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"Das war keine reife Leistung"

Der Grad der Lächerlichkeit, den die FDP mittlerweile erreicht habe, verschlage einem den Atem, so der stellvertretende FDP-Parteichef Holger Zastrow. Der Rücktritt von Christian Lindern sei unprofessionell und verantwortungslos. Ein Generalsekretär einer Partei könne nicht einfach so gehen, kritisierte Zastrow.

Holger Zastrow im Gespräch mit Jasper Barenberg | 15.12.2011
    Jasper Barenberg: Bis Freitag wollte sich FDP-Chef Philipp Rösler eigentlich Zeit lassen, einen neuen Generalsekretär zu nominieren. Dann aber präsentierte er Patrick Döring nur Stunden nach dem Rücktritt von Christian Lindner. Zum einen kursierte der Name des bisherigen Schatzmeisters schon längst bei den Kollegen der Berliner Hauptstadtpresse, zum anderen wird Philipp Rösler mit allen Mitteln dem Eindruck entgegentreten wollen, dass die Liberalen immer tiefer in eine existenzielle Krise rutschen. Allein Wolfgang Kubicki, den scharfzüngigen Fraktionschef der FDP in Schleswig-Holstein, vermag das nicht zu überzeugen.

    O-Ton Wolfgang Kubicki: "Es nützt ja nichts, darum herumzureden. Ich halte nichts davon, immer auf die eigene Partei mit Dreck zu schmeißen. Aber momentan ist das Bild, was wir in der Öffentlichkeit liefern, auf Bundesebene jämmerlich, wirklich jämmerlich, und wenn wir nicht schnellstmöglich zur Sachpolitik zurückkehren, den Menschen deutlich machen, wofür die FDP in der Sache steht und streitet, mit oder gegen den Koalitionspartner, mit oder gegen andere politische Mitbewerber, dann in der Tat werden die Menschen sich fragen, wofür brauchen wir diese FDP noch. Wir brauchen sie nicht zur Selbstbeschäftigung und zur Eigentherapie."

    Barenberg: Jetzt am Telefon Holger Zastrow, der stellvertretende Parteichef der FDP und Landesvorsitzender der Liberalen im Freistaat Sachsen. Schönen guten Morgen!

    Holger Zastrow: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Zastrow, Wolfgang Kubicki, Ihr Fraktionschef der FDP in Schleswig-Holstein, beschreibt den Zustand der FDP als jämmerlich. Geben Sie ihm recht?

    Zastrow: Ja. Der Lächerlichkeitsgrad, den wir inzwischen erreicht haben, der verschlägt einem schon den Atem, und inzwischen fehlt mir auch der Humor, wenn ich da sehe, was so los ist. Die Entscheidung des, mittlerweile muss man ja sagen, ehemaligen Generalsekretärs, die hat uns schon alle sehr unvorbereitet getroffen. Es gibt dafür keine Begründung, niemand versteht das und das war keine reife Leistung, und die Wirrungen und Irrungen, die wir als FDP im Moment durchmachen, die setzen sich fort.

    Barenberg: Keine reife Leistung, sagen Sie mit Blick auf den unerwarteten Rücktritt von Christian Lindner. Sie haben auch von Fahnenflucht gesprochen.

    Zastrow: Ja. Auf jeden Fall ist das unprofessionell und es ist auch nicht verantwortungsbewusst. Ein Generalsekretär einer 65.000 Mitglieder starken Partei, einer Partei, die eine 165-jährige Geschichte hat, und einer Partei, die Regierungsverantwortung in Berlin trägt, ein Generalsekretär einer solchen Partei kann nicht einfach so gehen. Das macht man nicht, das passt nicht dazu. Berechenbarkeit ist ein wertvolles Gut für jede Partei und Berechenbarkeit muss auch das Spitzenpersonal einer Partei zeigen. Deswegen habe ich dafür kein Verständnis, das verschärft die Lage leider noch.

    Barenberg: Herr Zastrow, war das ein Rettungsmanöver in eigener Sache von Christian Lindner?

