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"Das war eben merkelscher Minimalismus"

Die Regierungschefs der Länder haben in einer gemeinsamen Erklärung versprochen, auch weiterhin angemessene finanzielle Unterstützung für den Euro-Rettungsschirm sicherzustellen. Sven Giegold (Grüne) Mitglied des Wirtschaftsausschusses im Europäischen Parlament, fordert eine klare Offensive zu einer echten Wirtschaftsunion.

Sven Giegold im Gespräch mit Christoph Heinemann | 17.12.2010
    Christoph Heinemann: Der Euro ist ein zentraler Bestandteil der europäischen Integration und wird das bleiben. Dieser Satz steht in der Schlusserklärung des EU-Gipfels. In einer gemeinsamen Erklärung versprachen die Regierungschefs der Euro-Länder, weiter angemessene finanzielle Unterstützung für den bisherigen Euro-Rettungsschirm sicherzustellen. Im Deutschlandfunk bewertete Michael Kemmer, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, das Bekenntnis der Staats- und Regierungschefs zum Euro ohne Euro-Bonds.

    O-Ton Michael Kemmer: Zum einen ist diese Ergänzung des EU-Vertrages sinnvoll, insbesondere der zweite Satz, der darauf hinweist, dass es nur unter ganz, ganz strikten Auflagen zu so einer Regelung kommen kann. Ich glaube auch, dass es klug war, den Euro-Rettungsschirm jetzt nicht auszuweiten. Er ist mit 750 Milliarden Euro sehr gut dotiert. Bisher ist nur Irland druntergeschlüpft. Bisher ist er auch nur in einem geringen Umfang ausgeschöpft. Ich glaube, es zeigt, dass die Politik hier auch an eine gewisse Stabilität glaubt, und das ist ein gutes Signal an die Märkte, denn wenn man jetzt angefangen hätte, das noch auszuweiten, dann hätte das ja auch letztlich an die Märkte das Signal einer gewissen Unsicherheit gegeben. Die Politik hat hier mit relativ ruhiger Hand agiert und ich glaube, das war insgesamt schon ein guter Schritt, den sie gemacht hat.

    Heinemann: Am Telefon sind wir jetzt verbunden mit Sven Giegold, für die Grünen im Europäischen Parlament, dort im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Guten Tag, Herr Giegold!

    Sven Giegold: Ja, guten Tag!

    Heinemann: Wegen möglicher Nebengeräusche müssen Sie uns kurz erklären, wo wir Sie gerade erreichen.

    Giegold: Ich bin eines der vielen "Petra"-Opfer und auf dem Weg nach Hamburg.

    Heinemann: "Petra"-Opfer, das ist der Schneesturm, der weite Teile des Landes, wie wir eben berichtet haben, heimgesucht hat. Sie sind jetzt auf dem Hamburger Hauptbahnhof. Herr Giegold, teilen Sie Michael Kemmers Zufriedenheit?

    Giegold: Nein, ich teile die nicht, einfach deshalb, weil dieses Gipfelergebnis minimalistisch ist und nach wie vor laufen wir den Entwicklungen auf den Finanzmärkten hinterher. Die großen Rating-Agenturen haben wieder mehrere Länder herabgestuft. Die Bond Spreads, also die Zinsaufschläge für die schwächeren Länder, sinken nicht und sind weiter auf völlig unnachhaltigem Niveau. Was wir vielmehr brauchen ist eine klare Offensive zu einer echten Wirtschaftsunion, die den Märkten klar signalisiert, Europa steht zum Euro, steht zusammen und verbindet Stabilität mit Solidarität, und das ist leider nicht beschlossen worden, sondern das war eben merkelscher Minimalismus.

    Heinemann: Aber genau das steht doch in der Erklärung drin, was Sie gerade gefordert haben?

    Giegold: Es steht darin, dass man zum Euro steht. Das glauben aber viele inzwischen nicht mehr. Und die Schritte, wirklich Wirtschaftspolitik umfassend zu harmonisieren, das wird nach wie vor auch verweigert. Alle, ich denke mal, die meisten Mitgliedsländer des Euros beharren auf ihren ökonomischen Nationalismen. Das gilt genauso für die Steuerprivilegien in Luxemburg und Irland, das gilt für die Exportüberschüsse Deutschlands, das gilt genauso für Lücken in der Finanzaufsicht nach wie vor in etlichen Ländern, und ich glaube, was wir brauchen ist ganz klar ein Aufgeben dieser Nationalismen und einen solchen umfassenden Plan hätte ich mir von Frau Merkel gewünscht und eben nicht ein "wir machen nur im allerhöchsten Notfall, wenn gar nichts mehr anders geht, nur dann stehen wir enger zusammen".

