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"Das wäre jetzt auch zu kurzfristig"

Lkw müssen nur auf der Antriebsachse Winterreifen aufziehen. Der FDP-Politiker Werner Simmling bestreitet dabei jeglichen Einfluss der Logistik-Lobby auf die Entscheidung des Verkehrsministers - und hält eine Nachbesserung im laufenden Winter nicht für nötig.

Werner Simmling im Gespräch mit Anne Raith | 20.12.2010
    Anne Raith: Paris, London, Brüssel, Amsterdam, Frankfurt, wer an diesem Wochenende reisen wollte, musste sich in Geduld üben. Das Schneechaos hatte Europa fest im Griff. Die großen Flughäfen mussten ihren Betrieb zum Teil ganz einstellen, die Bahn musste ihren Passagieren davon abraten, Zug zu fahren, und auf den Straßen staute sich der Verkehr über Kilometer. Auch heute Morgen sah es zunächst nicht anders aus. Wegen heftigen Schneetreibens musste der Pariser Flughafen Orly am Morgen komplett gesperrt werden. Und auch die Lage in Deutschland entspannt sich nur sehr langsam. Die Straßen waren vielerorts heute Morgen noch glatt, die Bahnen überfüllt und durch die massiven Ausfälle an anderen europäischen Airports wie London oder Paris werden auch in Deutschland weitere Flüge gestrichen, in Frankfurt zum Beispiel, wo die Lage noch immer sehr angespannt ist. Mitgehört hat Werner Simmling. Der FDP-Politiker sitzt im Verkehrsausschuss des Bundestages. Guten Tag, Herr Simmling!

    Werner Simmling: Schönen guten Tag.

    Raith: Wie sind Sie denn heute Morgen zur Arbeit gekommen?

    Simmling: Das ist ganz einfach. Ich bin einfach zu Hause geblieben, weil ich im Moment das Privileg habe, mir meine Arbeitszeit auszusuchen.

    Raith: Wären Sie denn weggekommen?

    Simmling: Nur sehr schwer. Ich muss dazu sagen, ich wohne in Hohenstadt auf der schwäbischen Alb, 800 Meter hoch, und da schneit es schon den ganzen Tag.

    Raith: Ebenso wenig Glück hatten ja heute Morgen auch Autofahrer auf den Autobahnen 61 und 4. Die waren nach Lkw-Unfällen gleich ganz mehrere Stunden gesperrt. War es ein Fehler, die Lkw bei der Winterreifenpflicht auszuklammern?

    Simmling: Na ja, sie haben ja eine Winterreifenpflicht auf den Antriebsachsen. Jetzt muss ich einfach auch dazu sagen, wir haben ja den § 1 der Straßenverkehrsordnung, und da steht ja schon mal drin, dass jeder Verkehrsteilnehmer sich so zu verhalten hat, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als den Umständen entsprechend unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Daraus kann man schon eine ganze Menge herauslesen. Da gehört also eine gewisse Sorgfaltspflicht dazu. Ich bin jetzt nicht Techniker genug, um zu sagen, auf die Lenkräder gehörten auch Winterreifen, aber es ist auf jeden Fall so, dass wir hier eine Sorgfaltspflicht haben, die Spediteure, die Fahrer, alle, die im Verkehr beteiligt sind, und wir haben eben nun in diesem Jahr schon seit drei Wochen einen extremen Winter, Sie wissen, morgen ist erst der kalendarische Winteranfang, und da muss man sich eben drauf einstellen.

    Raith: Aber Sorgfalt scheint in diesem Falle ja nicht auszureichen, wenn man sieht, wie viele Lkw in den letzten Tagen liegen geblieben sind.

    Simmling: Ja, es ist in der Tat richtig. Es sind Pkw genauso liegen geblieben. Aber ich denke, wenn man, wie zum Beispiel die Lkw, tagtäglich auf der Straße sein muss, um Güter zu transportieren, dann wäre eine verschärfte Ausrüstungspflicht da schon angebracht. Ich denke, allein mit Strafen ist es dort auch nicht getan, sondern es muss auch eine ganze Portion Einsicht dazugehören.

    Raith: Aber die Straßenverkehrsordnung ist ja erst Ende November geändert worden. Da war doch schon abzusehen, es könnte wieder ungemütlich werden diesen Winter.

    Simmling: Da haben Sie vollkommen Recht, und deshalb ist ja nun auch diese Regelung erlassen worden. Wie gesagt, es geht ja so weit – und diese Regelung gibt es ja auch schon -, dass zum Beispiel auf Fahrbahnen mit Schneedecken eben Schneekettenpflicht da ist, und ich denke, das ist im Moment eben eine Regelung, die bei einem vielleicht solch extremen Winter, wie wir es jetzt gerade haben, auch nicht ausreicht. Es bleiben ja nicht nur die Lkw stecken, es bleibt die Bahn stecken, die Flüge gehen nicht. Ich denke, wir haben schon eine etwas außergewöhnliche Situation.

    Raith: Aber darauf hätte man sich einstellen können, auch im Vergleich zum letzten Winter, der ebenso hart war.