    Zastrow: Das wüsste ich auch gerne. Ich glaube, dass zumindest mal die Mitglieder der FDP auch Klartext verdient haben und auch eine Begründung verdient haben. Aber Ihre Frage geht schon in die richtige Richtung. Vielleicht sind bei uns zu viele in der Partei auf einem persönlichen Egotrip, den sie in der FDP ausleben, und das schadet eben. Eine Partei ist nie nur auf eine Person zugeschnitten und niemals darf es sein, dass eine Person eine Partei zu stark prägt, sondern das ist ein Mannschaftsspiel. Wir müssen zusammenhalten gerade in schwierigen Zeiten, da muss jeder seine Rolle wahrnehmen, und ich bin mir nicht ganz sicher, ob das jeder so erkannt hat.

    Barenberg: Unmittelbarer Anlass waren ja die Querelen, war der Streit um die Mitgliederbefragung zum Euro-Kurs. Tritt Christian Lindner zur Seite, damit in dieser Sache jetzt der ganze Ärger Philipp Rösler, den Parteivorsitzenden, trifft?

    Zastrow: Ich glaube, da handelt doch jemand sehr in seinem eigenem Interesse. Vielleicht macht da jemand den Guttenberg, denkt, man geht mal gerade noch so rechtzeitig von Bord, um dann irgendwann wiederzukommen. Aber genau das wird am Ende nicht funktionieren. Mit dem Mitgliederentscheid kann das gar nichts zu tun haben. Der Mitgliederentscheid wird gerade ausgezählt, wir werden morgen, am Freitag, das Ergebnis wissen, und für mich ist der Mitgliederentscheid eine riesen Chance gewesen, denn wir sind die einzige Partei, die den Mut hat, ihre eigenen Mitglieder, ihre Basis zu befragen. Andere trauen sich das nicht, das unterscheidet uns. Die Basisdemokratie in der FDP wird groß geschrieben. Das zu machen, ist doch erst mal was ganz Tolles, und wer die letzten Wochen verfolgt hat – wir hatten deutschlandweit über 150 hochkarätige Veranstaltungen, da wurde gestritten, da hat man gesehen, dass diese Partei, die ja von vielen schon für tot erklärt wird, durchaus lebt, dass da ganz viel Kraft in ihr steckt, und da ist mir erst mal ganz egal, wie das Ergebnis ist -, diese Partei diskutiert und damit muss ich umgehen. Das ist ein großer Erfolg und wir hätten jetzt auch einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen können und dann endlich mal wieder ein freies Schussfeld gehabt und könnten dann im neuen Jahr uns neu aufstellen. Warum uns der frühere Generalsekretär jetzt so ein Ding mitgibt, das verstehe ich nicht.

    Barenberg: Herr Zastrow, es gibt Informationen darüber, recht zuverlässige Informationen, dass das Quorum, das entscheidende, also die Mindestbeteiligung bei dieser Abstimmung unter den Mitgliedern, erreicht sein könnte. Was wäre dann?

    Zastrow: Ich möchte nicht spekulieren. Ich hoffe, dass es erreicht ist, das will ich ganz klar sagen. Ich gehe davon aus, dass aber so oder so der Antrag des Bundesvorstandes sich am Ende durchsetzt. Wenn das Quorum erreicht wäre, wäre das ja noch viel besser, denn umso mehr Leute sich am Ende beteiligen, umso besser ist es natürlich. Das Problem bei diesem Mitgliederentscheid ist nur – und das müssen die Initiatoren wissen, das weiß auch der Bundesvorstand -, dass es eben nicht so eine einfache Ja/Nein-Fragestellung gewesen ist. Das Thema ist sehr komplex und während der Mitgliederentscheid lief, hat sich ja quasi im Wochenrhythmus die Lage in Europa, die Diskussion zum Euro auch immer wieder neu verändert. Deswegen ist es für ein Mitglied auch sehr schwer, dort eine Entscheidung zu treffen, weshalb sich sicherlich auch nicht alle, vielleicht die Mehrheit auch nicht daran beteiligt hat. Das ist eben so. Aber dass die Diskussion stattgefunden hat, ist doch gut, und jetzt schauen wir mal, wie das Ergebnis am Ende aussieht.

    Barenberg: Geht es nicht auf alle Fälle gegen die Parteiführung aus, denn sollte die Mindestbeteiligung nicht erreicht sein, spricht das nicht gerade für einen großen Rückhalt von Philipp Rösler. Sollte sie erreicht sein, zumal wenn es eine Mehrheit gegen den Europäischen Stabilisierungsmechanismus, also den dauerhaften Eurorettungsschirm gibt, dann bringt das Ergebnis auch noch die Koalition mit der Union in Gefahr.

