Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Das war die richtige Entscheidung"

Der Rücktritt von Postchef Klaus Zumwinkel sei eine gewaltige Enttäuschung und ein Schock, erklärt der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel. Eine Verallgemeinerung dieses Falls auf das Verhalten aller Manager sei aber nicht zulässig. Es gebe zwar schwarze Schafe, aber keine schwarze Herde.

Von Christian Schütte | 15.02.2008
    Christian Schütte: Lustreisen bei VW, schwarze Konten bei Siemens, nun der Vorwurf der millionenschweren Steuerhinterziehung gegen Herrn Zumwinkel. Der Berufsstand der Manager steht erneut am Pranger. Darüber spreche ich nun mit Hans-Olaf Henkel, dem früheren Chef des BDI. Guten Tag Herr Henkel!

    Hans-Olaf Henkel: Hallo! Schönen guten Tag.

    Schütte: Zumwinkel tritt als Postchef zurück. Ist das die einzig richtige Entscheidung gewesen?

    Henkel: Ja. Wenn er nicht ganz sicher ist, dass er sich nichts hat zuschulden kommen lassen, dann ist das die einzig richtige Entscheidung. Ich glaube nur wenn er hundertprozentig davon überzeugt wäre und sein eigener Steuerberater, dass da nichts dran ist, hätte er bleiben können.

    Schütte: Also ein Schuldeingeständnis?

    Henkel: Ja, zumindest sich selbst gegenüber. Für mich ist das natürlich eine gewaltige Enttäuschung, ein Schock. Das muss ich Ihnen sagen. Denn im Gegensatz zu dem, was hier schon wieder kolportiert wird, ist Steuerhinterziehung etwas extrem seltenes in deutschen Vorstandsetagen. Ich kann mich an gar keinen Fall in den letzten Jahren erinnern. Umso bedeutender ist dieser Fall, wenn er sich denn bestätigt, aber das scheint ja so zu sein. Es geht sowieso nicht - und da haben alle Politiker, die sich zu Wort gemeldet haben, auch Recht - in einem Unternehmen, wo der Staat der Hauptaktionär ist. Aber ich bin auch davon überzeugt, dass es in keinem Unternehmen ginge. Also: das war die richtige Entscheidung.

    Schütte: Sie sagen das sei ein Einzelfall. Aus der Politik heißt es dagegen, Steuerhinterziehung sei inzwischen ein Volkssport der Besserverdienenden geworden.

    Henkel: Ich habe jetzt mal von den Vorständen gesprochen und habe darauf hingewiesen, dass mir kein Fall bekannt ist in den letzten Jahren von DAX-Vorständen, die wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurden. Vielleicht gab es mal einen vor drei, vier, fünf Jahren. Ich weiß es nicht.

    Schütte: Aber das heißt ja nicht unbedingt, dass es die Steuerhinterziehung nicht gibt, wenn das nicht bekannt wird?

    Henkel: Na ja, dann sind wir im Bereich der Spekulation. Wenn die Politik behauptet, das sei jetzt flächendeckend überall der Fall, dann ist das genauso Spekulation. Das hat auch mit der Wirtschaft nichts zu tun. Die Wirtschaft sind wir ja letzten Endes alle. Wenn es tatsächlich jetzt über 1000 solcher Fälle gegeben haben soll - ich bin mal gespannt, was da heraus kommt -, dann werden sie sicherlich feststellen, dass das Vertreter aus allen Schichten der Gesellschaft sind. Das sind nicht nur Leute von DAX-Vorständen, wenn es überhaupt noch weitere dort gibt. Das sind vielleicht auch Fußballspieler und Künstler und was weiß ich was. Fehlverhalten gibt es in allen gesellschaftlichen Schichten. Das ist bedauerlich, aber daraus nun den Vorwurf zu konstruieren, das sei typisch für die deutschen DAX-Vorstände, das ist absurd.

    Schütte: Trotzdem steht die Manager-Elite einmal mehr unter Beschuss. Ist es denn eigentlich zu viel verlangt, wenn man von den Managern fordert, sie sollten ein Vorbild sein für die Gesellschaft?

