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"Das Weiße Pferd"
Popmusik aus dem Aquarium

Mit ihrem dritten Album "Münchner Freiheit" behandelt das achtköpfige Bandkollektiv "Das Weiße Pferd" die großen Themen der urbanen Gesellschaft in rumpelnden Protestsongs - musikalisch wie textlich ein buntes Potpourri.

Von Andi Hörmann | 24.01.2015
    Blecherne Insektengeräusche und hölzernes Geklöppel, Drahtseil-Gitarre und Ba-Ba-Ba-Singsang - das ist er, der Sound des Straßenkämpfers, dem Street Fighting Man.
    Anno 2015 rollen die Steine nicht im Swinging London, sondern in der bayerischen Landeshauptstadt. Das dritte Studioalbum von "Das Weiße Pferd" ist "Münchner Freiheit" betitelt.
    Albert Pöschl: "Freiheit und München, das geht jetzt vielleicht nicht unbedingt zusammen. Und das finde ich schon spannend - oder auch gut."
    Zusammen bringen, was scheinbar nicht zusammen geht: "Das Weiße Pferd aus München" gelingt das mit erstaunlicher Leichtfüßigkeit. Auf "Münchner Freiheit" rumpelt es ordentlich in der Kiste, musikalisch wie textlich. Und Frederico Sánchez ist einfach ein wundervoller Nicht-Sänger.
    Frederico Sánchez: "Ich habe mich lange gesträubt, mich als Sänger zu definieren. Mir war es auch immer wichtig, dass das so ein Prozess ist, dass das in der Öffentlichkeit stattfindet, dass auch die Möglichkeit des Scheiterns mit einbezogen ist, dass man sich auch vor Publikum weiterentwickelt."
    Da stehen sie nun auf der Bühne, die Musiker dieses achtköpfigen Band-Kollektivs. In einem kleinen Kellerclub in München verkabeln sie ihre Instrumente. Soundcheck. Jeder hat seinen Platz, jeder weiß was zu tun ist.
    Albert Pöschl: "Die Gitarren sind links, rechts - also ich auf der rechten Seite und der Josip, unser anderer Gitarrist, auf der linken Seite. Bass in der Mitte. Schlagzeug so halblinks. Xylophon halbrechts. Und der Masi an der Orgel, wo noch Platz ist. Genau. Und der Fedi als Frontman in der Mitte, vorne."
    Was ist wichtig für deinen Gitarrensound, von der Einstellung her?
    Albert Pöschl: "Ich bin da sehr puristisch. Ich habe auch nur so einen kleinen Amp hier. Und bei mir ist alles immer in Mittelstellung. Einfach flat, sozusagen. Da ist ein kleiner Hall drin und ich habe ein Distortion-Padel und das war es."
    Der Produzent und Label-Betreiber Albert Pöschl bewahrt den musikalischen Überblick. Den textlichen Tiefgang liefert Sänger Frederico Sánchez. Die Musik von "Das Weiße Pferd" klingt dabei nach einer wilden Meute an Autodidakten, nach Augenzwinkern in der Referenzhölle Retromania, nach Dancefloor im Diskursgewand.
    Frederico Sánchez_ "Als ich mit dem Albert das erste Album aufgenommen habe, da haben wir immer gesagt, das ist Aquariumsmusik. Wir wollten immer einen verwaschenen Sound haben, dass immer alles klingt, als würden die Mikros ins Aquarium reingehängt werden. So ein bisschen dieses Shoegaze-, Dreampoppige."
    Es ist auch selten, dass ich mit einem Künstler auf der Bühne stehe. Wie ist das für dich, da sind jetzt noch keine Gäste da, was macht das?
    Frederico Sánchez: "Ein Gefühl der Leere. Jeder ist halt voll mit seinen technischen Aufgaben beschäftigt. Das heißt, es ist gar nicht so viel Zeit, um über Gefühle vor dem Auftritt nachzudenken."
    "Hallo ich bin Joe Masi und spiele Synthesizer, respektive Keyboard."
    Und jetzt Soundcheck, was heißt das für dich, was steht an Arbeit an?
    "Ich habe diverse Sounds, die haben alle einen unterschiedlichen Pegel und da muss man halt gucken, dass die alle gut reinpassen, ins Gesamtgefüge, was bei acht Leuten immer Feinfühligkeit verlangt."
    Was kann denn Dein Keyboard?
    "Das ist ein analoger Synthesizer. Nur ein relativ kleines Kistchen, aber es kann tatsächlich wahnsinnig viel. Ein Dave Smith Tetra, die Hälfte vom Prophet 08. Wenn das irgendwem irgendetwas sagt. Aber der Fachmann wird jetzt anerkennend schnippen oder schnalzen oder was auch immer."
    Richtiggehend bemerkenswert ist bei "Das Weiße Pferd" genau diese Liebe zum musikalischen Detail. Sie umschiffen des Offensichtliche mit einer Dringlichkeit, die vor Sendungsbewusstsein nur so strotzt. Auf ihrem Album "Münchner Freiheit" zelebrieren sie eine Protestkultur voller Musik gewordener Unschärfen. Da ist zum Beispiel die verschleppte Folknummer "Die Zukunft": ein Seitenhieb auf den Generationenkonflikt einer überalterten Gesellschaft im ewigen Jugendwahn. Im funkigen "Teutsche Machos" räumen sie mit dem Chauvinismus auf. Und die kindliche Leichtigkeit kommt in ihrer Musik auch nicht zu kurz: Mit "Abtauen Girl" nehmen sich "Das Weiße Pferd" einem Billy-Joel-Klassiker an - zum Schmunzeln schön.
    Zurück in den Klub: Der Soundcheck ist gemacht, die ersten Gäste holen sich ein Bier an der Bar, die Bandmitglieder besprechen sich backstage.
    Albert Pöschl: "Das Wichtigste ist, dass der Fedi gut hörbar ist auf der Bühne, für alle, und vor allem für ihn selber auch. Und wenn der Fedi zum Tanzen anfängt, dann ist alles gut."
    Nach dem dritten Song ist es soweit: Frederico Sánchez schüttelt sich mal wie ein begossener Pudel, zappelt mal wie ein Fisch ohne Wasser. Und irgendwie verwandelt "Das Weiße Pferd" mit ihrer Musik auch den Klub an diesen Abend in ein Aquarium. Oder haben sie das Publikum schon angesteckt, mit ihrem Fieberwahn im Kampf für die Münchner Freiheit?