal vorstellen, was das dann in dem betroffenen Land für eine Dynamik auslöst, wenn dann die Zwingherren und Zwingdamen in Paris und Berlin und Brüssel für alles verantwortlich gemacht werden und man nicht den Effekt hat, der jetzt ja in Griechenland immerhin existiert, dass da eine nationale Regierung sagt, liebe Landsleute, wir müssen uns selber am Riemen reißen. Das ist schon der erste Fehler.
    Der zweite Fehler ist: Es ist einfach nicht machbar. Das haben doch alle gesehen 2003, was passiert ist, als Frankreich und Deutschland einen Blauen Brief kriegen sollten, wie die sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben. Die Erfahrung ist ja tief eingebrannt. Das geht dann nur gegen die Kleinen und die anderen finden einen Ausweg. Das heißt, das verstößt einfach gegen das Prinzip der Kooperation, der Kollegialität. Und auch ökonomisch ist das meines Erachtens einfach schief gewickelt. Juncker hat da ein schönes Bild dafür gefunden. Er hat gesagt, Sexualaufklärung macht man auch nicht erst, wenn die Leute im Rentenalter sind. Also ich fange nicht erst an, mit drastischen Maßnahmen zuzuschlagen, wenn schon alles schief gegangen ist, sondern ich fange viel früher an, und da sind nun Merkel und Sarkozy ironischerweise weniger ehrgeizig geblieben, als man sein müsste.

    Breker: Angela Merkel hat ihre Einigung, ihre Abkehr vom Automatismus von Sanktionen begründet, dass ohne Frankreich nichts geht in Europa. Aber sollte nicht gerade der Lissabon-Vertrag dies verhindern, dass nicht mehr einheitlich abgestimmt wird, dass die kleinen mehr Rechte bekommen?

    Bütikofer: Na ja, es ist schon so. Ohne deutsch-französische Achse geht nix. Wenn wir zulassen, dass Deutschland und Frankreich in verschiedene Richtungen streben, und dann jeder nur noch guckt, wen er da auf seine Seite zieht, dann fliegt uns die EU irgendwann auseinander. Insofern ist es völlig richtig zu sagen, wir wollen versuchen, mit Frankreich da an einem Strick zu ziehen. Aber andererseits gilt auch, dass Frankreich und Deutschland alleine den Karren auch nicht mehr ziehen können. Frankreich und Deutschland alleine sind nicht mehr, wie das früher mal war, in der EU der 10 oder der 15 noch, sozusagen die Achse, die das Ganze treiben kann. Da müssen andere dazu. Und als Oppositionsführerin war Frau Merkel viel gescheiter, als sie heute als Regierungschefin ist. Da hat sie nämlich selber betont, man muss auch auf die kleineren Staaten zugehen und mit denen kooperieren.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Meinung von Reinhard Bütikofer, er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Herr Bütikofer, danke für dieses Gespräch.

    Bütikofer: Danke Ihnen, Herr Breker. Tschüss!