    Henkel: Überhaupt nicht! Ich finde das ist eine absolut berechtigte Forderung, und das müssen sie auch. Meine persönliche Erfahrung mit der Mehrheit von DAX-Vorstandsvorsitzenden und -Vorständen ist, dass sie das auch sind. Dass es bedauerliche Ausrutscher gibt, das ist in der Tat der Fall - Wahrscheinlich kommt heute auch mehr heraus als früher -, und das muss auch kritisiert werden. Wir müssen aber aufpassen, dass wir dann auch diese schwarzen Schafe beim Namen nennen. Es ist nicht richtig zu sagen "die Manager" oder "die Wirtschaft" oder "die DAX-Vorstände", sondern man soll sagen "der Herr Hartz" oder gegebenenfalls "der Herr Zumwinkel" oder, wenn er einen schlechten Job gemacht hat, "der Herr Schrempp". Aber man soll nicht sagen "die Manager". Das ist unfair. Das gibt es in keinem anderen Bereich der Gesellschaft. Das gibt es neuerdings und nach meiner Beobachtung auch nur in Deutschland. Gerade bei uns im Lande wird immer wieder versucht, die Manager-Kaste, und ich vermute dahinter steckt auch bei einigen Leuten das Motiv, das sozialmarktwirtschaftliche System zu diskreditieren. Also wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht verallgemeinern. Von den Manager-Gehältern oder von den flächendeckenden Steuerhinterziehungen bei den Managern zu reden, ist einfach unzulässig. Wie Sie selbst sagen gibt es das in allen Bereichen. Das gibt es im kleinen, im mittleren und im großen, wobei ich konzidieren muss: im großen sollte es wirklich am seltensten vorkommen.

    Schütte: Sicherlich wäre es falsch, einen Pauschalverdacht gegen alle Manager zu äußern, aber Sie selbst haben ja jetzt einige Namen genannt: Hartz, Zumwinkel, Schrempp. Was ist dort schief gelaufen mit dem Selbstverständnis der Manager?

    Henkel: Jeweils immer etwas anderes. Bei Herrn Schrempp sind die Ergebnisse einfach katastrophal, aber er hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Bei Herrn Hartz, da ist offensichtlich ein Mann, der nur eine Gewerkschaftskarriere hatte, niemals viel Geld besaß, ganz plötzlich durch Herrn Piech in den Vorstand von Volkswagen katapultiert worden, und mit diesen neuen Möglichkeiten kam er einfach nicht zurecht. Das ist sicherlich auch eine gewisse Versuchung für ihn gewesen. Bei Herrn Zumwinkel, wenn es denn stimmt: Steuerhinterziehung ist nun wirklich ein Vergehen in Deutschland. Das hat mit Moral nichts zu tun, sondern das hat dann gegebenenfalls mit Gesetzesbruch etwas zu tun. Das ist entscheidend. Er hätte ja dann das Gesetz gebrochen.

    Ich gehe auch einen Schritt weiter. Ich finde - und ich bleibe mal beim Thema Volkswagen - es ist einfach nicht akzeptabel, dass Herr Piech, nachdem er zehn Jahre lang die Verantwortung bei Volkswagen gehabt hat - er hat den Herrn Hartz geholt; er will von allem ja nichts gewusst haben, aber er hat doch die Verantwortung dafür getragen -, dass dieser Mann nun von den Arbeitnehmervertretern und anscheinend auch von der Mehrheit, wenn nicht sogar von allen Kapitalanteilsvertretern wiederum zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt wurde. Das ist alles gesetzlich in Ordnung, aber das finde ich verwerflich, und ich finde es richtig, dass man das kritisiert.

    Schütte: Was kann man dagegen tun?

    Henkel: Na ja, den Namen nennen. Ich habe es ja heute getan. Ich habe es bei Herrn Piech schon öfter getan. Ich finde man sollte nicht von "den Vorständen" oder "der Wirtschaft" oder was weiß ich, "den raffgierigen Managern" sprechen, sondern man soll sich konkret mit dem Unternehmen und dem Namen auseinandersetzen. Dann bekommen wir die richtige Diskussion. Ich habe ja über die Hälfte meines aktiven Lebens im Ausland verbracht und verfolge ähnliche Diskussionen auch in Großbritannien, sogar Frankreich, den Vereinigten Staaten. Und da gibt es auch ähnliche Skandale - nicht mehr als hier, auch nicht weniger. Aber einen Unterschied gibt es: in diesen Ländern wird eben diese Verallgemeinerung nicht vorgenommen, und ich finde es bedauerlich, wenn sogar schon die Bundeskanzlerin, ja sogar der Bundespräsident von "den Manager-Gehältern" spricht. Das darf man nicht. Man soll von Personen, von Fällen reden, aber diese Verallgemeinerung ist nicht zulässig.