    Simmling: Ja, Sie haben vollkommen Recht. Wie gesagt, wenn Sie nur aus dem Fenster herausschauen, dann ist es so und dann muss natürlich aber auch Folgendes vielleicht noch dazukommen, wenn solche extremen Situationen da sind, dass man dann eben zeit- und streckenweise einfach ein Fahrverbot für bestimmte Fahrzeugtypen ausspricht.

    Raith: Können noch mehr Fahrverbote denn die Situation entspannen?

    Simmling: Ja, ich denke schon. Wenn Sie diese großen Lkw, diese 40-Tonner nicht mehr auf der Straße haben, dann ist da schon für einen gewissen Verkehrsfluss gesorgt. Also ich denke, das wäre eine weitere Maßnahme, dass man hier verschärft eingreift. Das ist ja meistens so, dass es streckenbezogen ist. Das heißt, nicht das ganze Autobahnnetz, sondern das ist eben mal die A8, dann ist es mal die A2, und das sollte man aber auch ausnutzen.

    Raith: Jetzt haben wir eben in den Berichten aus Paris und auch aus Stuttgart gehört, dass sich viele Lkw-Fahrer dem Verbot widersetzen. Wie könnte man das kontrollieren? Wie könnte man gewährleisten, dass sich tatsächlich alle daran halten?

    Simmling: Das können sie nur durch eine verschärfte Kontrolle durchführen, denke ich, und dann ist eben letztendlich die Einsicht der Fahrzeugführer notwendig, und wenn das nicht ausreicht, dann müssten natürlich, glaube ich, noch Bußgelder verhängt werden, die spürbar sind. Also mit 40 Euro, glaube ich, sind sie nicht wirksam.

    Raith: Wie hoch müsste denn Ihrer Meinung nach solch ein Bußgeld sein, um einen Unternehmer im Vorweihnachtsgeschäft davon abzuhalten, den Lkw trotzdem auf die Straße zu schicken?

    Simmling: Oh, das ist jetzt spekulativ. Da kann ich Ihnen jetzt so keine Größenordnung nennen. Aber es müsste schon ein schöner dreistelliger Betrag sein, denke ich.

    Raith: Müsste man sich denn, um bei den Fahrverboten zu bleiben, europaweit abstimmen, wenn wir jetzt sehen, dass unsere Nachbarländer die Grenzen sperren für den Lkw-Verkehr?

    Simmling: Das wäre ganz wichtig, dass man hier EU-weit auf eine Abstimmung kommt, und nicht, dass die Lkw in Deutschland fahren dürfen und in Frankreich nicht, oder umgekehrt, und sich dann alles vor den Grenzen staut. In bestimmten Situationen muss da eine einheitliche Regelung her.

    Raith: Einheitliche Regelungen fehlen in vielen Bereichen, hat man den Eindruck, wenn man unser Gespräch verfolgt. Der Grünenpolitiker Winfried Hermann hat den Eindruck, dass das Ministerium hier den Schreien der Lobby gefolgt ist.

    Simmling: Na ja, das ist immer leicht gesagt. Ich denke nicht. Ich denke schon, dass Herr Dr. Ramsauer, unser Verkehrsminister, sehr verantwortungsvoll gehandelt hat. Er hat jetzt diese Winterreifenpflicht eingeführt und jetzt, denke ich, sollte man da nicht gleich wieder das zerreden, indem man sagt, die Lobby hat da ihren Einfluss geltend gemacht. Ich glaube, dafür ist das Thema einfach viel zu ernst.

    Raith: Aber die Winterreifenpflicht gilt ja nicht für Lkw auf allen Rädern?

    Simmling: Ja, aber auf den Antriebsachsen. Richtig, ja? Und ich denke, man muss auch erst mal Erfahrungen dort sammeln. Ich denke, dieser Winter wird Erfahrung genug mit sich bringen und dann werden wir mal sehen, wie wir dann im Frühjahr und im Sommer eventuell eine Änderung dieser Winterreifenpflicht herbeiführen müssen.

    Raith: Also glauben Sie nicht, dass diesen Winter noch nachgebessert wird?

    Simmling: Nein, nein, das denke ich nicht. Das wäre jetzt auch zu kurzfristig und ich denke, wir sollten jetzt auch mal ein bisschen die Kirche im Dorf lassen. Es hängt auch immer, auch wenn sie mit Winterreifen unterwegs sind – das wissen Sie auch als Autofahrerin -, auch da sind sie mal zu schnell, oder bleiben hängen. Sie haben keinen hundertprozentigen Schutz. Allein das ganze auf die Winterreifen nun zu legen und dann zu sagen, dann komme ich durch und bin immer sicher auf der Straße, die Gesetze der Physik, die gelten auch mit Winterreifen und wenn eben mal solche extremen Situationen da sind, wie wir sie im Moment haben, dann hilft eben nur, wirklich das Auto stehen zu lassen.

    Raith: Rät Werner Simmling. Der FDP-Politiker sitzt im Verkehrsausschuss des Bundestages. Besten Dank für das Gespräch, Herr Simmling.

    Simmling: Ich danke Ihnen. Schönen Tag noch.