    Zastrow: Ich würde das so nicht interpretieren wollen, denn man darf eins nicht vergessen: Wir haben eine klare Beschlusslage zu dem Thema. Auf dem vorletzten Parteitag hat auch der Bundesparteitag sich damit befasst, und das ist eben mal die Position des Bundesvorstands gewesen. Und wenn das Quorum jetzt nicht erreicht wird, dann hat das sicherlich viel mehr damit zu tun, dass die ganze Eurodiskussion natürlich sehr komplex ist, und da auch viele unserer Mitglieder darauf vertrauen, dass die Parteiführung das richtige macht. Deswegen darf man nie vergessen, was die Gegner der bisherigen Linie der Bundespartei gesagt haben, es gäbe ganz, ganz viele, die jetzt unbedingt eine Kurskorrektur wollen. Wenn das so wäre, dann hätte ja auch die große Mehrheit der Partei am Ende mitgemacht. Wenn das nicht so ist, dann heißt das eher, dass man der Führung vertraut, dass die Führung auch in der aktuell sich immer wieder verändernden Lage richtig handelt und dass man zu den bisherigen Beschlüssen der Bundespartei steht. Das wäre eine Stärkung für die Führung.

    Barenberg: Ich habe das richtig verstanden: Selbst wenn es eine Mehrheit für die Positionen der Eurorebellen, der Euroskeptiker gibt, dann würden Sie sagen, man bleibt trotzdem bei der Linie?

    Zastrow: Nein, nein. Wenn das so ausgehen würde, dann müssen wir neu nachdenken. Das Votum der Mitglieder ist für mich absolut bindend. Dann muss die Partei auch ihren Kurs korrigieren. Das wird aber nicht passieren, denke ich zumindest, denn die Reaktionen, die ich so kenne, was ich so sehe, denke ich, dass sowohl als auch, egal ob das Quorum erreicht wird, oder ob wir darunter bleiben, es eine Mehrheit für den Antrag des Bundesvorstandes geben wird.

    Barenberg: Herr Zastrow, der Rücktritt von Christian Lindner, ist der am ende auch das Eingeständnis, dass der Führungswechsel im Mai gründlich daneben gegangen ist?

    Zastrow: Wir sind ein Team und in dieses Team muss sich jeder einordnen. Und wer das nicht kann, hat am Ende auch in dieser Mannschaft nichts zu suchen. Wir sind in einer außergewöhnlich schwierigen Situation. Die FDP hat allerdings in ihrer Vergangenheit immer wieder auch gezeigt, dass sie mit außergewöhnlich schwierigen Situation klarkommt, aber eben nur dann, wenn alle an einem Strang und alle in eine Richtung ziehen. Philipp Rösler ist gewählt worden, er hat das Vertrauen bekommen, er hat sich jetzt entschieden, mit einem anderen Generalsekretär weiterzumachen. Patrick Döring wird der neue Generalsekretär werden, und vielleicht ist das ja auch genau die Chance, die wir jetzt brauchen, denn was mir in den letzten Monaten schon zu kurz gekommen ist, ist die Abteilung Attacke. Ich meine, man kann mit der FDP unzufrieden sein. Wir müssen langsam auch mal die Kirche im Dorf lassen, denn wir baden ja als FDP zum Großteil auch das aus, was andere, was Vorgängerregierungen, Rot-Grün versaut haben. Ich will noch mal daran erinnern, wer Griechenland eigentlich in die Union, in den Euroraum aufgenommen hat. Das ist nicht die FDP gewesen, das ging sogar gegen unsere Stimmen. Das ist Rot-Grün gewesen. Und ich möchte auch daran erinnern, wer damals den Finanzhaien, wie man so schön sagt, das Paradies auf Erden geschafft hat, indem man die Märkte in unverantwortlicher Art und Weise dereguliert hat. Das ist auch zu rot-grünen Zeiten passiert. Das müssen wir jetzt gemeinsam mit der Union alles reparieren, und ich wünschte mir schon, dass wir uns als FDP mehr wehren und auch mal den Finger in die Wunde legen und auch mal wieder angreifen, und ich glaube, dass Patrick Döring mit seiner Bodenständigkeit und seiner Angriffslust das besser macht.

    Barenberg: Holger Zastrow, der stellvertretende FDP-Parteichef und Landesvorsitzende der Liberalen im Freistaat Sachsen. Danke, Herr Zastrow, für das Gespräch.

    Zastrow: Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.