    Schütte: Ihr Anliegen in Ehren, Herr Henkel, aber haben Sie nicht doch Verständnis für die Gesellschaft, die dann eigentlich nur noch den Blick hat auf "die da oben"?

    Henkel: Was heißt "die da oben"? Aber doch nicht in dem Sinne, dass nun alle da oben Steuern hinterziehen und sich selbst bereichern. Das ist nicht fair. Gerade politische Vorbilder, auch die Medien müssten eigentlich für die nötige Differenzierung sorgen und müssten sich vor Verallgemeinerungen hüten. Sehen Sie, man hat zwei Abgeordnete dabei erwischt, dass sie sich von Volkswagen haben aushalten lassen. Denen hat man ja offensichtlich Prostituierte zugeführt. Käme ich auf die Idee zu sagen, das sei typisch für "die Bundestagsabgeordneten"? - Natürlich komme ich nicht auf die Idee. - Und wenn Boris Becker verurteilt wurde zu zwei Jahren Gefängnis mit Bewährung wegen Steuerhinterziehung, dann sage ich ja auch nicht: Alle Sportler hinterziehen Steuern. Diese Differenzierung vermisse ich, und die Verallgemeinerung kritisiere ich. Wenn der kleine Mann sie vornimmt, kann ich das verstehen. Aber wenn selbst verantwortungsvolle Politiker sozusagen auch noch Öl ins Feuer kippen, damit das schön ordentlich brennt, dann dürfen sie sich nicht wundern, dass die Akzeptanz unseres Systems wackelt. Sie wackelt nicht wegen einiger schwarzer Schafe. Sie wackelt deshalb, weil wir immer wieder der Meinung sind oder uns vorgegaukelt wird, wir hätten inzwischen eine schwarze Herde, und das haben wir nicht.

    Schütte: Der Generalsekretär des Zentralverbandes des deutschen Handwerks Hanns-Eberhard Schleyer hat heute Morgen im Deutschlandfunk vor einer Spaltung Deutschlands gewarnt. Er sagt, wir fallen möglicherweise zurück in eine Gesellschaft, in der wieder Klassen eine Rolle spielen.

    Henkel: Er hat völlig Recht, und genau das versuche ich ja gerade zu sagen. Wir werden niemals in der Lage sein, Fehlverhalten zu eliminieren in dieser Gesellschaft - weder oben noch unten, leider auch nicht oben. Aber wir müssen aufpassen, dass wir jetzt sozusagen aus diesen schwarzen Schafen eine schwarze Herde machen, damit also eine Klasse schaffen, die es zu bekämpfen gibt. Das Bild des Unternehmers war über Jahrzehnte lang in Deutschland in den Umfragen immer sehr hoch angesiedelt. Es lag immer so irgendwo beim Professor und beim Arzt und so weiter. Heute ist es inzwischen ungefähr so schlecht wie das Bild des Politikers. Natürlich gibt es diese Fälle und es gibt diese Fälle in anderen Ländern auch, aber in den Ländern, die ich gerade nannte, ist das Unternehmerbild immer noch intakt, obwohl man diese Skandale dort genauso hat wie hier. Wenn sich ein Bürgermeister, was ja auch schon vorgekommen ist in Deutschland, bestechen lässt, dann kommt doch auch keiner auf die Idee und sagt: Die Bürgermeister sind alle bestechlich. Wir müssen also aufhören mit dieser Verallgemeinerung und insofern gebe ich Herrn Schleyer völlig Recht. Dazu gehört natürlich an allererster Stelle, dass sich die Vorbilder in der Wirtschaft auch vorbildlich verhalten - das will ich gerne zugeben - und dass, wenn dort etwas passiert, das besonders katastrophal ist. Aber wenn es passiert, dann muss man doch differenzieren und darf nicht so verallgemeinern, wie es zurzeit der Fall ist.