    Heinemann: Herr Giegold, kann die Politik Einfuhren und Ausfuhren regeln? Was hat das dann noch mit Markt zu tun?

    Giegold: Nein, die Politik soll das gar nicht und kann das auch nicht. Aber es ist auch klar, dass es nicht nachhaltig ist, wenn einzelne Länder der Euro-Zone ihre Kosten seit Einführung des Euros um 40 Prozent erhöht haben und umgekehrt Länder wie Deutschland ihre Kosten weitgehend stabil halten.

    Heinemann: Das ist doch deshalb so – Herr Giegold, Entschuldigung, wenn ich unterbreche -, weil die Produkte nun mal so gut sind.

    Giegold: Das ist auch deshalb, weil die Produkte so gut sind, aber auch, weil die Vorteile dieser guten Produkte an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht weitergegeben wurden. Normalerweise, wenn sie ein Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent haben, müssten auch in Deutschland die Lohnstückkosten um diese zwei Prozent steigen. Das sind sie nicht, sondern sie waren seit der Euro-Einführung stabil. Ich will aber gar nicht den ökonomischen Besserwisser spielen, sondern was mich auch stört ist die grundsätzliche Orientierung dahinter. Aus meiner Sicht sind viele Mitgliedsländer der Europäischen Union in tiefen Schwierigkeiten und umgekehrt anderen geht es gut, und das ist mit einer gemeinsamen Währung nur sehr schwer zusammenzuhalten. Das sieht man daran, wie groß die politischen, aber auch wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Teilen Europas sind. Darauf einfach zu reagieren und zu sagen, wir tun nur etwas, wenn wirklich die Hütte völlig brennt, das mag zwar an manchen Stammtischen gut ankommen, aber verantwortliche Europapolitik ist das nicht.

    Heinemann: Da meldete sich gerade der Hamburger Hauptbahnhof im Hintergrund. Wir sprechen immer noch mit Sven Giegold von den Grünen. Herr Giegold, die Euro-Bonds, also gemeinsame Anleihen der Euro-Staaten, sind vom Tisch, in Brüssel jedenfalls. Vorläufig oder endgültig?

    Giegold: Die sind in gewisser Weise gar nicht vom Tisch, weil diese Ablehnung der Euro-Bonds auch etwas Irreführendes hat, weil der europäische Stabilitätsmechanismus bietet im Grunde so etwas. Ab nächstem Jahr werden europäische Anleihen ausgegeben, garantiert von den Mitgliedsländern, auch von Deutschland, und daraus finanziert werden Hilfen für die Staaten. Das ist etwas Ähnliches wie Euro-Bonds, nur es ist eben keine generelle Lösung und damit hilft es eben nur denen, die gar nicht mehr anders können. Die Länder, die derzeit noch so gerade über die Runden kommen, obwohl sie sehr hohe Zinsen zahlen müssen, denen hilft das nicht.
    Es wurden eine Menge falsche Argumente in der Diskussion in Deutschland gegen die Ausweitung dieses sinnvollen Instruments gebracht, was ich sehr bedauerlich fand, weil nicht mal eine Prüfung, eine ernstliche Prüfung von Frau Merkel und dann in der Folge auch von Herrn Sarkozy zugelassen wurde.

    Heinemann: Das heißt, Sie wären für Euro-Bonds?

    Giegold: Ich bin für Euro-Bonds unter den richtigen Bedingungen.

    Heinemann: Unter welchen?

    Giegold: Das heißt, nicht die gesamte Staatsverschuldung soll vergemeinschaftet werden, sondern nur maximal 60 Prozent. Für das würden dann alle Euro-Länder gemeinsam haften. Allerdings hätten diese Bonds dann auch einen Vorrang bei der Bedienung. Damit sind sie sehr sicher. Das würde auch Deutschland Vorteile bringen, weil das einen hoch liquiden Anleihemarkt bringt, so ähnlich wie in den USA. Der Rest der Staatsverschuldung müsste weiter nationalstaatlich finanziert werden und dort wären die Zinsen dann eher noch höher als heute. Damit gäbe es einen starken Anreiz für die Mitgliedsländer, diese übermäßige Staatsverschuldung abzubauen, und gleichzeitig für die schwächeren Länder aber doch absolut eine Senkung der Zinslast. So würde Solidarität und Stabilität verbunden, und das ist ein Vorschlag, den hat der Think Tank Bruegel, nun wirklich keine Spinnervereinigung, sondern einer der anerkanntesten Think Tanks, entwickelt. Darauf bezieht sich auch Herr Juncker und das hätte eine ernsthafte Prüfung verdient und nicht einfach ein Nein.

    Heinemann: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte am Sonntag ausgerechnet, dass das den Steuerzahler hierzulande rund 17 Milliarden Euro kosten würde. Wir zahlen also für die Schlampereien der Oliven-Länder, wie Hans-Olaf Henkel die europäischen Südstaaten neuerdings bezeichnet?
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    Giegold: Diese Art von Bezeichnungen sind genauso unerträglich. Aber die 17 Milliarden - ich habe bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachgefragt - die sind nicht bereit offenzulegen, wie sie auf die 17 Milliarden kommen.

    Heinemann: Doch! Das stand da drin!

    Giegold: Es steht sehr grob da drin. Der Rechenweg exakt steht nicht drin. Das was sie da andeuten geht davon aus, dass dann der Zinssatz für diese Gemeinschaftsanleihe im Grunde beim Durchschnitt aller jetzigen Anleihen liegen würde, und das ist eine völlig irreale Annahme, sondern vielmehr ist es so, dass diese Basis-Bonds für die maximal 60 Prozent eher mit sehr günstigen Zinsen zu rechnen hatten und diese 17 Milliarden sind nicht nachvollziehbar, werden auch vom Finanzministerium zum Beispiel in Deutschland nicht geteilt. Das ist eine ganz klassische Stimmungsmache, die aus meiner Sicht dem Ruf der FAZ eigentlich nicht entspricht und eher abträglich ist.

    Heinemann: Herr Giegold, mal abgesehen davon, dass die europäischen Verträge nicht vorsehen, dass die EU eine Transferunion sein soll. Ist der deutsche Länderfinanzausgleich nicht ein abschreckendes Beispiel für Subventionsmentalitäten? Wenn Berlin kostenlose Kindergartenplätze zur Verfügung stellt, finanziert von Baden-Württemberg, der Südwesten sich diesen Luxus aber kaum leisten kann, weil Stuttgart so viel Geld abgeben muss, da stimmt doch was nicht.

    Giegold: Wir können jetzt auch den deutschen Länderfinanzausgleich diskutieren. Das ist sicherlich was ganz anderes. Im deutschen Länderfinanzausgleich wird im Grunde die Einnahmeseite auf ein ähnliches Niveau zwischen allen Bundesländern angehoben. Auf europäischer Ebene haben wir übrigens in den Verträgen das Prinzip der Solidarität, und bisher haben wir Strukturfonds in der Höhe von 37 Milliarden Euro, die einen gewissen Ausgleich zwischen den europäischen Ländern schaffen und da auch viel Gutes bewirkt haben. Aber für eine Gemeinschaftswährung brauchen sie stärkere Mechanismen des Ausgleichs. Da es die Bereitschaft – da gebe ich Ihnen völlig Recht – einer Transferunion derzeit im Grunde nirgendwo in Europa gibt, brauchen wir stattdessen eine effektive Koordination der Wirtschaftspolitik, und dazu ist leider sowohl Deutschland als auch viele der Partnerländer bisher nicht bereit. Das wäre aber die Alternative, also eine Wirtschaftsunion, die nicht auf hohen Transferzahlungen beruht – das tun auch Euro-Bonds nicht -, sondern die darauf beruht, dass man effektiv die Vorteile des Gemeinsamen in der Steuerpolitik, in der Koordinierung der Wirtschaftspolitik insgesamt nutzt.

    Heinemann: Sven Giegold, Europaparlamentarier von Bündnis 90/Die Grünen. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören und noch gute Weiterreise.

    Giegold: Vielen Dank! Auf Wiederhören!